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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 5. 2011 - 22:49

Journal 2011. Eintrag 101.

Angst vor Bob Dylan.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit dem bereits zweiten Eintrag zum heraufdräuenden "Bob Dylan ist 70 und die Welt feiert ihn ab"-Schwerpunkt. Heute mit dem Fokus auf die Ängstlichen.

Teil 1, Journal-Eintrag 96: Die dritte Generation der Dylan-Rezeption und was das mit "Ja, Panik" und dem "Nino aus Wien" zu tun hat.

Nur noch ein paar Stunden bis zum Dylan-Symposium Refractions of Bob Dylan - Cultural Appropriations of an American Icon an der Uni Wien (einem von geschätzten 800 dieser Tage weltweit stattfindenden Zusammenkünften, allerdings einem der besser besetzten), nur noch wenige Tage bis zum tatsächlichen 70. Geburtstag des Titanen, die Dylan-Linkschleudern wie expectingrain schürfen Tag und Nacht - und der Druck erhöht sich. Rundherum wollen Menschen Einschätzungen, Bewertungen, mundgerechte Zusammenfassungen und kleine Gags - und der einzige Grund dafür ist, dass sie wissen, dass du dich mit etwas und jemanden dauerbeschäftigst, auf das oder den sie eben nur aus Anlass von Jubiläen stoßen. Dementsprechend eigentlich desinteressiert sind sie, dementsprechend abgebrüht kommt vor allem die mediale Rezeption daher. Eine hastige 12-Sekunden-Expertise bitte, mehr nimmt uns der "Kunde", wie der Medien-Konsument jetzt oft heißt, dessen Interesse immer unter dem eigenen eingestuft wird, eh nicht ab.

Das ist der Normalzustand bei Jubiläen von Pop-Ikonen, und es fängt schon bei aktiven Noch-Lebenden wie Lady Gaga an.

Bei Bob Dylan kommen noch ein paar Erschwernisse dazu. Die größte, absurdeste, tragischste und witzigste zugleich ist die Angst. Die Angst vor Bob Dylan zieht sich wie ein roter Faden durch die österreichische Pop-Rezeption.

Angst vor Papa als renitentes schlechtes Gewissen

Ich habe letzte Woche, quasi aufbauend, hier die vom vor ein paar Wochen durch einen Verkehrsunfall aus dem Leben gerissenen Günter Amendt getroffene Definition der deutschsprachigen Dylan-Rezeption zitiert. Wichtig ist dabei die zweite Generation, das sind die, die sich an Dylan abarbeiten, als ob er ihr Hippie-Vater, oder ihr 68er-Vater, oder ihr Text-Vater oder ihr fleischgewordenes schlechtes Gewissen wäre, das sie dauernd dran erinnert, ungehemmte Präsenz zu zeigen, zu stören, zu renitieren und immer das zu tun, was die anderen grad nicht erwarten.
Alles tolle Dinge, wild und intensiv - aber wenn einem Papa das vorlebt, dann kann das ganz schön luftraubend sein.

Die dritte Generation, die wieder völlig unverkrampft an die Sache rangeht und Dylan neu entdeckt und frisch bewertet, sich an seinen musikalisch hypnotischen Bögen und seiner ungestümen Text-Quadratur ergötzt, die hat die alte Kacke hinter sich gelassen. Im Moment vertreten das junge Musiker wie "Ja, Panik" oder der Nino aus Wien, die auf ihren neuen Alben geradezu atemberaubende Variationen von dylanesker Verve entwerfen. Ungehemmt.

Die Medien-Vertreter sind (warum sollte es im schein-forscher popjournalistischen Kontext auch anders sein als in allen anderen Bereichen) nicht einmal ansatzweise soweit. Da steckt man tief in Phase 2 fest. Angst vor Papa, Angst vor Bob Dylan. Teilweise reichen die Ressentiments sogar noch in Phase 1 zurück, als die alten Machtzentren auf Dylan vor allem als jüdischen Intellektuellen, quasi als Ostküstler, hinwiesen. Ansonsten der immer selbe Käse: diese komische Stimme, immer so verbissen politisch, brauchbarer Lagerfeuersongschreiber aber grottiger Interpret, Verräter an eigentlich allem und allen, muffiger Maskenwechsler, und überhaupt überschätzt.

Angst vorm Trickster, Angst vorm Akademischen

Nun, ob man den Künstler, der Hochkultur und Popkultur als erster an einen Tisch zwang, der (politischen) Folk mit (unpolitischem) Rock vermählte, der die Poptexter auf ein neues Level zwang und nebenbei Country, Folk und Blues zu dem zusammenführte, was man heute Americana nennt, unter- oder überschätzen mag, steht jedem frei.
Dass der beste Interpret von Dylan-Songs Bob Dylan ist, lässt sich mittlerweile ebensowenig bestreiten, wie die gleichzeitige Qualität für Mitsing-Lagerfeuer und Literatur-Studien. Und dass ein Popkünstler permanenter Veränderung unterliegt, sollte sich (allerspätestens seit "I'm not there") auch herumgesprochen haben. "God, I'm glad I'm not me!" sagt Dylan einmal in "Don't Look back", als er eine Rezension liest. Je est un autre.

Österreichs mediale Dylan-Rezeption biegt sich ihr ganz spezifisches Bild zurecht: Man verehrt den alternden Dylan, den weisen Blues-Man, der mit Deathcore-Balladen wie "Death is not the end" die biedere Weinseligkeit besser unschmeichelt; man beteiligt sich an skandalisierten Schein-Debatten wie dem China-Vorfall und reproduziert nebenher die alten, seit den 60ern tradierten Klischees. Dass sich in den Basements down the stair mittlerweile eine neue Generation der alten Stücke angenommen hat und daraus ganz andere, weniger spekulative und weniger anmahnende Schlüsse zieht, hat sie übersehen. Sie steckt fest, in der Angst.

Das hat auch mit der Angst der Bevormundung durch selbsternannte Dylanologen zu tun. In Österreich ist die Angst vorm Akademischen sowieso übergroß, Pop muss DJ Ötzi-Territorium sein, so sinnbefreit wie möglich, a Gstudierter, der Gitarrenkunde betreibt - ein Graus.
Dass Dylan kein Gstudierter war/ist, sondern der Autodidakt schlechthin, klassentechnisch von weiter unten kommt als die sonst Mittelklasse-geprägte Popmusik, wird dabei gern übersehen.

Angst davor das Programm zu sprengen

Am Wochenende wird im Profil eine angestrengt ächzende kritische Geißelung des Vaterbilds stattfinden, davor im Format die vage-ironische Anklage eines Popfans, der Dylan als ewigen Erinnerer an die Bedeutung von Kunst und somit als Spaßverderber sieht (weil er die Manfred Mann-Versionen viel lieber mag). Im aktuellen Falter kriegt man die Kurve über Handke und, Ausnahme, die von mir angesprochenen Musiker. Und die Tagespresse wird den heimlichen Glücksfall des privatistischen Essays von Christian Schachinger nicht mehr überbieten - der Rest wird angsterfülltes Starren und Staunen sein.

Ich weiß das auch deshalb, weil es selbst im besten aller Popular-Medien so ist: dem FM4-Radio. Auch da sind gleich zwei, wenn nicht drei Generationen in oben beschriebener Phase 2 verfangen. Als es darum ging, am nächsten Dienstag, so als Schwerpunkt und/oder Hommage, im Tagesprogramm jede Stunde (oder jede zweite) mit einem kurzen Item und einem Song zu veredeln, herrschte kurzzeitige Panik. Dylan, das gehe gar nicht, würde einem das Programm irgendwie zusammenhaun. Und schon war sie wieder da, die Angst vor dem Ungeheuerlichen, dem Programm-Sprengenden.

Ich hab lachen müssen, als ich das gehört habe.
Nicht weil ich das nicht erwartet hätte (ich kenne diese irgendwie führend unveränderbaren Einstellungen ja zur Genüge), auch nicht weil das damit offen zur Schau gestellte Unwissen immer dreister ausgestellt wird; sondern weil es doch höchst grotesk ist, dass heute mit denselben kleingeistigen Ängsten argumentiert wird, wie anno dunnemals, im amerikanischen und im europäischen Mainstream oder (in seiner hierzulande reaktionärsten und dümmlichsten Form zugleich) im peinlichen alten Peter-Barwitz-Ö3-Radio, wo man nicht nur Angst vor Dylan als musikalischem Straßenaufreißer, sondern auch noch als poltisch-radikale jewish-commie-rat hatte.

Angst vor Text-Intensität und hypnotischen Endlosstücken

Es fehlt nämlich auch hier jegliche Grundlage.
Wenn ich mir den Prozentsatz der FM4-Acts, die sich auf Americana, Folk, Country, Blues, Textinsensität und hypnotischer Repetativität anschaue, dann sind praktisch alle massiv dylan-influenced; und das reicht dann eben von Ezra Furman über Bright Eyes bis Arcade Fire. Und der Produktions-Sound etwa der Strokes unterscheidet sich nicht wirklich hörbar zu bestimmten Dylan-Phasen.

Das, was im Weg steht, das was Angst macht, ist nicht das, was Dylan tatsächlich darstellt, sondern immer noch der Im-Nacken-Sitzer dieser Generation mit den unaufgearbeiteten Vater-Komplexen.
Dort wo die jungen Musiker sich längst als Enkel sehen, die die Wucht und die Besonderheit des Opas wertfrei als klasse Sache sehen können, deren Patina man wegwischt und die man sich dann neugierig anschaut, da lassen sich die gefühlten Söhne die Graupelschauer der Klischee-Produktion über den Rücken jagen.

Dabei wäre es einfach.

Ich zitier' jetzt einen Mann, der weder als Intellektueller gilt noch jemals wirklich grüblerisch unterwegs war.
"Er hat mich schon als Bub irgendwie fasziniert, diese Sandpapierstimme, das schneidende Mundharmonikaspiel, die teilweise schon schmerzhafte Wüstheit von Gitarre und Gesang. Damals hab ich überhaupt keine Ahnung gehabt worum's beim Dylan eigentlich geht. Das erstemal wie ich mir die Texte genau angschaut hab, ist es mir schlagartig gekommen: da steckt was für mich drin, und ich würd gern so assoziativ und lautmalerisch schreiben."

Spechtl, Mandl, Ambros haben keine Angst

Sagt Wolfgang Ambros in einer Monografie von Günter Brödl, 1984. Sechs Jahre davor, als erster im deutschen Sprachraum überhaupt, hat er sich getraut Dylan zu übersetzen und zu covern. Und das Album "Wie im Schlaf" hält dem Zeittest durchaus heute noch stand, in jeder Hinsicht.

Alles, was nötig ist, damit sich auch die österreichische Dylan-Rezeption aus ihrer Angst und den daraus entstandenen Zuschreibungen zu lösen, steckt in diesen Ambros-Sätzen drin. Sätze, die - ohne sie zu kennen - von den Spechtls und Mandls dieses Landes verinnerlicht und fortgesponnen wurden. Aber die (und einige andere mehr) sind wohl deutlich zu weit vorne.

Meinen Beitrag zum Dylan-Symposium leiste ich am Samstag nachmittag: zuerst ein Paper (gemeinsam mit Alexandra Ganser) zum Thema "Bringing It All Back Home? Wolfgang Ambros’ Austrian Appropriations of Bob Dylan", dann als Teil des Round Table: Dylan und Österreich.

Dylan lässt sich nämlich auch ganz ohne die dramatisch klingenden Crossroads-Erlebnisse, die ich da oben eingeflochten habe (um ihn als Zusammenführer der Kulturen auszuweisen) erleben. Auch weil es in jeder Einzelzeile und in jedem bewusst gesetzten Twang seiner großen Stücke sowieso mitschwingt, spielerisch.

In einer besseren Welt würde ich am Dienstag "sieben verstörende Momente aus den sieben Leben des Bob Dylan" präsentieren, um da Absurdes und Relativierendes darzustellen und so das Ikonische, das eh niemand mehr verachtet als Dylan selber, zu unterlaufen.

Solange aber eine in ihren Ängsten verfangene Medien-Generation nicht aus den Klischee-Sümpfen findet, und bestrebt ist, das Relativierende zur Hauptsache zu machen anstatt sich wie die 3. Generation einfach an der Könnerhaftig- und Spaßigkeit des da neu zu Erstaunenden zu ergötzen, geht sich das nicht aus.