Erstellt am: 26. 5. 2011 - 20:27 Uhr
Fußball-Journal '11-44.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit Teil 1 eines vielteiligen Fazits zur abgelaufenen Bundesliga-Saison 2010/11.
Teil 2 kommt morgen im Fußball-Journal '11-45 und präsentiert die Teams der Saison und andere Fazits zum Ende der Bundesliga-Spielzeit.
Bevors zur Position und damit zu den Spielern des Jahres geht - ein paar Worte zum Meister.
Mit Sturm Graz ist vielleicht nicht die beste Mannschaft dieser Saison österreichischer Fußball-Meister geworden, aber die stabilste und ausgewogenste. Das äußert sich in Details, wie etwa darin, dass Sturm über zumindest 6 Kapitäne verfügt: Kienzl und Haas, Hölzl und Schildenfeld, Feldhofer und Gratzei trugen die Schleife, Standfest, Manuel Weber, Salmutter und Muratovic auch, zumindest gefühlsmäßig.
Wer die Verantwortung über das Gelingen des Spiels so problemlos verteilen kann, ist das genaue Gegenteil zur österreichischen Nationalmannschaft, wo kein Spieler weiß, was sein Job (über das Einnehmen einer definierten Position hinausgehend) überhaupt ist. Deshalb ist auch das Coaching-Team, das dieses Gefühl aufgebaut und mitinszeniert hat, von entscheidender Bedeutung: Pegam, Kristl, Sidorczuk, Niederkofler und Franco Foda.
Der Meister bei dem die Indianer allesamt Häuptlinge sind
Foda ist ein furchtbarer Dünnhäutler wie Pacult/Stevens/Constantini, einer, den Widerrede fertig macht. Dass man das nicht öffentlich bemerkt, hat mit der geschickten Arbeit der für den Außenauftritt Verantwortlichen zu tun, die das Mimoserl Foda aus jeglicher Schusslinie nimmt. Die von der Liga vorgeschriebenen Pressekonferenzen nach dem Spiel gibt's nur, wenn es dem Chef-Coach genehm ist. Und unter diesen angesprochenen Mitarbeitern sind überproportional viele Frauen - das nur als Tipp für (die anderen großen) Vereine, die ihre Außendarstellung diese Saison so schlecht über die Bühne gebracht haben.
Den Präsidenten, der in einer unwürdigen Schlacht Sportdirektor wegdrückte, nehme ich da dezidiert aus. Dass Kreuzer daraus kein großes Theater machte und die Ruhe bewahrte, rettete die Stimmung und damit womöglich den Titel.
Sturm ging mit viel Angst in die Saison: man hatte Beichler, Jantscher, Sonnleitner und Lavric verloren, in der Winterpause auch noch Bukva. Mit Thomas Burgstaller, Patrick Wolf und Szabics wurden diese Löcher nicht wirklich gestopft, vielleicht machte die Verpflichtung von Gordon Schildenfeld dann den entscheidenden Unterschied, was die Abwehr-Stabilität, also das Backbone betrifft.
Letztlich war die Tatsache, dass Sturm im Gegensatz zu den beiden anderen Mitbewerbern nie eine echte Schwäche-Periode aufgerissen hatte, entscheidend. Und der Fakt, dass es kaum einen Qualitäts-Abfall zwischen Spieler Nr 1 und Nr 22 gab.
Wer jammert, verliert
Fairplay-Meister ist die Austria - und Franz Lederer sollte endlich aufhören über das schlechte Image seiner Truppe zu jammern und neue Fakten setzen.
Und hier noch eine andere tolle Jahres-Bilanz von ballverliebt.eu.
Die spielerisch aufregendere Mannschaft, die Austria Wien, scheiterte nicht so sehr an ihrem verheerenden April, sondern an der Tatsache, dass sie allzu oft davor ihr gutes Spiel nicht in genügend Punkte umsetzen konnte. Und das ist nicht, wie man Austria-intern vermutet, am allzu riskanten Offensivspiel mit drei offensiven Mittelfeld-Akteuren festzumachen, sondern an einem schwachen Percentage, was Chancenverwertung betrifft und einer unerklärlich (oft über außen) anfälligen Abwehr.
Außerdem wurde viel zu viel gejammert (auch wegen der Angst vor den Pöbel-Fans) - anstatt sich alle strittigen Entscheidungen und die wahre Tabelle zu vergegenwärtigen. Gejammer, das ich auch aus Salzburg und von Rapid gehört habe, seltsamerweise aber nie aus Graz.
Salzburgs Saison wurde vom unerträglichen Huub Stevens vercoacht, Rapids Saison vom ebensolchen Peter Pacult - der war ganz stabil 5. und schlechter.
Cupfinalist Ried verstand es, aus ganz geringen Möglichkeiten ein Optimum (Vierter, Wintermeister, Heimmeister) herauszuholen, Innsbruck hatte nach einem tollen Start genug Schwung bis zum Ende und Kapfenberg erfüllte seine Rolle als Ausbildner hervorragend.
Über die Ärgernisse LASK und Stronach ist bereits genug gesagt.
Die Position der Saison...
... ist der offensiv denkende Sechser.
Nie war er so wertvoll wie heute; und erstmals - Jahre, nachdem seine Bedeutung im internationalen Fußball evident wurde - gab es ihn, gehäuft, auch in Österreich.
Die neuen Prototypen heißen Julian Baumgartlinger, Manuel Weber, Mario Kienzl, Yasin Pehlivan, Anel Hadzic und Florian Mader.
Und sie sind zusammen der Spieler des Jahres.
Ein Sechser hat (als notdürftige Zusammenfassung für Leute, die beim Spiel nicht so genau hinschauen) die zentrale Aufgabe des Schalthebels zwischen Defensive und Offensive. Der Sechser (der so heißt, weil er meist, in Südamerika vor allem, die Nummer 6 trägt, in England hat er traditionell die Nummer 4, aber das führte jetzt zu weit...) agiert als zentraler Mann vor der Abwehr und gibt das Tempo vor. Im modernen Fußball, in dem (Klopp, Tuchel und Slomka haben das in Deutschland neu definiert) Angriffe von Balleroberung bis Torschuss innerhalb von 10-12 Sekunden durchgeführt werden, ist seine Rolle noch wichtiger geworden. Dort, wo in den strukturell defensiven 80ern und 90ern noch Klopfer, Abräumer und Staubsauger unterwegs waren, deren Job in erster Linie Destruktion und Verschleppung war, sind jetzt schnelle Handler gefragt. Die junge Generation der 6er hat die Gegnerstörung und die Balleroberung zwar (verinnerlicht) drauf, legt aber nach Ballgewinn erst richtig los, wird zum 8er, also zum schnellen Antreiber im Mittelfeld, der entweder selber vorstößt und den schnellen Pass in die vorpräparierten Laufwege der Mitspieler schlägt.
... bedingt ein schlaues System
Nicht alle Systeme sind auf solche Typen abgestellt.
Der strategisch im Mittelfeld hochkreative KSV hatte mit Fukal einen Old-School-Sechser hintendrin.
Das defensive 4-1-4-1 von Huub Stevens etwa, aber auch das offensive 4-1-4-1 von Walter Kogler (und auch der undeutliche Nachbau von Franz Lederer in Mattersburg) geben sich mit einem 6er alten Stils zufrieden (Schiemer in Salzburg, Abraham in Innsbruck, Parlov in Mattersburg); wiewohl es auch da diverse Versuche gab - das Experiment mit Cziommer, oder der Einsatz von Seidl deuten in Richtung Lernerfolg. Was Mendes in Salzburg wirklich kann, haben wir nicht wirklich gesehen.
Rapid setzte letztlich immer primär auf den Schein-Stabilität bringenden Heikkinen, während der riskantere Pehlivan (der neben diesem Traditionalisten mehr den 8er raushängen ließ) gern früh ausgetauscht wurde. Rapids neuer, Schöttel, setzte bei Neustadt auf einen moderneren Ansatz, allerdings spielte keiner seiner dort einsetzbaren Akteure eine wirklich gute Saison.
Im Übrigen: Veli Kavlak und Tanju Kayhan sind scheinbar fix bei Besiktas - das zieht Rapid ganz schön runter, was die Kreativität betrifft.
Dass ich Yasin Pehlivan (der wohl zu GaziantepSpor in die Türkei wechseln wird) trotzdem in diese Top-Liste nominiert habe, hängt mit seiner spielerischen Unbrechbarkeit zusammen. Das muss man auch erst schaffen, einen menschlich unzureichend ausgestatteten, strategisch im letzten Jahrhundert festhängenden Coach ohne Fähigkeit zur Erklärung halbwegs unfallfrei zu überleben.
Die anderen Spieler der Saison sind:
Anel Hadzic und Florian Mader, SV Ried
Alles am SV Ried unter Paul Gludovatz (& Gerhard Schweitzer; mit der bedeutenden Unterstützung von Manager Stefan Reiter) ist sensationell. Weil man dann, wenn man keine Mittel hat, erfinderisch sein muss, fiel dem alten Fuchs ein System ein, das er als ÖFB-Trainerausbildner niemals rauszuholen gewagt hätte. Des 3-3-3-1 von Ried macht selbst einem Marcelo Bielsa alle Ehre.
So ein System funktioniert dann, wenn man die richtigen Spieler dafür hat: schnell junge Außenspieler etwa, wie den jungen Daniel Royer, den Aufsteiger der Saison; aber auch schnelle alte Knochen wie die von Lexa oder Brenner. Oder flexible Abwehrspieler wie Stocklasa oder Riegler.
Der Kern von Gludovatz' System ist der holländische Ansatz: jeder seiner Feldpieler muss zumindest zwei Positionen beherrschen.
Anel Hadzic setzt da noch einen drauf. Hadzic, an der bosnisch-kroatischen Grenze geborener 21jähriger Österreicher mit etlichen Jugendnationalmannschafts-Einsätzen, kann rechter Verteidiger in der Rieder Dreier-Abwehr spielen; oder den rechten Mann in der defensiven Mittelfeldreihe davor; oder den linken; oder den mittleren, also den nominellen 6er; oder - wie im Finish der Meisterschaft machmal notgedrungen - auch den zentralen Mann in der Mittelfeld-Offensive. Hadzic setzt seinen 186cm-Körper gut ein, hat aber auch seine technischen Qualitäten, er ist schnell und verfügt über ein gutes Passspiel.
Hadzic symbolisiert die Qualität und den Erfolg von Ried. Er ist der heimliche, der unbekannte Spieler der Saison, er gehört ins Nationalteam, schon längst.
Weil da nicht viel passiert (angeblich wurde er beobachtet) ist natürlich auch das bosnische Nationalteam eine Option für den mehrfachen U21-Teamspieler. Die haben, ganz im Gegensatz zum lahmlackeligen ÖFB, schon angefragt. Wäre ein Verlust.
Der eigentliche Sechser bei Ried ist der Tiroler Florian Mader. Mader ist wie Mimm oder Hölzl eines dieser Innsbrucker Henderln, einer dieser technisch anspruchsvollen, spielintelligenten Akteure mit körperlichen Defiziten, die immer an der Kippe zum großen Durchbruch standen, den dann aber nie geschafft haben. Oder besser: Mader und Hölzl haben das überwunden. Der Mader von 2011 ist 28, auf der Höhe seiner Übersicht und Spiel-Lesefähigkeit, körperlich endlich robust, und hat sich vom fragilen Zehner oder dem leicht wegzuholzenden Achter zu einem dieser spielintelligenten neuen Sechser gewandelt. Mader ist das ruhig pochende Herz des Rieder Spiels, stilistisch eine Augenweide, aber mittlerweile auch mit der nötigen Unverfrorenheit versehen.
Manuel Weber und Mario Kienzl, Sturm Graz
Franco Fodas flaches 4-4-2 benötigt zwei zentrale Mittelfeldspieler, die mehr sind als blanke brave Sechser. Es funktioniert nur mit Akteuren, die auch über die oben beschriebenen Qualitäten verfügen.
Manuel Weber, der 25jährige Villacher, war in seinen jungen Jahren, bis hinauf zur U21-Nationalmannschaft, als deren Kapitän er eine Zeitlang diente, eher ein offensiverer Mittelfeldspieler - danach erfuhr er eine Umschulung zum Lenker von hinten heraus, Schinkels setzte ihn wie einen Quarterback ein. In Graz erfolgte die Perfektionierung: denn im Foda-System gibt es keine Arbeitsteilung in der Mittelfeld-Zentrale wie bei Pacults Rapid: beide Sechser müssen alles können und alles machen. Und Manuel Weber kann. Das sieht nicht spektakulär aus, aber es wirkt; nachhaltig.
Und natürlich ist dieses System besser. Und natürlich gehört Weber längst zumindest in den Team-Kader: ich führe ihn seit einiger Zeit immer unter denen, die unverständlicherweise keine Berufung erfahren haben.
Weber war in dieser Saison oft out. Sein Partner in der Zentrale, Mario Kienzl, 27, der homegrown Captain, der vor der Heim-Euro seine erste wirklich eindrückliche Saison hatte, war noch öfter verletzt. Nur durch den Einsatz des Kameruners Mevoungou, und den der Aushelfer Sallmutter, Foda jr. und anderer mehr ging sich das aus. Es war also nicht Kienzls tolle Strahle-Saison; weil aber er (und eben auch Weber) das, was dort in der Zentrale zu tun ist, so vordefiniert hatten, ging auch in den vielen Phasen, in denen dort Einspringer am Werk waren, recht wenig schief.
Julian Baumgartlinger, Austria Wien
Der bei 1860 München ausgebildete 23jährige Salzburger ist der kompletteste und wohl beste Sechser Österreichs. Und nachdem er schon mein Spieler der Herbstrunde war, bleibt er das irgendwie auch in der Gesamtsaison, trotz nicht erreichten Titels, trotz Konkurrenz von Junuzovic.
Baumgartlinger ist wohl der auslandsfitteste Spieler der österreichischen Liga, also einer, der jederzeit überall hin wechseln und sich dort durchsetzen könnte.
Dass sich Karl Daxbacher diese Saison endlich das getraut hatte, was er als Spieler ja eh auch selber zelebriert hatte - nämlich das Spiel mit nur einem zentralen Sechser; früher, bei der Austria der 70er war das ja seine, Daxbachers Rolle - war der Schlüssel für die gute Rolle, die die Austria Wien die ganze Saison über gespielt hatte.
Dass Daxbacher bei jedem kleinen Misserfolg alles wieder in Frage stellte und das alte Modell des Sechsers, Hlinka, neben Baumgartlinger zog, also wieder das flache 4-4-2 einzog, stellte diesen Erfolg wieder in Frage. Wer sich über sein System nicht im klaren ist, verunsichert seine Mannschaft.
Morgen in Teil 2 des Fazits zum Ende der Bundesliga-Spielzeit: drei Teams des Jahres und einige spezielle Awards.
Das ist aber nicht Baumgartlingers Schuld oder Problem. Der international denkende Jules, wie ihn die Kollegen nennen, kann alles, was der moderne Sechser können muss: ablaufen, abgrätschen, böse sein; aufbauen, Tempo steigern, Akzente setzen; Angriffsläufe starten, sich für Doppelpasses anbieten, vor allem in den Offensiv-Dreiecken an den Flügeln.
Das kann er, das macht er, das sieht gut aus, das ist effektiv, das wirkt.
Julian "Jules" Baumgartlinger ist der primus inter pares dieser fabulösen Truppe auf der Position der Saison.