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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

17. 5. 2011 - 16:09

Die Bekehrung

Die erste Liebe, eine Bibelgruppe mit einem dunklen Geheimnis und nebenbei eine eindrucksvolle Darstellung der Zersiedelung - der Architekt und Comiczeichner Matthias Gnehm kann das.

buchcover comic 'die bekehrung' bub kniet betend im hintergrund ein stadtplan

matthias gnehm/edition moderne

Mathias Gnehm: Die Bekehrung. Edition Moderne 2011

Matthias Gnehm, geb. 1970, lebt in Zürich.
Außerdem von Matthias Gnehm lesenswert:
"Paul Corks Geschmack" (in Zusammenarbeit mit Francis Rivolta) über eine Person, die Farben schmecken kann,
der Wirtschaftskrimi "Tod eines Bankiers" und der Wissenschaftskrimi "Das Selbstexperiment".

Aarolfingen wäre beinahe eine Stadt in der Schweiz geworden, ist aber eine Utopie geblieben. Aarolfingen war ein Stadtplanungsprojekt im Schweizer Mittelland in den 60er Jahren. 33 Gemeinden und die Städte Aarau, Olten und Zofingen sollten zusammengefasst werden und so der Zersiedelung des Mittellands entgegenwirken. Sogar eine Universität war geplant. 1974 wurde das Projekt dann endgültig aufgegeben.

Und doch lebt es jetzt weiter - in der Graphic Novel "Die Bekehrung" von Matthias Gnehm. Der zeichnet nicht nur Comics, sondern ist auch Architekt. Wie gelungen diese Mischung ist, zeigt sich einmal mehr in "Die Bekehrung". Aber der Reihe nach:

Das Cover ist nicht unbedingt ein Hingreifer, aber schon nach den ersten paar Seiten kippt man in den Stil und die Geschichte von Matthias Gnehm, die im Hauptbahnhof Zürich beginnt.

Mittwoch, 10. November 2009: Ein Mann eilt zum Fahrkartenautomat, ärgert sich über die Person, die vor ihm viel zu langsam ist, die Uhr tickt unerbittlich, endlich die Karte gekauft und ab zum Zug. Auf dem Weg zum Bahnsteig wird er von einem anderen Mann angesprochen. Ein alter Bekannter, Luki. Der ignoriert völlig, dass der hastende Mann, Kurt, keine große Lust auf Konversation, vor allem aber keine Zeit hat und begleitet ihn dennoch zum Zug. Auf dem Weg dahin erfährt man, dass Kurt in das Kaff fahren will, in dem die beiden ihre Kindheit verbracht haben, und in dem Luki noch immer wohnt. Kurt soll einen Artikel über Zersiedelung schreiben.

Im Zug erinnert sich Kurt an seine Kindheit und Pubertät und an seine damalige große Liebe: Patrizia. Seine Schwester, ein großer Cure-Fan, warnt ihn vor Patritzia.

Patritzia sucht die Nähe zu Gott in der Bibelgruppe, und weil Kurt die Nähe zu Patrizia sucht, tritt auch er der Bibelgruppe bei. Schon bald wird er von dieser Runde völlig eingenommen und lässt sich bekehren:

Mehr und mehr entfremdet sich Kurt von seiner Familie. Die wiederum zweifelt an dem Leiter der "Bibelifutzis", Pfarrer Obrist, und es entwicklet sich eine Geschichte um ein dunkles Geheimnis, die leider nur allzu wahr sein kann ...

Zersiedelung

Matthias Gnehm erzählt aber nicht nur diese spannende Geschichte, sondern bringt ganz nebenbei ein verständliches Beispiel der Zersiedelung. In mehreren Einstellungen zeichnet er immer wieder die gleichen Ortsteile in verschiedenen Entwicklungsstufen: während seiner Kindheit 1984, während seines Besuchs 2009 und in einer bestimmten Frequenz eine Utopie, die wohl das traumhafte Aarolfingen zeigt. Erst nach dem Lesen beginnt man diese Bilder zu vergleichen und erkennt die Raffinesse dieser Arbeit.

Originalzeichnungen von "Die Bekehrung" werden noch bis 19. Mai im trottoir in Zürich, Selnaustraße 6, ausgestellt.

"Die Bekehrung" ist ausschließlich schwarz/weiß in klaren Panels. Während die architektonischen Skizzen naturalistisch sind, sind die Figuren sehr vereinfacht gezeichnet, Mathias Gnehm wechselt gekonnt die Perspektiven, fügt geschickt Sequenzen und Zooms ein und bleibt aber immer seinem klaren Stil treu.

Weitere Buchrezensionen:

Vielleicht ist "Die Bekehrung" auch ein leiser Wunsch des Architekten. Das Darstellen der Zersiedelung in der Hoffnung, dass die Bevölkerung und die Verantwortlichen die Ausmaße der willkürlichen Zersiedelung erkennen und sich eben bekehren lassen.

Und wenn die Nahrungsmittelindustrie mit "functional food" wirbt, könnte man auch "functional comics" einführen.
Liest sich sehr gut und man lernt auch was dabei.