Erstellt am: 18. 5. 2011 - 12:23 Uhr
Prinzip Error & Trial?
ÖH-Wahl 2011 auf FM4
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Schön langsam wird es knapp. Die Prüfungstermine im Sommer nahen und die Manuskripte und Mitschriften stapeln sich am Schreibtisch und selbst im Bett. Bald sitzt man in einem Hörsaal über einem Prüfungsbogen. Wenn der bis zum Abgabe-Termin unausgefüllt bleibt, dann kommt es darauf an, an welcher Uni man sich gerade befindet. In Graz wirkt sich ein negatives Ergebnis weniger tragisch aus als etwa an der Uni Wien. Denn in Graz darf man eine Prüfung vier Mal wiederholen. Unabhängig vom Studium und den Lehrenden.
Diese extra Chance ist allerdings nicht allen recht. Für sehr viele ProfessorInnen täte es auch ein Antritt weniger. Im Grazer Uni-Senat gibt es Diskussionen, die Möglichkeit der vierten Prüfungswiederholung zu streichen. Für Juni steht das Thema auf der Agenda.
Studieren und probieren
Es sind vor allem Lehrende für Jus und BWL, die diese Änderung begrüßen würden. Aber auch aus den großen Fächern der Geisteswissenschaftlichen Studien wie Anglistik, Germanistik und Erziehungswissenschaften sprechen sich sehr viele ProfessorInnen für weniger Antrittsmöglichkeiten aus. "Eine relativ breite Front Lehrender schlägt eine Reduktion der Prüfungsantritte vor", sagt der Vizerektor für Studium und Lehre, Martin Polaschek, in Graz. Polaschek enthält sich einer Position und verweist auf die Autonomie des Senats.
Radio FM4
Verankertes Recht aufheben?
Fünf Mal antreten darf man auch an der TU Wien, der Universität Linz und Klagenfurt.
Hat man an der Uni Salzburg ein viertes "Nicht Genügend" für eine Lehrveranstaltung erhalten, könnte einem der Gang zum Rektorat eine letzte Möglichkeit bringen: Hier entscheidet der Vizerektor, ob ein letzter weiterer Versuch genehmigt wird.
Wie kam es überhaupt, dass in Graz ein zusätzlicher Versuch gewährt wird?
Als die Universitäten mit dem Universitätsgesetz 2002 Autonomie gewannen, gab es Satzungskonvente. In Graz macht sich die ÖH für eine hohe Zahl an möglichen Prüfungsantritten stark und setzte sich durch. Und weil sich die Technische und die Karl-Franzens-Uni über eine NAWI-Kooperation kurzschlossen, sind die Studierenden an beiden Universitäten im Vorteil.
"Immer wieder gibt und gab es Versuche, die Wiederholungsmöglichkeiten einzuschränken", sagt Cengiz Kulaç von der GRAS, derzeit noch Vorsitzender an der HochschülerInnenschaft der Uni Graz. Setzt sich die Vertretung der ProfessorInnenschaften im Senat im Juni durch, wäre das für Kulaç "eine Katastrophe". Für ihn steht die Forderung klar in Zusammenhang mit dem Wunsch nach Knock-Out-Prüfungen. Durch "Rausprüfen" werde jedoch nicht die Eignung einer Person für einen Beruf ermittelt, findet er. Selbst musste er noch keine Wiederholungsmöglichkeit in seinen Studien Jus und Soziologie in Anspruch nehmen.
Auch an der Universität Innsbruck kümmerte sich die ÖH um die Anzahl der Antritte - mit Erfolg: ab 1. Oktober besteht die Option auf eine weitere, zweite kommissionelle Prüfung nach zwei regulären Wiederholungen.
Beim Rundgang vom grünen Sofa vor dem Hauptgebäude über das Gras zu den Klapptischen mit Foldern und Forderungen treffe ich keine wahlwerbenden StudierendenvertreterInnen, die anderer Meinung als Kulaç wären. "Fünf Prüfungsantritte!" fordern Flyer der AktionsGemeinschaft, auch wenn die eifrigen KollegInnen am Stand des VSSTÖ eine andere Position bei der Konkurrenz vermuten. Vom RFS finde ich nur zertretene Aufständer am Rasen. Auf telefonische Nachfrage erklärt der Vorsitzende: Klar sei man gegen eine Reduktion.
"Gefahr des Hasardierens"
Im RESOWI-Gebäude am Intitut für Zivilrecht hat der Universitätsprofessor Peter Bydlinski mit einem Handgriff die rechtlichen Grundlagen und sofort auch eine Anekdote parat. Als Studierende kürzlich bei einer Professorin Einsicht in ihre korrigierten schriftlichen Arbeiten nahmen, erkundigte sich ein Student: "Soll ich nächste Woche zum nächsten Termin wieder antreten?" Wie oft er denn schon durchgefallen sei, wollte daraufhin die Professorin wissen. "Ja, drei Mal".
Das bedeutet, die nächste Prüfung wäre bereits die komissonelle gewesen. Und zwar über ein Fachgebiet, dessen Stoff man sich normalerweise in zwei, drei Monaten erarbeiten könnte, erläutert Bydlinski das Pensum.
Auf gut Glück zu Prüfungen anzutreten, das könnte man dreist nennen. "Die Gefahr des Hasardierens" sei eine reale, sagt Bydlinski und zieht den Vergleich zu Deutschland, wo er jahrelang unterrichtet hat. Dort sind die großen Prüfungen erst am Ende des Studiums angesetzt. Das Staatsexamen kann man genau einmal wiederholen. Fällt man durch, hat man fünf, sechs Jahre seines Lebens vergebens auf die Juristerei gesetzt. "Es gibt keine Gnadenakte, es gibt keine Ausweichmöglichkeiten an andere Universitäten, das Studium ist dann vorbei und man wird kein fertiger Jurist".
Scheitert man hierzulande bei der finalen, kommissionellen Wiederholungsmöglichkeit, wird man für äquivalente Lehrveranstaltungen auch an allen anderen österreichischen Universitäten gesperrt. Im Klartext heißt das: auch über den Umweg in eine andere Stadt kann man sein Studium nicht abschließen.
Treten denn so viele Studierende tatsächlich fünf Mal an? Oder ist es nicht viel mehr schlicht beruhigend zu wissen, dass ein, zwei vertane Klausuren noch lange kein Ende des Berufwunsches bedeuten?
Bydlinski und anderen ProfessorInnen geht es nicht einzig um die Zahl der Prüfungsantritte: Auch die Termine könnten und sollten ihrer Ansicht nach auf vier pro Studienjahr - statt aktuell sechs - beschränkt werden. Das Personal wird weniger und die Studierenden mehr, das Missverhältnis wächst. Für die Lehre ruht die Forschung zusehends.
Nicht zuletzt sieht die neu eingeführte Studieneingangsphase bloß zwei Prüfungsantritte vor. Ob sich daran bald etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.