Erstellt am: 16. 5. 2011 - 23:41 Uhr
Journal 2011. Eintrag 100.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der direkten Fortsetzung von Journal 98, und zwar dem Resultat des Workshops "Was kommt nach der Demokratie?" beim Symposium "Jugend Macht Demokratie" des Zukunft Forums Windhaag.
Seit Samstag abend überlege ich, ob es sinnvoll ist, das Ergebnis einer etwa fünfstündigen Arbeit einer in jeder Hinsicht heterogenen Gruppe hier einer größeren Öffentlichkeit auszusetzen. Ob ich damit irgendeinen Schaden anrichten kann.
Aus einer "Was kommt nach der Demokratie?"-Diskussion hat sich nämlich ein praktisches Modell einer neuen Repräsentations-Demokratie auf Ministeriums-Ebene ergeben, ein Vorschlag, der eigentlich nur als Denk-Übung dienen sollte, sich dann aber zu einem konkreten Ding auswuchs.
Dann habe ich bei der Rückfahrt aus dem Mühlviertel, in dessen nördlichstem Zipfel, in Windhaag, dieses Denkexperiment stattgefunden hat, in einer Sonntagszeitung eine Geschichte gelesen, wo der Kärntner Landeshauptmann eine Art Allparteien-Koalition vorgeschlagen hat. Und obwohl ich jemanden, der auf dem Niveau von Kakao-Witzen unterwegs ist, längst von der Liste ernstzunehmender Inputgeber gestrichen habe: auch des blinden Huhnes Korn hat einen (wenn auch aus einer versimpelten, machtgierigen Ecke gedachten) anderen Denk-Ansatz.
Und der andere Ansatz, der ist gerade bitter nötig.
Und weil die kleine Gruppe, die zu leiten ich am Samstag das Vergnügen hatte, aufgrund ihrer höchst diversen Zusammensetzung einen ganz anderen Ansatz vertreten konnte, und weil dann etwas Ungewöhnliches dabei rausgekommen ist, braucht es eine Weiterführung der Diskussion.
Denn es geht nicht darum, dass wir da in fünf Stunden nicht alles bis ins Kleinste durchdacht haben - es geht darum, dass wir in nur fünf Stunden eine brauchbare Idee entwickeln konnten. Wieviel ist also erst für Menschen, die da mehr Wissen und mehr Zeit haben drinnen.
Was kommt nach der Demokratie? Die erneuerte Demokratie
Also, Schritt 1: wo liegen die Probleme?
Schritt 2: wie gehen wir es an das zu lösen, die Fallen zu vermeiden?
Schritt 3: passt das in ein praktisches Modell?
Die Probleme
Politische Handlungs-Lähmung durch gegenseitige Blockade der Parteien, Angst vor den Einflüsterern der Wirtschaft, den grellen Kampagnen der Mainstream-Medien und dem Abstauber aus dem populistischen "Ich muss gar nix tun um Stimmen zu kriegen!"-Eck.
Deshalb die Flucht in Schein-Debatten über teilweise rein virtuelle "Probleme".
Die bisherige Panik, wegen riskanter Entscheidungen bei Wahlen abgestraft zu werden, ist einer Panik vor der nächsten Umfrage gewichen.
In Ministerien, Interessensvertretungen und den jeweiligen Fachbereichen gibt es genug Expertise und Auskennerschaft - im Gesetzestext findet sich die dann nur noch verwaschen wieder.
All das hat zur Folge, dass sich niemand mehr politisch engagieren will, dass sich zumehmend Mittelmaß angezogen fühlt.
Dasselbe gilt für die Teilnahme von unten: abseits des konkreten Engagements in Gemeinde oder Bezirken ist das Bewusstsein der Wirkungslosigkeit der Stimm-Abgabe.
Wenn einen dann auch noch die gewählte Partei damit konfrontiert, dass sie Entscheidunsgträger nicht nach Kompetenz, sondern nach rein machtpolitischem Kalkül einsetzt, wird alles noch schlimmer.
Dazu kommt noch eine Entwicklung, die uns die schöne Site wahlkabine.at vor Augen führt: die Menschen, die in allen Bereichen ein und derselben Partei zustimmen, die sind im vorigen Jahrhundert zurückgeblieben - die Fragmentierung einer globalen Gesellschaft schlägt sich in einer Universal- und Paschaulstimme für eine Partei nicht mehr wieder.
Von Mitbestimmung ist also nicht wirklich die Rede, Volksbefragungen werden nur auf der Nona-Ebenen abgeführt.
Die Lösungen
Es braucht also ein Modell, das sowohl die in die Apathie gedrängte Wählerschaft als auch die von Außeneinflüssen in die Untätigket getriebenen Parteipolitiker wieder reinholt. Es braucht auch die bislang außen vor gehaltenen Experten.
Es braucht ein System, das die Angst vor der populistischen Abstrafung hintanhält, das es möglich macht, lange Aufgestautes anzugehen ohne vor der nächsten Umfrage zu zittern. Ähnliches gilt für den Druck, den der Medien-Boulevard entwickelt.
Es braucht die Einbeziehung von Experten, aber auch das Aufrücken der tatsächlich in ihren Bereichen kompetenten Politiker in die Entscheidungs-Positionen.
Es braucht Interesse an Themen, an Sachfragen anstelle des simplen Aufgeilens an Streit und Konfrontation.
Das Windhaager Modell
will deshalb die eine Stimme für die eine Partei durch viele Stimmen zu vielen Themenbereichen/Ministerien ersetzen.
Das soll so gehen: jede Partei kann ihre Kandidaten für jedes Ministerium nominieren, ebenso wie die Interessenvertretungen (die AK für Soziales, die ÖH oder die Rektoren-Konferenz für Wissenschaft/Bildung, aber auch die Industriellen-Vereinigung für Umwelt, wer sich halt Kompetenz zuschreibt), ebenso wie auch einzelne Bürger (eine bestimmte Unterschriften-Anzahl vorausgesetzt) mit Expertise.
Eine nur für diese Zwecke installierte Demokratie 2.0-Plattform informiert über alle/s, bietet den Interessierten alle Infos, Expertisen und Meinungen (das schafft auch eine gewisse Verbindlichkeit)
Dann erfolgt die Wahl in den Ministeriums-Rat (der sich aus den fünf Stimmenstärksten zusammensetzt). Der Stimmstärkste ist Minister.
Ja, es gibt auch eine kleine Variante des Modells, in der nur der Minister gewählt wird, in der es keinen Rat gibt.
ganz wichtig: die Demokratie 2.0-Plattform
Der Rat entwirft Gesetze, verteilt Budgets, leistet Ministerarbeit. Bei Uneinigkeit in bedeutenderen Fragen geht die Entscheidung per Volksentscheid an den Souverän zurück, thematisch aufbereitet durch die Demokratie 2.0-Plattform.
Dieses Ministerräte-System setzt auf das Konsens-Prinzip - es geht allerdings nicht mehr um die aktuelle österreichische Konsens-Form des Wegschleifens aller Schwierigkeiten, sondern um die Mouffsche Defintion von Politik als Differenz und Dissens - und dessen Überwindung in der Praxis.
In der alltäglichen Praxis, in Ministerien, in diversen Ausschüssen, bei Experten-Meetings sind allerdings in vielen Bereichen viel mehr Interessensgruppen für eine ähnliche Vorgangsweise als man glauben möchte, ich denke da an die Schulreform, selbst für den Hochschulbereich gilt das. Ein solches System hätte etwa einen Wirtschaftsminister Van der Bellen möglich gemacht.
Fazit:
Die Windhaager Gruppe glaubt daran, dass dieses Modell, bei allem Risiko und aller Unausgereiftheit einige aktuelle Blockaden beseitigen könnte.
Ein solches Modell stärkt die Experten - auf Kosten der strategisch reingesetzten und austauschbaren machtpolitischen Verwalter.
Ein solches Modell verhindert das ständige Schielen auf Gesamt-Prozentzahlen und kümmert sich deutlich mehr um die Kompetenzen innerhalb der zentralen Bereiche.
Es fördert ein generationenübergreifendes Denken. Es bremst natürlich nicht die Boulevard-Medien aus - die Verbreiterung der Verantwortung macht aber die primitiven personellen Zuspitzungen deutlich schwerer.
Ein solches System zwingt auch die Populisten in mehr als nur einem Spektakel-Bereich Farbe zu bekennen und konkrete Inhalte zu prodizieren - es schüttet sie mit (bisher nicht geleisteter) Arbeit zu.
Und, vor allem, dieses Modell macht den apathischen Bürger wieder zum Mitgestalter, fast schon zum Schweizer - wiewohl das Modell doch eher was von der alten Räte-Republik hat, die wir nur noch aus Geschichtsbüchern kennen und nicht gar so viele Volksentscheide enthält.
noch kurz zu den "So a Schas!"-Reflex-Rufern...
Weil der Einwurf "Das interessiert doch zu wenige!" garantiert als erster kommt: Mag sein. Und? Hauptsache die Interessierten engagieren sich und wählen. Auch eine nur von 30% gewählte ÖH kann gut arbeiten. Ein von 25% legitimiertes Ministerium ist genauso okay wie eines von 75%. Völlig egal.
Viel richtiger ist der Einwand, dass diese Idee weder die Rolle des Parlaments, die Budgeterstellung noch die diversen Querschnitte-Materien berücksichtigt hat. Wie wird der Regierungschef, der die Leitlinien vorgibt gewählt, welche Rolle hat er?
Das haben wir in den 5 Stunden nicht geschafft.
Aber auch hier ließe sich einiges neu denken.
Weiterdenken.
Die oberösterreichische Landesrätin Doris Hummer, die als eine von fünf als Feedbacker eingeladenen PolitikerInnen drüber diskutierte, sah auch gleich ein Problem: Es könnten in den Bereichen zu viele 'Popstars' gewählt werden.
Das ist witzig, weil sie, die von Oberösterreichs VP als Nachfolgerin für den Landeshauptmann genau so, als jugendlicher Popstar ins Spiel gebracht wurde. Hummer hat die Arbeitsgruppe aber in eine Denkwerkstatt eingeladen um die Ansätze dort weiterzuentwickeln. Die jungen Damen und Herren werden das machen. Und ich unterstütze das sehr.