Erstellt am: 19. 5. 2011 - 13:54 Uhr
Fußball-Journal '11-40.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute aus Anlass der ÖFB-Kader-Bekanntgabe für die beiden nächsten Länderspiele.
Der Kader für die Länderspiele gegen Deutschland (3. Juni in Wien, EM-Quali) und Lettland (7. Juni in Graz, Test)
Tor: Christian Gratzei (Sturm), Helge Payer (Rapid), Hans-Peter Berger (Admira)
Abwehr: Ekrem Dag (Besiktas), Aleksandar Dragovic (Basel), Emanuel Pogatetz (Hannover), Paul Scharner (WBA), Christian Fuchs (Mainz), Florian Klein, Manuel Ortlechner (Austria), Thomas Schrammel (Ried).
Mittelfeld: David Alaba (Hoffenheim), Stefan Kulovits (Rapid), Manuel Weber, Andreas Hölzl (Sturm), Julian Baumgartlinger, Zlatko Junuzovic (Austria), Christoph Leitgeb (Salzburg), Daniel Royer (Ried), Martin Harnik (Stuttgart).
Angriff: Erwin Hoffer (Kaiserslautern), Marc Janko (Twente); Roman Kienast (Sturm Graz)
Auf Abruf sind: Georg Margreitter (Austria), Guido Burgstaller, Alexander Grünwald (Neustadt), Jakob Jantscher (Salzburg), Christopher Drazan (Rapid), Ümit Korkmaz (Bochum), Marko Arnautovic (Werder), Stefan Maierhofer (MSV), Roland Linz (Austria), Roman Wallner (Salzburg). Dazu kommen (im Notfall, zb bei den Torleuten) Spieler aus dem U21-Kader.
Verletzt sind Jürgen Macho (Panionios), Pascal Grünwald (Innsbruck) Sebastian Prödl (Werder), Franz Schiemer (Salzburg), Yasin Pehlivan, Veli Kavlak, Christopher Trimmel (Rapid), Jürgen Säumel (MSV), Patrick Wolf (Sturm), Marko Stankovic (Austria) uvam.
Auch verletzt: Andreas Ibertsberger (Hoffenheim), György Garics (Bologna).
Zurückgetreten: Martin Stranzl (Gladbach), Alexander Manninger (Juve).
Unberücksichtigt: Andreas Ivanschitz (Mainz), Mika Gspurning (Xanthi), Markus Berger (Academica), Rubin Okotie (Nürnberg), Andreas Ulmer (Salzburg), Thomas Prager (Luzern), Daniel Beichler (St. Gallen).
Die U21-Mannschaft für die Testspiele in Dänemark (31.5.) und Portugal (3.6.) wird Andreas Herzog am Montag nominieren.
Der aktuelle U20-Kader für den Vorbereitungs-Lehrgang auf die WM in Kolumbien findet sich hier, aus dem A-Teamkader sollen Alaba und Dragovic folgen.
Die U19 (die aktuell auch auf ein paar in die U20 aufgerückte Akteure verzichten muss) hat schon, gestern, gegen Deutschland gespielt und mit 1:0 verloren.
In der Politik gibt es den Begriff der Lame Duck: Wer in absehbarer Zeit aus dem Amt scheidet, dessen Entscheidungs-Gewalt schwindet dementsprechend.
In Österreich, wo vieles anders funktioniert, ist des öfteren anderes zu beobachten: Der bis dorthin vorsichtige und kompromisslerische Amtsinhaber fasst, sobald seine Nichtweiterbestellung klar ist, plötzlich Mut. Alles, was zuvor aus Rücksichtnahme auf eventuelle Selbstbeschädigung (Stichwort: wer sich bewegt, verliert) nicht möglich war, wird zur Option. Weil's wurscht ist. Mehr als den eh schon auslaufenden Job verlieren geht nicht.
Als zum Beispiel dem damaligen ORF-Generalintendant Weis klar wurde, dass die schwarz-blaue Koaltion von 2000 ihn (trotz seiner durchaus opportunen politischen Punzierung) ablösen und durch ein Team von Hardlinern ersetzen würde, nutzte er die restliche Zeit seiner "Lame Duck"-Phase um gewichtige Anliegen und innere Reformen (wie etwa das Monster-Projekt KV 2003) auf Schiene zu stellen und so einem fürderhin Politeinflüssen schutzlos ausgeliefertem Unternehmen wenigstens eine solide Basis zu verschaffen.
Die Milde des baldigen Abgängers
Nun ist ÖFB-Teamchef Dietmar Constantini kein Gerhard Weis, der seinen Montaigne und seinen Sun Tzu auswendig kannte, sondern jemand, der öffentlich erklärt, dass Taktik nicht so wichtig ist.
Trotzdem ist Constantini seine Lameduckigkeit (vielleicht instinktiv) bewusst; und er reagiert entsprechend. Und da doch einigermaßen überraschend.
So kamen bei der heutigen, ein wenig depressiv beginnenden Vorstellungs-Runde für den Kader zum Deutschland-Match am 3. Juni kaum weinerliche Grundtöne vor. Als die Rede auf die Möglichkeit, für das, dem WM-Quali-Match gegen die überragenden Deutschen folgende Test-Spiel gegen Lettland, Spieler aus dem großen 23-Mann-Kader in einen früheren Urlaub zu schicken, kam, scherzelte Constantini den Verbal-Ball in Richtung: "Vielleicht gilt das dann ja auch für mich" ab. Das wird zwar eher nicht passieren (es sei denn, das ÖFB-Team geht fatal unter) trotzdem ist demnächst dann Schluss. Ein Coach, bei dem selbst Mr. Oberflächlich Franz Beckenbauer peinliche Planlosigkeit feststellt, ist einfach unhaltbar.
Dieses Wissen um den bevorstehenden Abschied zieht eine gewisse Milde nach sich, selbst im Camp Constantini.
Bedauern, Selbstkritik, Entschuldigungen... naja, fast...
Anflüge von Selbstkritik, vor allem nach dem bislang schöngeredeten Türkei-Spiel - das habe er sich noch ein paarmal angesehen und ja, alles im Mittelfeld vergeigt.
Seinen weißen Wal, Andreas Ivanschitz, habe er zuletzt beobachtet, der wäre wieder näher dran, man könne fast von einem Sinneswandel sprechen. Martin Stranzl gestand Constantini eine Top-Halbsaison zu, und sprach mit diesem sogar durchaus ehrlichem Bedauern (beim Ausfall von Prödl und Schiemer kein Wunder) von dessen selbsterklärten, unverrückbaren Rücktritt.
Christoph Leitgeb, den er im letzten Halbjahr ohne Not und durch überflüssige Aussagen (DiCo Quasi-Entschuldigung: damit muss ich leben) beschädigt hatte, ist wieder dabei. Wobei: ein wirklich guter Teamtrainer, einer wie Herr Löw, erkennt, dass die Leitgeb-Unform am grauslichen Herrn Stevens liegt und holt ihn ins Team um ihn aufzubauen - funktioniert bei Herrn Klose und anderen auch.
Manuel Weber von Sturm Graz, der es seit langem verdient hätte, ist endlich einmal dabei, und auch der junge Daniel Royer von Ried bekommt mit der Nominierung ein anerkennendes Nicken.
In Bezug auf seine drei Stürmer (Janko, Kienast, Hoffer) betont Constantini extra, dass Stammspieler schon bevorzugt werden würden. Dass der Super-Poser Maierhofer, der auf fünf Minuten im Cupfinale hofft, nicht fit genug für eine Nominierung ist, erklärte der Teamchef unaufgeregt.
Arnautovic oder Nicht-Arnautovic und die Zwischenlösung
Und: die Entscheidung, den gebeutelten Marc Arnautovic vor dem Deutschland-Spiel vor sich selber zu schützen (ein blöder Satz bei einem Interview hätte gereicht um ihn fertigzumachen) und nicht zu nominieren, ist nicht nur sportlich, sondern menschlich höchst nachvollziehbar. Dass sie medial für die meiste Aufmerksamkeit sorgt, eh klar, aber in seiner Berechenbarkeit nicht so interessant.
Das sind allesamt Töne und Gesten, die der "Mir is wurscht!"-Constantini der anfänglichen EM-Quali niemals ausgepackt hätte. Und das hat nichts mit prinzipiellen Einsichten, einer plötzlichen philosophischen Erleuchtung oder zugeflogenem Sinneswandel zu tun - es geht um das Lame-Duck-Bewusstsein. Und im Fall von Constantini äußert sich das (natürlich) nicht in strategischen Weichenstellungen (glücklicherweise...) sondern in vermehrter Harmonisierung innerhalb des breitestmöglichen Konsenses.
Einer wie Constantini will, als eine Art Anti-Pacult, keine schlechte Nachred', sondern als lässiger Typ aussteigen, imagemäßig; als einer, der mit (fast) allen irgendwie noch schnell Frieden schließt und einen weichen Abgang macht. Verbrannte Erde ist nicht gut für Werbe-Aufträge und neue Angebote.
Personelle Schwerfälligkeit
Natürlich stimmt auch weiterhin wenig.
Dass sich die ÖFB-Trainer nach den Ausfällen von Jürgen Macho und Pascal Grünwald auf Zweitligisten Hans-Peter Berger als Nr. 3 einigen, ist zwar auch eine hübsche Geste, gegenüber einem europäischen Erstliga-Torhütern doch ein wenig absurd.
Außerdem: Bruder Markus, der bei Academica im Europa-League-Land Portugal eine Top-Saison gespielt hat, ist trotz Innenverteidiger-Mangel nicht einmal eine Überlegung wert. Manfred Zsaks Gestammel über seine Andreas Lasnik-Beobachtung ist eh nur zum Fremdschämen.
Und die Ausrede, den grade halbwegs wieder Fuß fassenden Ümit Korkmaz nur auf Abruf dabeizuhaben, weil man mit Christian Fuchs (Fuchs? Ja, Fuchs), Alaba und Royer links im Mittelfeld eh gut besetzt sei, riecht ein wenig streng.
Dass es keinen Tormann auf Abruf gibt, dass Harnik wieder als rechter Mittelfeldspieler und nicht als Stürmer, dass Scharner wieder als Verteidiger und nicht als Mittelfeldspieler nominiert ist, zeigt einmal mehr die strategische Schwerfälligkeit der Verantwortlichen.
Die Grundschwere überlagert die Leichtigkeit der Situation
Diese Schwere fiel selbst den Unsensibelsten der Unsensiblen, den Sportjournalisten bei der Pressekonferenz auf. Als ob sie direkt aus der Sauna kommen würden, säßen sie da am Podium, sagte Gerhard Gries, seit Jahren 'lame duck' des Sportjournalismus ältesten Stils, frei heraus.
Dass sich die Schwere, die vor allem Constantini und Stummerl Zsak ausstrahlen (Franz Wohlfahrt geht gefühsmäßig, womöglich zurecht, davon aus, dass er seinen Nebenjob als Tormanntrainer auch nach dem DiCo-Ende behalten können wird), überhaupt nicht zur Leichtigkeit der Vorbereitung passt, wird bei einer Frage nach dem Lettland-Spiel evident. Welchen Wert dieses Test-Match nach einem Quali-Spiel denn habe? Antwort: "Ich kann mich jetzt nicht mit Lettland befassen." Abgesehen davon, dass man sich im Fußball wie im Schach und im Leben immer auch mit dem übernächsten Schritt befassen kann (vor allem dann, wenn es die Job Description verlangt), ist ein Satz zur prinzipiellen Wertigkeit keine Zumutung, sondern gelebte Verpflichtung.
Daran, am Wegwischen von weiterführender Verantwortung ändert also auch das irgendwie kuschelige Gesamtgefühl dieser Lame-Duck-Phase von Constantini nichts.