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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

23. 5. 2011 - 19:00

Rückhaltlose Wahnsinnsbejahung

Drama, Wüste und Fatalismus. Die Meat Puppets sind in der Stadt.

Obwohl schon an die zwei Dekaden her, erinnere ich mich noch an eine Musicbox, in der mir der mir zu diesem Zeitpunkt unbekannte Kollege Martin Blumenau mit flammenden und ehrfürchtigen Worten ein Konzert der aus Arizona stammenden Meat Puppets ans Herz legte.

Die Stimme im Radio pries die Meat Puppets und ihre Musik, ein psychedelisch, melancholisches Gebräu, das in der kulturellen Ödnis aus Zorn, Langeweile, Traurigkeit und Wahnsinnsbejahung gebraut wird, so emphatisch an, dass ich am nächsten Tag im Zug saß, um die Meat Puppets zu sehen. Ich habe es nicht bereut.

"Die Typen haben Flugangst und es ist eine once in a lifetime Chance", erfuhr ich damals aus dem Radio. Jetzt gibt es nochmals diese Chance, am 24. Mai in der Szene Wien.

Die Meat Puppets

Meat Puppets

Die Brüder Cris und Curt Kirkwood haben in der kulturellen Ödnis von Arizona eine nicht urbane, von psychedelischer, mystischer Traurigkeit - manchmal in Richtung verspielten Irrsinn - beschwerte Version von Punk geschaffen. Eine Musik, die weder an das anknüpft, was die zu dieser Zeit aktiven zynischen Nachtschattengewächse des Hollywoods Strips, wie Germs, Black Flag oder Cirkle Jerks machten, noch hatte es etwas zu tun mit dem, was die zornigen Skateboys von Venice Beach, wie die Suicidal Tendencies, produzierten. Und auch die Mischung aus Garagen-Rock der Sixties, Punk und Metal, mit der Sub Pop Anfang der 90er Jahre Seattle für eine gewisse Zeit zum Nabel der Welt machen sollte, gab es damals noch nicht.

“In the wide open spaces of his psyche, Arizonan Curt Kirkwood has stumbled upon a calmly demented country music that does more to revitalize the dubious concept of "psychedelic" than California suburbia's whole silly infatuation with the late '60s. He conflates the amateur and the avant-garde with a homely feel. How did music so resilient bubble out of the desert wastes?” fragten sich in der prä-Internet Era die Fanzine Schreiber.

Die Meat Puppets sind seit Anfang der 80er Jahre aktiv und waren eine der wichtigsten Bands auf Greg Ginns Punk Label SST. Sie waren mit Zeit- und Labelkollegen wie Hüsker Dü große Katalysatoren bei der Entwicklung von US amerikanischer Independent Gitarrenmusik.

Bis heute ist es eine Gemeinheit der Geschichte, dass mit dem Namen "Meat Puppets" nicht Nummern wie "We don't exist" verknüpft werden, sondern die Tatsache, dass sie Kurt Cobains Lieblingsband waren und mit ihm 1993 die MTV Unplugged Session gespielt haben.

Aber die Zeiten ändern sich, das Interesse der Spätergeborenen wächst. Dieses Jahr haben die Meat Puppets ihr drittes Album "Up on the Sun" beim vom Animal Collective kuratierten All Tomorrow's Parties in London zu Gänze gespielt und der Rolling Stone widmet sich anlässlich der Veröffentlichung des neuen Albums "Lollipop" ganz verzückt der Geschichte der Band und fragt nach, unter welchen Umständen das brillant entrückte zweite Album "Meat Puppet II" entstanden ist. Die Antwort von Sänger und Gitarrist Cris Kirwood: "MDMA. Eine Unze davon."

Die Grunge-Explosion und die Protektion der berühmten Freunde brachte für die Meat Puppets kurz kommerziellen Erfolg. Ihr Album "Too High to Die" erschien kurz vor dem MTV Unplugged-Konzert und mauserte sich nach der Ausstrahlung der Show zu einem kommerziellen Erfolg.

Zu verschroben und speziell war und ist die Welt der Meat Puppets, als dass sie längerfristig von der damals herrschenden Goldgräberstimmung der Major Labels profitieren konnten. Geschüttelt von privaten Katastrophen lösten sich die Meat Puppets Anfang des Jahrtausends auf und Cris Kirwood verschwand von der Bildfläche, um sein Drogenproblem auf die Reihe zu kriegen. Seit der Wiedervereinigung vor fünf Jahren veröffentlichten die Meat Puppets drei Alben. Das jüngste, Lollipop, ist letzten Monat erschienen. Und am 24. Mai gastieren sie in der Szene Wien.