Erstellt am: 15. 5. 2011 - 23:26 Uhr
Journal 2011. Eintrag 99.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit etwas leicht-unbeschwertem, dem Versuch denjenigen von euch, die es noch nicht wissen, die fragile Poetik und schwerelose Schönheit des Eishockey-Spiels näherzubringen.
Dass Finnland im Finale der WM in der Slowakei den Nachbarn Schweden heute abend mit 6:1 besiegt hat (hier ein schöner Live-Ticker, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt.
Ich weiß genau: mit meiner Schwärmerei für das männliche Äquivalent zum Schwebebalken, das Eishockeyspiel, kann ich nur die ansprechen, die eh schon konvertiert sind. Für alle anderen ist die Einstiegs-Hürde zu hoch: schnelle Szenenabfolgen und ein blitzschnell manövriertes Spielgerät, das benötigt ein geschultes Auge. Und das ist in Österreich, das merkt man angesichts der vielen Menschen, die hierzulande auf Fußballfelder starren, aber trotzdem nichts Substanzielles erkennen können, eine seltene Tugend.
Da nützt es auch nichts, wenn ich spezifische Loblieder singe, auf alte Lieblingsmannschaften etwa wie die Finnen. Genau die Finnen, die gerade Weltmeister geworden sind, beim heute beendeten großen Turnier in Bratislava und Kosice, also beim slowakischen Nachbaren; und das erst zum zweitenmal überhaupt. Was angesichts der großen Geschichte, vieler knappen Niederlagen, einem angeschlagenen, von einerm depressiven Grundstimmung und schmerzhafter Poetik durchsetzten National-Ethos, der sich nirgendwo so dramatisch äußert, wie im finnischen Nationalsport.
Mich rührt das zutiefst, vor allem, wenn es im Finale - wie diesmal wieder (und das war auch beinm ersten Titel 1995 schon so) im Finale gegen den eigentlich übermächtigen Nachbarn Schweden geht, dessen Hockey-Philosophie im Gegensatz zum vom emotionalen Auf und Ab gesteuerten finnischen Spielstil, eine kühl-kalkulierte ist, vergleichbar mit dem was zb Italien oder Deutschland im Fußball spielen, wohingegen sich der finnische Stil eher mit dem portugisischen vergleichen lässt.
Granlunds Zaubertor als Türöffner für Eishockey
Euch Kaltherzige Eishockey-Verächter lässt das, ich weiß es, kalt. Und weil ich mich nicht damit begnügen kann euch als schlechte Menschen zu verachten, sondern weil ich euch verführen mag, muss ich euch mit der Nase direkt auf einen jungen Mann stoßen, der das Tor des Turniers, wohl auch das Tor des Jahres, vielleicht sogar das bisherige Eishockey-Tor überhaupt geschossen hat.
Das erwähnte Allstar-Team
Tor: Fasth (Schweden). Abwehr: David Petrasek (Schweden), Marek Zidlicky (Tschechien). Angriff: Patrik Berglund (Schweden), Jarkko Immonen (Finnland), Jaromir Jagr (Tschechien).
Mikael Granlund ist ganze 19, zweifacher U18-Bronzemedaillist, und war eine ganz heiße Aktie im letzten NHL-Draft. Bei der WM spielt er in der dritten Linie mit Jarkku Immonen (der Torschützenkönig, der auch im Allstar-Team landete) und Janne Pesonen.
Granlund ist ein frecher Kerl, einer, der Risiko geht.
Hier sieht man wie er Penaltys schießt. Verzögert, technisch einwandfrei und schlau, keck - aber frei von Cristiano Ronaldo-Attitude.
Und hier ist das Tor des Jahres, vom finnischen YLE-TV besungen. Granlund macht im Halbfinale gegen Russland einen auf Lacrosse, legt sich, während er hinter dem Tor herumkurvt den Puck auf den Schläger, hebt ihn hoch und schlenzt das Spielgerät von hinten seitlich über die Schulter des Goalies ins Tor. Und wieder geht das fast zu schnell für den ungeübten Zuschauer - erst die vielen Zeitlupen zeigen den Geniestreich.
Hier, embedded, die russische Rezeption, die in ihrer Ojojoj-Traurigkeit durchaus etwas finnisches hat, was ich sehr passend finde:
Гол Гранлунда. Финляндия - Россия... von salut77777
Und, nein, das war kein einmaliges Ding - hier sieht man in einem Amateur-Mitschnitt von 2007, dass er das nicht zum erstenmal macht.
Und, ja, es wird nicht das letzte Kunststück, der letzte Geniestreich von Granlund sein. Dessen Karriere steht ja erst an einem Anfang. Er wechselt von Finnland nach Minnesota in die NHL. Und 2012 kommt er im April zur Heim-WM wieder retour, nach Finnland.
Und, ja, Eishockey ist prädestiniert für solche Kreativ-Explosionen, der schnelle Wechsel von Vor- und Rückhand, die Wichtigkeit der schnellen Abwechslung zwischen eigensinnigen Solo-Aktionen und blindem Mannschafts-Verständnis, die übergeordnete Bedeutung von Taktik und die körperliche Wucht... aber ich merke, ich schwärme schon wieder, und werfe da womöglich bloss unnötig Perlen vor... euch halt.
Dabei sollte Mikael Granlunds Magie doch eigentlich völlig reichen um euch süchtig zu machen.