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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

17. 5. 2011 - 23:14

Tory Trace

In ihrem Outing als leidenschaftliche Anhängerin der Konservativen formuliert Tracey Emin ein erstaunlich unterwürfiges Verhältnis zur Rolle der Kunst.

Es ist ja nicht so, dass Tracey Emin noch all zu viel Credibility zu verlieren hätte. Sie weiß, um es mit einer schönen englischen Redewendung zu sagen, sehr gut, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert ist.

Die schwärmerische Art, in der sie angesichts der Eröffnung ihrer großen Retrospektive in der Hayward Gallery ihre Begeisterung für die britischen Konservativen bekannt und den Arts Minister Ed Vaizey als "Schützer und Verteidiger" bezeichnet hat, entspricht, wenn man so will, dem Geist ihrer Kunst, dem bewussten, narzisstischen Spiel mit der Peinlichkeit.

Ein vollgesogenes Tampon oder das öffentliche Buhlen um Politikergunst: Was sonst intim und verborgen bleibt, trägt sie nach außen.

Sie isst bei Camerons in der Downing Street zu Abend, lässt sich dort die Welt erklären und uns nachher wissen, das Land sei bankrott.
Daher sei die Kunst "natürlich" auf den untersten Rang der Agenda gerutscht: "Im derzeitigen Klima ist es erstaunlich, dass es überhaupt irgendein Geld für die Künste gibt.
Man darf auch nicht vergessen, die Tory-Leute sind große Kunstsammler. Viele meiner Freunde glauben, ich bin verrückt, dass ich die Tories wähle. Ich würde gerne wissen, wer dann ihre Arbeiten kauft. Wer sind denn die größten Philanthropen? Sicher nicht Labour-Wähler."

Tracey Emin nackt, mit Union Jack

Tracey Emin/Hayward Gallery

Man könnte es zwar fast glauben, wenn man sowas liest, aber Tracey Emin ist keinesfalls dumm.

Ein großer Teil ihres Appeals war immer schon ihre mit der Sprache und dem Gestus des bornierten Kunstzirkus kontrastierende, plakative Volksverbundenheit. Was bei Damien Hirst sein nördlicher Zungenschlag und sein ostentativer Anti-Intellektualismus, ist bei "our Trace" noch umso mehr Teil ihres authentischen Kapitals:

Die dunklen Geschichten ihrer Vergangenheit in der verwahrlosten Seestadt Margate, das schiefe Gebiss, die faule Sprache, das tiefe Dekolletee, die ach so charmante, ungebildete Grobschlächtigkeit, geschmälert höchstens vom Verdacht, dass sie sich in der Öffentlichkeit noch ein bisschen besoffener gibt, als sie eigentlich ist.

A Working Class Tory is something to be

Die Figur des Working Class Tory hat in dem verarmten Teil der Isle of Thanet, dem östlichsten Ende von Kent, wo sie herkommt, weit mehr Tradition als im Norden. Die Little Englanders mit dem in der Seeluft flatternden Union Jack vor dem Bungalow sind da zu Hause. Nicht unbedingt eine Klientel mit großen Sympathien für staatliche Subventionen für Kunst und Kultur.

Tracey Emin bleibt diesen Wurzeln also auf eine Weise treu, die sich wunderbar mit der traditionellen Establishment-Blase rund um treue Förderer wie Jay Jopling vereinen lässt.

Der Aufschrei in der Kunstszene über ihr politisches Outing wird sich in Grenzen halten. Den alten Thatcher-Fans Gilbert & George haben ähnliche Bekenntnisse schließlich auch kaum geschadet.

Jene im Kunstbetrieb, die noch nicht reich geworden sind und unter den radikalen Budgetkürzungen leiden, werden sich zwar nicht gerade dafür bedanken, dass Emin dem Sparkurs der Regierung Rückendeckung gibt, aber Solidarität mit weniger etablierten KollegInnen war wohl nie ihr Hauptthema.

Erst im April hat Emin gemeinsam mit Jools Holland (of all people) in ihrer alten Heimatstadt, direkt am Strand, die Turner Contemporary Gallery eröffnet.

"In Margate first it was the Danes, then the Vikings, now it's art", sagte sie da.

Turner Contemporary in Margate

Turner Contemporary

Die neue Turner Contemporary Galerie in Tracey Emins Heimatstadt Margate

Nicht erwähnt hat Emin, wessen Mitteln die bei freiem Eintritt zugängliche Galerie zu verdanken ist, nämlich denen des Lotteriefonds, des staatlichen Arts Council (dessen Budget 2011-2015 um 29,6 Prozent gekürzt wurde) und der South-East England Development Agency, deren Aufgabe es war, diesen verarmten Teil Kents wirtschaftlich aufzurichten.
Bis sie - so wie alle anderen regionalen Development Agencies - von der konservativ-liberalen Regierung abgeschafft wurde.

So gesehen ist Emin zwar eine Heuchlerin, wenn sie gleichzeitig die Galerie und eine Politik preist, die künftige Galerien dieser Art unmöglich macht. Andererseits lässt sich aber auch ihre geschäftliche Entscheidung nachvollziehen, sich dem Privatsammlermarkt statt den öffentlichen Förderungen anzudienen. Darin liegt für sie selbst ganz offensichtlich auf lange Sicht die verlässlichere Zukunft.

Allerdings erniedrigt Emin sich schon auf unterwürfigste Weise, wenn sie von Sammlern auch noch als "Philanthropen" spricht.
Sind jene doch vielmehr Investoren, also Leute, die Kunst nicht aus gutem Willen oder großem Herzen sammeln, vielleicht schon eher aus Spaß am damit verbundenen interessanten Image, kulturellen Kudos und sozialen Status, nicht zuletzt aber, weil sich ihr Wert vervielfacht wie kaum was, wo man seine Millionen sonst noch reinstecken kann.

Mit Philanthropie hat das gar nichts zu tun.

Aber das weiß Tracey Emin, die, wie oben erwähnt, ja nicht dumm ist, hoffentlich ohnehin selber.

Aus ihrer Perspektive geht es bei der Retrospektive in der (übrigens vom Arts Council und den Besuchern finanzierten) Hayward Gallery eher um das graduelle Sanftermachen der eigenen Trademark.

Vielleicht hätte sie von den Tampons doch lieber Abgüsse machen sollen, bekennt sie heute. Und beim berühmten, in einem Lagerhausbrand vernichteten Zelt "Everyone I Ever Slept With, 1963-1995", sei es ja ums miteinander Schlafen, nicht ums Ficken gegangen. Das - dem britischen Boulevard sei dank - als vielzitiertes Sinnbild für die Scharlatanerie der Young British Artists noch berüchtigtere (eigentlich völlig harmlose) "My Bed" kommt in dieser Retrospektive sicherheitshalber gar nicht vor. Stattdessen hat Emin als neues Statement zum Beispiel ein Neonherzchen angefertigt, mit der Inschrift "Love Is What You Want", dem Motto der Ausstellung.

Das haben so ähnlich, nur ein bisschen schöner, auch die Beatles einst schon gesagt. Die kunstsammelnden Philanthropen hätte Tracey Emin damit jedenfalls vor zwanzig Jahren kaum hinterm Ofen hervor gelockt.