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Das Biber

Artikel aus dem Stadtmagazin für Wien, Viyana und Beč. Mit Scharf.

18. 5. 2011 - 18:54

Mein geiziger Ösi-Freund

Öster-reich? Zuwanderer haben oft das Gefühl, sie sind in Öster-arm gelandet, wenn sie sehen, wie verkrampft ihre einheimischen Mitbürger mit Geld umgehen. biber über alltägliche Kulturschocks und ihre Hintergründe.

von Ivana Martinović (Text) und Philipp Tomsich (Fotos)

Zwei Verliebte an der McDonald’s-Kassa: Sie halten Händchen, ein kleiner Kuss, sie bestellen: Nach einem Blick in ihre Tasche sagt das Mädl erschrocken zu ihrem Freund: "Markus, ich habe kein Geld mit. Kannst du bitte heute zahlen?" Er genervt: "Geh bitte Julia, wenn es unbedingt sein muss. Aber nur den Burger, kein ganzes Menü!"

Zur selben Zeit an der Nebenkassa: Zwei Jugo-Frauen mit insgesamt fünf Kindern duellieren sich mit einem 50 Euro Schein um die Rechnung:"Ich zahle und fertig!"… "Wehe dir, ich zahle"…

Wenn es um die Einstellung der Österreicher zum Geld geht, erleiden Migranten regelmäßig einen Kulturschock. Ein Best-of:*

Kulturschock 1: Das erste Date

*Quelle: Berichte von biber-Lesern, die sich auf www.dasbiber.at an der heftigen Diskussion über geizige Ösis beteiligt haben, eigene Erfahrungen der Redakteure

Die Bulgarin Elena datet Bernhard, einen österreichischen Wirtschaftsstudenten aus gutem Hause: Nach einem vielversprechenden Abend bringt der Kellner die Rechnung … und das war es auch schon wieder mit der gemeinsamen Zukunft. Der Typ sagt nämlich die magischen Worte, die für alle Frauen vom Typ Elenas das Vorzeitige Aus eines Dates bedeuten: "Also ich hatte…"

Damit noch genug, dass Elenas ihre Kalbsmedaillons und ihren Weißen Spritzer selbst zahlt, er setzt die hoch behackte Elena auch noch bei der U-Bahn ab und braust mit seinem Cabrio von dannen. Bernhard: 0 Punkte.

"Bevor ich einer Frau zeige, dass ich mir ihr Abendessen nicht leisten kann oder will, verschulde ich mich lieber", gibt Türke Mert Bernhard Nachhilfe.

Zwei Menschen in einem Cafe, das Soda Zitron trinkt und zahlt

biber / Philipp Tomsich

Kulturschock 2: Die "Einladung"

Fremdschämen sich Migranten bei Einladungen, wenn sie folgendermaßen ablaufen: Die Serbin Gordana ist bei einer österreichischen Studienkollegin zum Spaghetti-Essen zu Gast. Als der Abend gelaufen ist, wirft die Österreicherin in die Studenten-Runde, sie bekomme für das Essen von jedem zwei Euro. Gordana fühlt sich herzlich eingeladen… zum Zahlen. Das tut sie und kommt nie wieder.

Aleksandra wird von einer österreichischen Freundin angerufen, die am Wochenende eine Party schmeißt: "Nimm bitte Geld, Getränke oder Knabberzeug mit", bittet die Gastgeberin. Aleksandras Mutter, die gerne 5-gängige Menüs auftischt, und jede Kostenbeteiligung als Beleidigung ansehen würde, rät: "Hau dir zu Hause noch den Bauch voll, wenn es dort nur Chips und Soletti gibt."

Drei Frauen im Cafe streiten sich darum, wer zahlen soll oder darf

biber / Philipp Tomsich

Beim Zahlen kommt es am Balkan mitunter zu heftigen Diskussionen. Jeder will der Gönner sein

Kulturschock 3: Die strenge Rechnung

Für Migranten ist Freigiebigkeit Ehrensache. Die Polin Ewa wird nie vergessen, wie ihr ein österreichischer Freund einmal 20 Cent für eine Zigarette anbot. In ihrem Land gehen die Tschick-Packerln die Runde, bis sie leer sind.

Die Spanierin Huanita erinnert sich an die strengste Rechnung ihres Lebens. Sie kassiert bei einem Pärchen je 1,35 Euro für eine Suppe: das Pärchen hat die Suppe zwar gemeinsam ausgelöffelt, gezahlt wird aber getrennt.

Jelena stößt im Elternhaus ihres österreichischen Freundes an kulturelle Grenzen, als sie sich ein Gummibärchen nimmt. Das Schälchen vor ihr auf dem Tisch als Einladung zum Zugreifen interpretiert, vergreift sie sich gerade am Vorrat von Muttern, worauf sie ihr Freund nervös hinweist.

Emanzipiert?

Dieser Artikel ist im Magazin biber erschienen.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des biber

Was sagen die Österreicher zu solchen Storys, vor allem zur Causa Prima: Erstes Date? Sabine legt keinen Wert darauf, dass sich Männer die Zuneigung der Frau "erkaufen", wie sie es drastisch ausdrückt. Für sie ist es Ausdruck von Emanzipation, selbst zu zahlen. Der erfahrene Sigi, der mit seinen 50 Jahren schon viele erste Dates hatte, hätte mit Sabine keine Freude. "A Frau, die nix gezoiht hom wü, bei der geht nix.“ Phillip geht den Mittelweg: zahlt bei den ersten zwei Dates, kommt beim dritten Date kein Angebot von ihr, fühlt er sich ausgenutzt."

Claudia wiederum lebt ihre Emanzipation lieber im Business-Meeting aus als beim ersten Tête-à-Tête: "Wer nicht zahlt, fliegt." Ganz südländisch eben.

Soziologe Kenan Güngör: "Das hat nichts mit Geiz zu tun"

Biber: Getrennt zahlen beim 1. Date, typisch österreichisch?

In industriell entwickelteren Ländern wie Österreich gestalten immer mehr Menschen ihr Leben selbst und hängen nicht von der Gruppe ab. Somit führen sie auch eine individuelle Kostenrechnung. Sie wollen zeigen, dass sie auf niemanden angewiesen sind. Das hat nichts mit Geiz zu tun, sondern mit einer anderen Einstellung zum Geld.

Soziologe Kenan Güngör im Cafe

biber / Philipp Tomsich

Was sagt Soziologe Kenan Güngör?

Warum ist es für viele Migranten ein Kulturschock, wenn der Österreicher getrennt zahlen will?

Viele Migranten kommen aus einem Kulturkreis, wo der soziale Zusammenhalt noch immer eine große Rolle spielt. Wer Hilfe braucht, greift auf Nachbarn und Familie zurück. Zeremonien, Gesten, wie die gesamte Rechnung zu bezahlen, symbolisieren die Unterstützungsbereitschaft: "Ich bin bereit mehr für dich zu geben. Du kannst auf mich zählen, auch in anderen Lebenssituationen." Österreicher bekommen Unterstützungen wie Arbeitslosenhilfe, Kindergeld etc. von abstrakten, sterilen Institutionen, für die man keine emotionale Bindung und Rituale braucht.

Sind jüngere Migranten bald ähnlich "individualisiert"?

In der dritten Generationen könnte getrenntes Zahlen bald eine Rolle spielen. Das hängt natürlich davon ab in welchen Kreisen man sich bewegt. Eine Frau, die berufstätig ist und mehr verdient als der Mann, wird sich nicht immer einladen lassen. Und auch die spendabelsten Migranten kommen drauf, dass die häufigen Restaurantbesuche mit Freunden auf Dauer teuer werden können.