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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

29. 5. 2011 - 11:30

Sein oder Nichtsein

Als krebskranker Kleinkrimineller geht Javier Bardem in "Biutiful" durch die Hölle und retour.

Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es dem zeitgenössischen Kino derzeit ums Ganze geht. Anscheinend rechnen viele Regisseur wirklich mit dem von ihrem Kollegen Roland Emmerich prophezeiten Untergang und lassen die dazugehörige Stimmung in ihre Werke einfließen.

Jedenfalls zählt das supere britische "Total Film" Magazin ganze 46 Apokalypse-inspirierte Streifen, die gerade herumschwirren, von Horrorschockern bis zu existentialistischen Epen. Und gleichzeitig widmen sich viele Kinokünstler, vom Vorzeigeradikalen Gaspar Noé ("Enter The Void") über den alten Kontroversling Lars von Trier ("Melancholia") bis zum spirituell angehauchten Terrence Malick ("Tree Of Life") vermehrt den tonnenschweren Sein- und Nichtseins-Fragen.

Biutiful

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Ein Spezialist diesbezüglich ist der Mexikaner Alejandro Gonzàles Inàrritu, der in seinen bisherigen Arbeiten stets versuchte, das gesamte Leid der Welt im Spielfilmformat zu kompilieren.

Wobei das Wort "Welt" wörtlich zu nehmen ist, verknüpfen episodenhafte Leinwanddramen wie "Babel" oder "21 Gram" doch die tragischen Schicksale verschiedener Menschen in diversen Ländern miteinander. Und zwar auf so verkrampfte Weise, muss man hinzufügen, dass viele durchaus berührende Einzelmomente und eindringliche schauspielerische Leistungen in den überkonstruierten Handlungsabläufen untergehen.

Biutiful

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"Biutiful" ist nun eine Art Neuanfang im Schaffen des Regisseurs. Nachdem sich Inàrritu und sein bisheriger Drehbuchautor Guillermo Arriaga angeblich im Streit getrennt haben, wagt sich der Filmemacher zum ersten Mal daran, auf lineare Weise die Geschichte einer einzigen Figur zu erzählen. Und das noch dazu auf einen Schauplatz beschränkt, die Elendsviertel der spanischen Metropole Barcelona.

Zumindest vermittelt die Story des gehetzten Kleinkriminellen Uxbal, eindringlich vom großen Javier Bardem gespielt, am Anfang einen solchen Eindruck. Aber schon bald wird klar, das sich Alejandro Gonzàles Inàrritu von der Überladenheit seiner bisherigen Streifen nicht wirklich verabschieden will.

Biutiful

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Die tragische Figur Uxbal dient als Aufhänger für eine Vielzahl von Themen, von der Globalisierung, der Ausländerfeindlichkeit in der Festung Europa bis zum omnipräsenten Druck des Kapitalismus. Als ob die Beziehung des Mannes zu afrikanischen Straßenhändlern einerseits und illegalen chinesischen Arbeitern andererseits nicht schon für zwei Filme reichen würden, schenkt Inàrritu seinem Protagonisten auch noch übernatürliche Fähigkeiten. Für ein wenig Kleingeld horcht Uxbal frisch Verstorbene nach Botschaften an ihre Verwandten aus.

Wirklich stark ist "Biutiful" aber nur in intimeren Momenten, wenn Jarvier Bardems einsamer Absturzkandidat desaströse Beziehungskonflikte durchlebt, wenn er als alleinerziehernder Vater immer wieder scheitert oder eine fatale Krebsdiagnose erhält.

Biutiful

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Ein mystisch anmutender Vogelschwarm, der in die Abenddämmerung fliegt, ein desolater Discobesuch, der wie ein eskapistisches Fegefeuer wirkt, einige halluzinative Augenblicke, in denen die Krankheit zu triumphieren scheint: Bestimmte Bilder bleiben haften, das muss man zugeben, nicht zuletzt dank des grandiosen Hauptdarstellers.

Ansonsten reiht der Regisseur mit biblischer Schwere eine Katastrophe an die andere und schreckt vor Sozialkitsch nicht zurück. Alles neu, alles beim Alten also bei Alejandro Gonzàles Inàrritu.