Erstellt am: 14. 5. 2011 - 23:00 Uhr
Journal 2011. Eintrag 98.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit der kaum geschönten Verschrift-lichung der Notizen für eine heute vormittag gehaltene kleine Keynote vor einem Workshop mit dem schönen Titel "Was kommt nach der Demokratie?" im Zukunftsforum Windhaag.
Bisher sind praktisch alle Wortmeldungen beim Symposium "Jugend Macht Demokratie" immer dann, wenn vom bestehenden politischen System Österreichs die Rede war, vom Idealzustand ausgegangen. Wenn wir da von den Möglichkeiten via Social Media 2.0 sprechen ist das genauso legitim wie etwa diversen Positiv-Beispielen im lokalen und regionalen Bereich. Überall sonst aber sieht es womöglich anders aus.
Wenn wir also von Modellen einer zukünftig lebendigen Demokratie reden, in die wir unsere Ideen und Kräfte projizieren, dann muss diese Demokratie auch so existieren.
Denn es kann nichts Richtiges im Falschen geben.
Und genau da darf ich einhaken, und ein paar Daten, Fakten, Meinungen zitieren, die in den letzten 24 Stunden gefallen sind. 20 Prozent der Jugendlichen, das hat uns Peter Filzmaier verdeutlicht, hätten nichts gegen einen kleinen Hitler. Die lokale Umfrage unter 560 Jugendlichen hat Forderungen wie die Direktwahl von Ministern, die allerdings deutlich weniger verdienen sollen als bisher, enthalten. Es sind Fragen nach der Zukunftsfähigkeit der Demokratie aufgetaucht, auch eine Frage nach der Höhe des tatsächlichen Demokratiegehalts des aktuellen Zustands. In einer praktischen Übung gab es den Ruf nach einem Volkstribun, einem Senat, einem Weisenrat, einem Wissenschafts/Expertenrat, nach der faktischen Ausweitung von Legislaturperioden, nach einer Regierung auf Abruf on public demand und nach Räten, Räten und Räten.
Alles widersprüchlich, aber alles im demokratiepolitisch unbedenklichen Rahmen, auf dem Boden der Verfassung, und alles als potentieller Input für die Politik gedacht.
民主主義
Nichts davon kann dort Gehör finden. Und zwar weil nicht die Verfassung Österreich regiert, sondern die Realverfassung. Nicht der UHBP oder Kanzler/Vizekanzler sind die Chefs im Haus Österreich, sondern die Bestimmer und Definierer dahinter, die Einflußnehmer aus Wirtschaft und ihre Medien.
Ich habe das Zukunfts-forum Windhaag letztes Jahr bei den Sommer-gesprächen der Waldviertel-Akademie in Weitra kennengelernt und dort dann heute anlässlich ihres dreitägigen Symposiums Jugend Macht Demokratie an einer kleine Arbeitsgruppe zum Thema "Was kommt nach der Demokratie? Ist die beste aller politischen Organisationsformen noch zu retten?" teilgenommen.
Der nebenstehende Text ist eine schriftliche Variante des Input-Referats, das am Beginn dieser Gruppenarbeit stand.
Im übrigen hat die Arbeitsgruppe danach ein Modell für ein neues, deutlich partizipativeres und mit etlichen Mitteln der direkten Demokratie ausgestattetes Mitentscheidungs-Format auf Ministeriums-Ebene (samt Experten und Räten) entwickelt.
Diese unsichtbare Koalition der österreichischen Realverfassung ist nicht am Einsatz von Expertenräten interessiert; ja, vielleicht in Sonntagsreden, aber nicht in der politischen Praxis. Musterbeispiele: der wirkungslose Nationalkonvent, der "entpolitisierte" ORF-Stiftungsrat, gegen jegliche Kompetenzen durchgeführte Ministerbesetzungen etc.
Wirklich wichtig für die Praxis dieser Realverfassung sind klar gesteuerte Macht- und Verteilungspolitik, Bedacht auf mediale Außenwirkung, Reduktion auf populistische Posen und die Beschränkung auf Schein-Debatten, die den Takt für Wahlauseinandersetzungen vorgeben.
Diese Praxis hat mit dem Idealbild von Demokratie, deren Definition deutlich merkbar aus dem vorigen Jahrtausend stammt, nichts mehr zu tun.
Diese Praxis ist deckungsgleich mit dem was Colin Crouch 2003 Postdemokratie genannt hat: "ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben."
独裁政治
Crouch ist im übrigen recht wertfrei unterwegs, sieht das nicht als Problem.
Die österreichische Variante davon wird allerdings durch ein Spezifikum verkompliziert: mit der spekulativen Angstmache über Xenophobie-Muster dockt der hiesige Rechtspopulismus da an unselige Zeiten und niederste Instinkte an; für die findet sich in der Postdemokratie-Definition kein Platz.
Die besagt nur, dass nicht mehr der Input der Bürger entscheidend ist, sondern - im Gegensatz zur pluralistischen Demokratie - davon ausgegangen wird, "dass das Allgemeinwohl objektiv bestimmbar sei und Interessenkonflikte nicht in demokratischen Verfahren ausgetragen, sondern durch Verwaltungsvorgänge aufgehoben werden sollten."
Österreichisches Spezifikum, Fortsetzung: die oben erwähnten Phantomschmerzen, die durch populistische Angstmache geschürte Furcht vor einem diffusen Außenfeind/Sündenbock (für alles) verleitet die Bürger so leichter zu einem Outsourcing von moralischer und politischer Verantwortlichkeit an eine dafür legitimierte Verwaltungs-Instanz.
Letztlich basiert die ständige absurde Verschärfung des Fremdengesetzes schon auf diesem Prinzip: wer sich auf den Standpunkt der puren Exekution eines Gesetzes zurückzieht, braucht keinen seriösen Diskurs mehr.
Nicht in dieser Variante der Sicherheits-Demokratie.
Politik als Regulativ des Zusammenlebens hat zwar Management-Funktion, wenn es den Bürgern aber zunehmend nahegelegt wird ihre Verantwortung an der Garderobe abzugeben, kommt sie nicht einmal dieser (ohnehin schon um Werte und Moral reduzierten) Aufgabe nach.
シャンタル・ムフ
Leicht gemacht wird das durch die alt- und neuösterreichische Praxis der Konsens-Demokratie um jeden Preis, der Verweigerung von Konfrontation (incl der danach zwingend einsetzenden Apathie und Partizpationsunlust).
Konsens ist aber nichts per se grandioses.
Konsens ist immer vorläufig.
Konsens ist immer ausschließend.
Konsens deckt immer zu.
Das sind im übrigen Schlüsselsätze, die die belgische Politikwissenschafterin Chantal Mouffe schon im 1993 erschienenen Standardwerk "The Return of the Political" ausspricht.
Mouffe verweigert in ihrem Plädoyer für einen agonistischen Pluralismus die Trennung von privaten und öffentlichen Äußerungen, sie bezeichnet den politischen Glauben an Rationalismus als Illusion und definiert Politik in erster Linie als Ausdruck von Differenz und Dissenz.
Sie spricht davon das "Gegeneinander" und vor allem die Gegnerschaft ohne Hass zu üben.
Mouffe hat indirekt auch das mitbedacht, was die österreichische Situation spezifisch macht. Sehr früh, schon 93 spricht sie davon, dass ein zunnehmendes "blurring" der politischen Grenzen zwischen links und rechts politische Idenditäten massiv beschädigen werde, dass dies nicht nur die Parteien, sondern auch die Möglichkeit der Partizipation an politischen Prozessen zerstört. Schöner Nachsatz: "Hence the growth of other collective identities around religious, nationalist or ethnic forms of identification."
정부
Nun sind diese international bekannten Modelle wie erwähnt von 1993 bzw 2003. In Österreich sind sie allerdings kein Thema, kein Diskursanreißer gewesen: in der Politik sowieso nicht, selbstverständlich nicht in den Mainstream-Medien, aber auch die intellektuellen Themenführer im Land haben in ihren Sonntags-Schriften und Festival-Eröffnungsreden komplett ausgelassen.
Ich vermute diese Angst sich mit der Theorie und dem Reality Check der politischen Praxis in ihrer Realverfassung zu beschäftigen hat mit der Furcht zu tun, da eventuell etwas zu entdecken.
Die in durchaus entcheidungskräftigen Positionen politisch tätigen Menschen die ich kenne, reagieren da ähnlich: in der Analyse zunächst durchaus selbst- und systemkritisch, gibt es einen bestimmten Punkt ab dem sie sich (selbst im zwanglosen Reden drüber) dann inhaltlich abwenden und ihrem ureigenen Themengebiet, in dem sie das Bestmögliche wollen und auch unternehmen, zuwenden. Als hätten sie Angst davor, sich mit einem zu intensiven Blick in die Definitions-Realität so zu beschmutzen, dass sie dann ihr Ding nicht mehr ekelfrei weiterführen könnten.
投票制度
Diese konkrete Arbeit ist wichtig.
Und natürlich ist es auch im Falschen möglich Richtiges zu tun.
Trotzdem ist die Gefahr der Entwertung dieser Bemühungen gegeben, wenn die geänderte Regierungsform das was wir unter Demokratie verstehen, zunehmend mit einer wie auch immer gearteten postdemokratischen Variante überzieht.
Dieses volkstribunenartige System, bei dem nur noch von Umfrage zu Umfrage, von Krone-Cover bis zu Krone-Schelte gedacht wird, ist zum reinen Spektakel verkommen und hat mit dem Idealbild einer funktionierenden Demokratie klassischen Stils nichts mehr zu tun.
Alle Vorraussetzungen, die dafür möglich wären - ökonomische Kräfte, die das Gemeinwohl im Auge haben sollten; dem Wahlvolk verpflichtete Politiker, verantwortungsbewußt agierende Medien oder gutinformierte Bürger, die ihre Aktivität/Partizipation nicht an Sensationsgeilheit koppeln - existieren nur noch im Märchen.
Und so schön die auch immer klingen: an sie zu glauben wäre durchaus fatal.