Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Song Zum Sonntag: Austra"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

15. 5. 2011 - 16:53

Song Zum Sonntag: Austra

Ein Gegenmittel zur ESC-Ködelei: Lose it

Ich will dich nicht verlieren, ich will nicht verlieren, Ich will dich nicht verlieren, ich will nicht verlieren, Ich will dich nicht verlieren, ich will nicht verlieren, Ich will dich nicht verlieren, ich will nicht verlieren ....

Diese Verse passen wohl auch zum Song Contest, fast wie aus Zufall, aber um sie soll es nicht gehen ...

Katie Stelmanis Portrait

austramusic.com

Pünktlich zum Song Contest Morgen-danach, an dem sich nicht wenige sonst geschmackssichere und vollsinnige Mitmenschen erinnern müssen, wie sie den letzten Abend verbracht haben - in Gesellschaft einer ununterscheidbaren transnationalen Mengelage von Fahnenschwingern, sich via Handyvoting selbst in den Privatkonkurs manovrierenden einsamen Witwen und den vielen, schon von Max Goldt beschriebenen, hysterisierten Homo-Fernsehrunden mit Käse- und Biersorten aus den Teilnehmerländern - will ich jetzt hier etwas abfeiern, dessen bloße Erwähnung an so einem Morgen den Kater noch verstärken müsste. Die Stimme!

Bandfoto Austra

www.panicmanual.com

Übrigens, nur nebenbei: In Erinnerung gerufen werden sei hier ein gewisser Gary Floyd , ist er doch zu seiner Zeit all das gewesen, was Beth Ditto heute so beliebt macht: Dick, schwul, nett, links, laut, punk, angeberisch und ein bißchen sentimental - allemal eine Wiederentdeckung wert, hier macht Knödeln noch Spaß und Sinn ... bin schon wieder still.

Ohne euch und mich langweilen zu wollen: Das Diktat der "ausdrucksstarken", "hart arbeitenden", "wirklich etwas könnenden", gar "schwarzen" oder "soulfullen" Stimmakrobatik war ja schon in den achtziger Jahren schlimm genug, als jede Plattenfirma irgendwelche Jungfern an den Start brachte, die mittels akrobatischer Phrasierung und der jede Silbe in Minutenlänge ausdehnenden Knödelei eine Sub-Musik erfinden sollten, die - ich glaube ja vor allem von Deutschen und Österreichern - gerne mit Soul verwechselt wird. Später kam die ausgemendelte, meist weiße (oder für schwarz gehaltene) Restmenge dieser Jungfern an die Macht und bestimmte aufs nervigste das Mainstreamradio, Celine Dion eh schon wissen ... Seit dem Beginn der Castinghows gilt oben Beschriebenes - neben einer vorauseilenden, allesgebenden Eislaufmutti- Mentalität - als automatisierter Einstieg in die SängerInnen-Starwelt, pünktlich zu einer Zeit, als diese Starwelt nicht mehr existierte oder nicht mehr wiederzuerkennen war, als die einstigen (missverständlich "Diven" genannten) Kirchenchorsängerinnen sich Koks, Alkohol und Arschlochgatten ergeben mussten. Alle Castingmädels beiderlei Geschlechts aus allen Castingshows der Welten und Zeiten, Vergangenheit, Zukunft und dazwischen, zusammengenommen dürfen zusammen nicht mal auf einen Bruchteil der Gage von Celine Dion hoffen, soviel ist klar.

Die "echten" guten Sänger sind eben keine (Dylan, Morrison, Richman, Cobain), punkt. Soul ausgenommen, aber von Soul ist hier eben genau nicht die Rede, ....

Über Austra macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.

Nun, die Arme Nadine hatte bei ihrer Dreiminutenschnulze nach 1:40 überhaupt nichts anderes mehr zu tun, als dermaßen pflichtvergessen sportlich herumzuknödeln, dass es sogar der Sau graust, die sonst gerne durch das Kuhdorf getrieben wird. Nettes Mädel, nette Interviews, singen kann sie eh auch, aber diese Atemübungen .... mir hat es gereicht und bewegt, sich das ganze restliche Event erneut zu ersparen, Verzeihung, liebe Songcontestfreunde, aber wer hat da noch Lust, sich die moldawische oder lettische Version davon auch noch anzutun, nichts für ungut.

Hier kommt also - ganz so, als ob das alles nicht stimmen würde - eine lesbische, selbstbetimmte und bestimmende, lettischstämmige Singer/ Songwriterin, die ihre astreine Opernsängerinnen Ausbildung so dezent und subtil und virtuos in winzigen Vibratos versteckt, dass die "ausdrucksstarke" Stimme dort, wo sie hingehört, nämlich in die Umgebung der "seelenlosen" Programmiermusik der Vince Clarke Schule, zu einer Entfaltung findet, die vielleicht geeignet ist, das etwas schlecht riechende Genre "Eighties Synthpop" wieder erstarken zu lassen.