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Pinguin

Hinweise zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Hauptwohnsitz: Zeitschrift Malmoe

24. 5. 2011 - 08:00

Wutbürger im Chefsessel

Was hinter der "Treichl-Debatte" steckt.

Wenn soziale Protestbewegungen unhöflich werden, kommt die Polizei (z.B. Demonstration gegen Burschenschafts-Aufmarsch am 8. Mai in Wien: 3 Verhaftungen). Wenn Bankchefs unhöflich werden, kommen die Medien. Erste Bank-Chef Treichl hat vor einer Woche mit Ausfällen über das Versagen der Politik eine Debatte angeheizt, die erfolgreich andere Debatten überlagert hat.

Politik in der parlamentarischen Demokratie ist ein Prozess der Bildung von Kompromissen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Interessen, Ideen und Wünschen - nicht die gehorsame Abarbeitung einer Aufgabenliste, die Wirtschaftsvertreter einreichen. Obwohl es allzu oft den Anschein hat, als wären Wirtschaftswünsche die unumschränkten Agendasetter. Diese Erfahrung scheint die Erwartungshaltung mancher Chefs ins Absurde zu steigern, so wie sie die Politikverdrossenheit von WählerInnen erhöht, die sich davon überfahren fühlen.

Ober, wo bleibt mein Steak?

Wer die unvollständige Umsetzung seiner Forderungen beklagt wie ein Gast die langsame Bearbeitung seiner Bestellung im Restaurant, hat etwas missverstanden oder greift strategisch auf das Mittel einer Empörungs-Inszenierung zurück, in dem er sich an ein weitverbreitetes Politik-Misstrauen anbiedert, um im Kampf der Durchsetzung der eigenen Anliegen zu punkten. Dass die „Politikverdrossenheit“ der Wirtschaft mit den politischen Ohnmachtsgefühlen der anderen Menschen in der aktuellen Debatte gleichgesetzt wird, zeigt den politischen Erfolg von Treichls Ansage.

Wie steht es um des Bankdirektors Kernbeschwerde, den Versagensvorwurf an die Politik betreffend das neue Banken-Regelwerk „Basel III“? Die in Arbeit befindliche mittlerweile dritte Reform der erstmals 1988 in Basel vereinbarten Eigenkapitalvorschriften für Banken versucht Lehren aus der Krise zu ziehen. Kernbestandteil ist die Vorgabe, dass Banken für jeden Kredit in Hinkunft mehr Sicherheitspolster in der finanziellen Schublade behalten müssen, um für Zahlungsausfälle besser gewappnet zu sein als bei der jüngsten Krise, wo zur Verlustabdeckung die Staaten herhalten mussten.

Glück gehabt, Pleite-Ösis

Center for Jewish History, NYC Flickr

Die österreichischen Banken beschweren sich, sie seien im Gegensatz zur Konkurrenz in den USA nicht die Krisen-Verursacherinnen und würden deshalb durch die neuen Regelungen zu Unrecht „bestraft“. Ja, auch sie hätten zwar in der Krise vom Staat Hilfsgelder erhalten, aber das sei nur notwendig gewesen, weil die fremdverursachte Krise sie unschuldig mit in den Strudel gerissen habe.

Das ist nur die halbe Wahrheit. In den heimischen Großbanken mag das traditionelle Kreditgeschäft gegenüber waghalsigen Derivate-Geschäften dominieren. Doch sie haben dieses Traditionsgeschäft vor allem in Osteuropa auf eine derart waghalsige Größe aufgeblasen, dass die Sache zu einem massiven Risiko für das Sitzland Österreich geworden ist. Wenn es in Osteuropa zu großflächigen Kreditausfällen gekommen wäre oder käme (was 2008/09 leicht hätte passieren können, wenn IWF und EU nicht enorme Stützungsgelder für die osteuropäischen Staaten bereitgestellt und damit einen drohenden Absturz der Region verhindert hätten), hätten die Bankenverluste Größenordnungen erreichen können, die dem rettungswilligen Staat Österreich, wo die Konzernzentralen sitzen, leicht hätten über den Kopf wachsen können. Dann wären aus denjenigen, die jetzt in Parlament und Boulevard „Kein Geld für die Pleite-Griechen“ krakeelen, mit einem Schlag verdatterte „Pleite-Ösis“ geworden, die bei EU und IWF um Hilfe bitten müssen.

Wenn jetzt von den internationalen Bankaufsehern neue Regelungen in Basel getroffen werden, die von Banken verlangen, dass diese für stinknormale Kredite mehr Sicherheitspolster zurücklegen, dann mag das in Zukunft dazu führen, dass der eine oder andere Kredit nicht vergeben wird oder teurer wird. Aber auch dazu, dass die Banken in ihrem Wachstum und ihrer Risikofreude gebremst werden, und das bedeutet im Lichte der Erfahrungen gute Nachrichten für den Steuerzahler – denn das Risiko von Bankenpleiten sollte dadurch gesenkt werden. Die bisherige Reform der Finanzregulierung auf internationaler Ebene ist in vielen anderen Bereichen völlig unzureichend (was wenig mit der politischen Aufmerksamkeit für dieses Thema im international diplomatisch marginalen Österreich zu tun hat, aber viel mit internationaler Standortkonkurrenz und Lobbying des Unternehmenssektors), schmälert aber nicht die Bedeutung erhöhter Risikovorsorge-Anforderungen für die Kreditvergabe. Die Neuerungen sind eigentlich vergleichsweise moderat – erstens gibt es jahrelange Übergangsfristen, zweitens planen einzelne Länder wie die Schweiz sogar schärfere nationale Regeln.

Lauter jammern

leo reynolds via flickr

Jammern über staatliche Zumutungen gehört zum 1x1 des Lobbying-Geschäfts. Dass es in diesem Fall so viel Aufmerksamkeit kriegt, mag ein Indiz dafür sein, dass der Streit darüber, wer die Kosten der Krise zahlt, intensiver wird. Den Wirtschaftstreibenden und Wohlhabenden dämmert, dass sie laut zum präventiven Gegenschlag übergehen müssen, bevor allzu freche Forderungen an sie gestellt werden. Aber wo bleiben bloß die Angreifer?