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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 5. 2011 - 18:04

Fußball-Journal '11-41.

Biedermänner und Brandstifter. Oder: Wer sich abhängig macht, wird gefickt werden.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit ein paar Anmerkungen zu den Wiener Vorkommnissen der vorletzten Bundesliga-Runde.

Wer sich ein bisserl mit der oral history oder den daraus entstandenen literarischen Werken der italienischen oder französischen Hooligan-Geschichte auseinandergesetzt hat, der kennt das: Irgendwann ist die gemeinsame Situation, die sich zwischen den Vereinen und ihren gewaltbereiten Fan-Gruppen ergibt, so vertrackt, dass keine Manövrier-Möglichkeit mehr existiert.

In Österreich wird zwar alles eine Nummer kleiner gekocht, in diesem Zusammenhang fällt aber nur die mafiöse Erpresserei weg, mit der italienische Ultras oder gar die Verbrecher-Syndikate, die sich im Velodrom von Marseille breitgemacht hatten, sich ihre Machtstellung erkauft hatten.

Der Deal an sich ist derselbe.
Und dieser Deal ist ein virtueller.
Die Ultras bieten Stimmung, im besten Fall Choreografien, mit denen sich der Fußball medial prächtig vermarkten lässt.
Die Vereine drücken dafür alle Augen zu, wenn es um die Ultra-Auswüchse, den unkontrollierbaren Ausbruch von Hass und Gewalt betrifft.

Wenn aber eine Gruppe, die jenseits von Moral und Ethik steht, sich im gesetzlosen Raum wähnt und keinen Gegendruck verspürt, schnappt sie über. Und weil sich die Vereine zu diesem Zeitpunkt schon von ihnen abhängig gemacht haben, werden sie gefickt.

Biedermann schenkt den Brandstiftern die Benzinkanister

Und es kommt wie in der zeitlosen burlesker Parabel von Max Frisch Biedermann und die Brandstifter: Letztlich kauft Herr Biedermann den Brandstiftern, die er in seinem Dachboden wohnen lässt, dann sogar noch das Benzin mit dem sie sein Haus abfackeln werden.

Der (virtuelle) Deal zwischen Klubs und Ultras ist nämlich ein rein einseitiger. Die einen stellen reelle Leistungen (den sportlichen Betrieb, die Infrastruktur, das Personal etc.), die anderen bieten das flüchtige Gut "Stimmung". Die anderen Angebote der Ultras sind rein destruktiver Natur: Gegner-Beschimpfung und auch Gewalt-Attacken und Bedrohungs-Szenarios eigener Spieler/Funktionäre.

Alles was der Verein dagegen unternehmen kann, ist die ununterbrochene Verschiebung der Grenzen, die man als gerade noch zulässig erachtet, durch Schönreden als Erfolg zu präsentieren.

Wenn auch eines, das die Hütteldorfer besonders lächerlich macht - wie es das nachträgich "entdeckte" Lager der Ultras unter der West verdeutlicht.
Übrigens: eine Riesen-Mitschuld tragen die fahrlässig naiven Hans Krankls im Umfeld, die den Mythos der "besten Fans" - entwedeer wider besseres Wissen oder aus purer Dummheit - so stark verbreitet haben.

Dass es heute die Rapid-Ultras waren, die in einer meisterschafts-entscheidenden Phase einen Spielabbruch herbei-inszenierten, ist zwar kein Zufall (sie sind die zahlenmäßig größte Gruppe, die schon allein deswegen die größte Anzahl aus gruseligen Figuren enthält) aber nur ein Beispiel für viele.

Rapid = Austria = Sturm = viele andere

Letztlich sind die perversen Schlägereien zwischen Alt-Salzburger und Innsbrucker Ultras, die Neonazi-Scheiße, mit der sich Austria Wien bis vor kurzem herumschlagen lassen musste, die widerlichen Vorkommnisse bei Sturm Graz und das seit Jahren schwelende inhaltliche Elend der Rapid-Ultras alle Symptom derselben dumpfen Erkrankung, die teils Erbe der Blockwarte-Väter, teils aber selber antrainierter Idiotien ist.

Zu meiner Überraschung spricht es der mutige ORF-Analytiker Roman Mählich auch deutlich aus: Es gibt in ganz Österreich keine Anfeuerungskultur, sondern nur eine Niedermacher-Kultur; und er vergleicht das zu Recht mit Tschechien, Polen oder dem Jugoslawien-Nachfolgestaaten, wo nationalistischer Terror regiert, der durchaus auch an Neonazi-Irrsinn andockt.
Wovon, vor allem die Wiener Klubs, ja auch nie gefeit waren. Die Neonazi-Einflüsse ziehen sich bis heute ja noch in Teile der Rapid-Ultras; bei der Austria zeigten sie ihre hässliche Fratze ja auch ganz offen.

Die Sache mit der unbrauchbaren Stimmung

Nun ist das beliebteste Argument für Biedermanns Duldung der Brandstifter, dass nur sie, die Hooligans und Ultras tolle Stimmung mitbringen; weil sonst alles so aussehen würde wie in Salzburg. Dort sind lahmarschige Schönwetter-Fans aus einer Schnösel-Bürger-Kultur, die erst etwas geboten bekommen wollen, ehe sie reagieren, in einer Art Theater-Koalition unterwegs; zu doof für die Fußball-Weisheit, dass jedes Spiel immer nur so spaßig werden kann, wie es die Fans machen.

Und natürlich würde das, was jetzt dringend notwendig wäre, das komplette Aussperren der Hardcore-Ultras, aus deren Kreise die Anweisungen, die Spiele zu zerstören, ja immer kommen, diesen Stimmungs-Killer automatisch nach sich ziehen.

Es würde vielleicht Jahre dauern bis eine neue Generation konstruktiver junger Fußball-Fans eine Kultur entwickelt, die sich nicht in peinlichem Hass auf (manchmal sogar abwesende, meist virtuelle) Gegner suhlt, sondern eine fantasievolle Anfeuerungs-Kultur der eigenen Mannschaft ist (wie das im einzelnen Positivbeispielen in unteren Ligen ja auch bereits praktisch funktioniert).

Da fehlt in Österreich aber noch vieles - kein einziges Bundesliga-Team verfügt etwa über einen wirklich witzigen, originellen und variablen Anfeuerungs-Chor für die eigene Mannschaft, die wenigen Texte feiern nur sich selber, meist sind auch nur ein peinliches Ärgernis.

Wer glaubt noch an "In aller Schärfe vorgehen"?

Andererseits: Wenn die Ultras nach dem heutigen Platzsturm in der dümmstmöglichen Phase nicht abgestraft und mit Stadionverboten auf Lebenszeit belegt werden, dann wird es das nächstemal Verletzte und in weiterer Folge Tote geben; samt Attentaten auf Spieler, auch der eigenen Mannschaft. Ein Großteil der Disco-Schlägereien, in die Fußballer verwickelt sind, entsteht ohnehin schon heute aus solchen bewusst inszenierten Situationen.

Aber, in Kenntnis der Realität:
Es wird eh nix passieren.
Oder: kaum etwas.

Rapid kündigt zwar einen Vorgang mit aller Schärfe an.
Das ist schon dutzende Male geschehen ohne dass sich etwas geändert hat (auch als der jetzt zurückgeholte Peter Schöttel von Hooligans aus dem Stadion gepöbelt wurde).
Und zwar weil sich die prinzipielle Biedermann-Haltung nicht geändert hat.

Das merkt man auch schon an der vorgreifenden Beschützung der üblichen Verdächtigen, die, so die Rapid-Verantwortlichen, von "bösen fremden maskierten Männern", die niemand gekannt hat, aufgeputscht wurden. Vom Schwarzen Mann also. Und die Warner sind plötzlich (in subtiler FPÖ-Diktion) "Gutmenschen" (Zitat Andreas Marek). Das sind klassische Phasen der Verdrängung von Realität, die auch der Biedermann durchläuft, ehe ihm seine Hütte unterm Arsch angezündet wird - von den Brandstiftern, denen er dann auch noch das Streichholz reicht.

Die machtlose Koalition der Angsthasen

Aber auch die Austria hat sich nach der Eindämmung der Nazi-Pest als nicht wirklich lernfähig erwiesen: Zuletzt nach der Cup-Niederlage gegen Lustenau agierte man peinlich machtlos gegen vielleicht 80 Fans in Droh-Position, die entweder einen Spieler umbringen oder den Trainer entlassen wollten. Dass in Graz nach den letzten Widerlichkeiten genau nichts passiert ist - genauso eh klar.

Hier noch ein paar Links zu einigen Weiterführern:
Michael Fiala auf 90minuten, Thomas Pöll auf sportnet, Harald Prantl auf laola1 und Hannes Tschürtz, der in seinem Blog auch politisch weiterdenkt.

Und noch ein Nachtrag von Mittwoch: da demonstriert die Neonazi-Kolonne unter den Austria-Fans ungehindert für einen wegen Mord verurteilten spanischen Neonazi-Gesinnungsgenossen.

Warum sollte also jetzt, abgesehen von ein paar Abmahnungen, alles so ganz anders werden? Werden die Wege die in England, Spanien oder Deutschland, wo man derlei Großteils unter Kontrolle hat, nach konzertierten Anstrengungen natürlich, beschritten werden?
Ich sage: nein.

Die diesbezüglich immer erstaunlich windelweiche Bundesliga, der sich da immer wieder erstaunlich elegant abputzende ÖFB, die, wie es ihnen passt, hin- oder wegschauenden Medien, die politischen Profiteure hinter den Kulissen und vor allem die am Gängelband des eigenen Missinterpretation ihrer Situation zappelnden Biedermänner in den Vereinsvorständen werden garantiert verhindern, dass sich der heimische Fußball von seinen destruktiven Auswüchsen befreit.
Und sehenden Auges in die nächste Blamage torkeln.