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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

20. 5. 2011 - 18:46

"Ein alter Schwerenöter"

Die Opfer-Täter-Umkehrung und sprachliche Verniedlichung in der Berichterstattung zum Fall Strauss-Kahn.

Gestern hat die Grand Jury in New York alle Anklagepunkte gegen den Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bestätigt. Ihm wird vorgeworfen, vergangenen Samstagmittag ein Zimmermädchen eines New Yorker Hotels sexuell belästigt zu haben bzw. versucht zu haben, sie zu vergewaltigen. Strauss-Kahn musste daraufhin als Währungsfonds-Chef zurücktreten, er war auf der Gefängnisinsel Rikers Island inhaftiert und ist heute gegen eine Millionenkaution freigekommen.

„Ein alternder Lustmolch“ – „ein notorischer Schwerenöter“ – „ein Gentleman der alten Schule, der über seine Geilheit gestolpert ist“. Das sind die Attribute, mit denen Dominique Strauss-Kahn, mittlerweile zurückgetretener Chef des Internationalen Währungsfonds und Ex-Präsidentenkandidaten-Hoffnung der französischen Sozialisten, im Zusammenhang mit den Vergewaltigungsvorwürfen, pardon seiner „Sex-Affäre“, versehen wird.

Vergewaltigung gibt es als Straftatbestand erst seit einigen Jahrzehnten. Sexuelle Gewalt gegen Frauen dagegen seit Jahrtausenden und eben auch entsprechende patriarchale Verteidigungsstrategien. Die eine ist, die Tat selber sprachlich zu verharmlosen. Deswegen wird im Fall Strauss-Kahn auch nicht von einer Straftat oder von Gewalt gesprochen, sondern von „Überrumpelung“ und „Zudringlichkeit“. Und deswegen ist der Tatbestand eine Sex-Affäre und keine Vergewaltigung. Ein Wort, das neben der Verniedlichung auch eine gewisse MittäterInnenschaft des mutmaßlichen Opfers suggeriert. Und es wird öffentlich betrauert, wie eine so kleine „Schwäche“ einen derartig beliebten Politiker und Hoffnungsträger der Linken zu Fall bringen konnte.

Mediale Mechanismen

Wird öffentlich-medial über sexuelle Gewalt gegen Frauen gesprochen, können bestimmte Mechanismen beobachtet werden: Kommt der erste Verdacht auf, springen die Medien schnell auf und es wird in allen Details berichtet. Sobald der Neuigkeitswert und der Überraschungseffekt der Nachricht verschwunden ist, braucht es einen neuen Blickwinkel, der die Story weiter am Laufen hält. Ein so genannter Weiterdreh, der dann meist so klingt: Möglicherweise war das erfunden, möglicherweise ist der Sex einvernehmlich passiert und die Frau hat es sich in der letzten Minute anders überlegt oder eben die große Verschwörungstheorie: Das ist ein Komplott gegen einen mächtigen Mann.

Dominique Strauss-Kahn

AP Pool

Dominique Strauss-Kahn

Auf die Enthüllung folgt in der der Berichterstattung also ganz schnell eine Umkehrung – wo der mutmaßliche Täter zum Opfer stilisiert wird und das Opfer zur potenziellen Täterin wird.

Doppelmoral

Zur Untermauerung dieser Thesen – der der Verschwörung oder der der Vergewaltigung - wird dann gerne das Vorleben - vor allem das sexuellen Vorleben - der Involvierten hervorgekramt und öffentlich diskutiert. Bei Strauss-Kahn zum Beispiel wird gesagt, er sei ein bekannter Schwerenöter. Er selbst meinte ja schon einmal, seine Schwächen seien Geld, Frauen und seine jüdische Herkunft. Ja, Nicolas Sarkozy soll ihn vor seinem Umzug in die USA sogar gewarnt haben, nicht mit einer Frau alleine im Aufzug zu fahren.

Der angebliche Bruder hat sich mittlerweile wieder als Fake herausgestellt.

Umgekehrt hat sich ein angeblicher Bruder des Zimmermädchens zu Wort gemeldet: Die Migrantin aus Guinea soll gläubige Muslimin sein und nur mit Kopftuch außer Haus gehen. Jeden Tag sei sie direkt von der Arbeit nach Hause gegangen, um sich afrikanische Fernsehsendungen anzusehen. Sie soll ungebildet gewesen sein, nicht einmal gewusst haben, wer der Bürgermeister von New York sei, geschweige denn jemals von Strauss-Kahn gehört haben.

Das klingt ja alles recht lustig, zwischen den Zeilen zeugen diese Ausschmückungen der Yellow Press aber von einer perfiden Doppelmoral: Strauss-Kahn wird zugestanden, schon immer ein Schwäche für Frauen gehabt zu haben. Seine bisherige Freizügigkeit wird ihm als mildernder Beurteilungsgrund unterstellt. Und gleichzeitig wird sexuelle Gewalt schon allein durch die Sprache, mit der sie benannt wird, verniedlicht. Umgekehrt muss das Opfer einen fast Klosterschwester-artigen Lebenswandel vorweisen, um sich von jedem Verdacht befreien zu können, den Sex nicht vielleicht doch gewollt zu haben oder gar selbst initiiert zu haben. Im Falle dieser Frau ist es also das Bild der armen, ungebildeten Muslima, das sie zu verkörpern hat.

Umgekehrte Beweislast

Solche Geschlechterklischees und angewandte Doppelmoral sind aber nicht nur bei derart prominenten Fällen, wie jenen von Dominique Strauss-Kahn, zu beobachten: in den meisten Fällen von Vergewaltigung müssen Frauen sich von jedem Verdacht, ein „Flittchen“ zu sein, befreien können. Das beginnt damit, wie sie sich kleidet, wie oft sie Sex hat, ob sie innerhalb oder außerhalb einer Beziehung Sex hat. Spricht ihr moralisches Verhalten gegen sie, kann sie auch nicht vergewaltigt worden sein.

Berühmtestes Beispiel aus Wien war die Verhandlung der Vergewaltigung einer Prostituierten im Jahr 2005: Vom Gericht wurde da besonders mild geurteilt, denn Prostituierte würden ja nicht unter einer Vergewaltigung leiden, weil sie eben Prostituierte seien und keine „zartbesaiteten Bürgerstöchterl“.

Eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen, bedeutet für die Betroffene also, damit rechnen zu müssen, dass ihr gesamtes Vorleben an die Öffentlichkeit gezerrt und moralisch zerpflückt wird. Implizit versenden solche Fälle auch die Botschaft: Nur wenn du moralisch rein bist, darfst du den ersten Stein werfen. Also Anklagen von Vergewaltigungen haben nur dann Erfolg, wenn du aus dem vom Wiener Staatsanwalt zitierten "Mädchenpensionat" kommst. Und genau das, diese Opfer-Täter-Umkehr, ist ein fatales Signal an alle Frauen, denen sexuelle Übergriffe oder gar Vergewaltigungen passieren. Und die es sich dann nicht mehr nur zweimal, sondern noch wesentlich öfter überlegen, ob sie tatsächlich damit zur Polizei gehen.