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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 5. 2011 - 21:46

Journal 2011. Eintrag 97.

Der regionale Bürgeraufstand als Droh-Szenario.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Bericht vom Land. Nachdem man im Rest Österreichs schon nichts vom versuchten Bürgeraufstand in der Steiermark mitbekommen hat (der aufgrund der fatal-brutalen Querbeet-Budgetkürzungen der dortigen Regierung zustande kam) sollten wir jetzt wenigstens der nächsten Dominostein (Oberösterreich) nicht auch noch verpassen.

Ich bin gerade ein paar Tage im Mühlviertel, ganz weit oben in Oberösterreich - warum, das wird hier morgen oder übermorgen eh Thema sein.
Ich bin da mit einer ungewöhnlichen Regional-Politikerin ins Gespräch gekommen - und sie hat mir indirekt ein Stichwort gegeben: und deshalb jetzt hier heute ein paar Worte zu dem, was zuletzt in der Steiermark passiert ist; und jetzt auch in Oberösterreich droht.
Die Länder (nicht nur diese beiden) sind finanziell schlecht beinander; und sie sparen. Nun bedeutet "sparen" in Österreichs Ländern normalerweise, dass man Klientel-Politik betreibt: also dort, wo die jeweiligen regierungs-Parteien ihre Core-Kundschaft vermuten, passiert nicht so viel, überall anders jedoch. Deshalb wird am ehesten und schnellsten im Kultur- und Sozial-Bereich gespart. Was dann in erster Linie die kleinen lokalen Initiativen betrifft, die keine alteingesessene Lobby haben - die Feuerwehrfest-Kultur betrifft's schon nicht.

In der Steiermark allerdings war die Lage derart verfahren und verzweifelt, dass das Land (also die SP/VP-Koalition) mit dem berühmten Rasenmäher über praktisch alles drübergefahren ist: 25 % Minus.
Das betrifft nicht nur die üblichen Verdächtigen, die in den Regionen ohnehin automatisch suspekten Kulturfritzen, sondern praktisch alles: Kürzungen bei der Wohnbeihilfe, Streichung von Therapie, Erziehungshilfe, Sozialbetreuung, Regress für Pflege und Mindestsicherung von Angehörigen.

Steirischer Kahlschlag im Sozial-, Kultur- und Jugendbereich

Um das durchziehen zu können hat die steirische Landesregierung still und heimlich alle relevanten Landesgesetze (Behindertengesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz, Kinderbetreuungsgesetz, Sozialhilfegesetz...) geändert, und das ohne Stellungnahmen, Begutachtungsfristen etc, weil nur so das drastische Spar-Doppelbudget überhaupt beschlossen werden konnte.

Dabei ging es drunter und drüber - was auf die heftigen Proteste im Vorfeld zurückzuführen war - denn überraschenderweise ließen sich die Betroffenen nicht einfach maulend auf den Kopf scheißen: es kam eine echte Bürgerbewegung in Gange. Plattform 25 heißt die, und lokal hat sie durchaus sowas wie Heldenstatus, weil man sowas nicht gewohnt ist: Wehrhaftigkeit.
Gut, die Aktionen und Demos hatten keine direkten Auswirkungen, nix da mit Paketaufschnüren, meinten die Parteien und ziehen ihr Minus 25%-Ding durch, ungeachtet der möglichen Folgen.

Die Plattform 25, die ihren Namen wegen der Prozentzahl hat, aber durchaus nicht zu unrecht ein bissl an Stuttgart 21 erinnert, tut jetzt das einzig Richtige: nicht nachlassen, unangenehm bleiben. Man hat zwar nichts, woran sich die Volksseele gefahrlos abarbeiten kann wie das leicht greifbare Bahnhofs/Umwelt/Business-Projekt des Stuttgarter Bahnhofs, sondern "nur" eine abstrakte Kürzung um ein Viertel - aber die Proteste und Aktionen der über 580 (!) in der Plattform vertretenen Vereine werden fortgesetzt.

Von der Steiermark weiter nach Oberösterreich

Ein paar Tage später lese ich zufällig (aber es gibt ja keine Zufälle) etwas von dramatischen Sparmaßnahmen in Oberösterreich. Und eine kleine Nachfrage entlarvt das als den nächsten Schritt eines finanziellen Flächenbrandes in den Ländern, der auf dem Rücken der sozial Schwachen, der wenig Wehrhaften, der Kranken und der Kultur ausgetragen wird.

Und genau darüber hat heute auch die Bürgermeisterin von Ottensheim erzählt. Die horcht da besonders kritisch auf, weil sie selber als Kultur-Aktivistin begonnen hat (Festival der Regionen und so). Und ich habe aufgehorcht, weil sie jetzt die Bürgermeisterin einer lokalen Bürgerliste ist, und ganz ohne Parteizugehörigkeit auskommt. Und jeder, der mit den Bedingungen in den Ländern vertraut ist, weiß dass die Partei-Granden das hassen wie der Teufel das Weihwasser (um ein ländliches Bild zu verwenden); noch dazu wenn es sich um unkontrollierbare und sozial bewegte Gruppen handelt. Die dann in einzelnen Gemeinden auch gewählt werden, weil man in den kleinen Einheiten einfach Bescheid weiß über das, was die Volksvertreter wirklich leisten.

Nun ist Ottensheim nicht Graz oder gar die Steiermark – aber wahrscheinlich ist das das stärkste Druckmittel das Initiativen wie die Plattform 25 hat: ihre lokalpolitische Relevanz, ihre im Kampf gegen die Ungerechtigkeit errungene Glaubwürdigkeit. Wenn sie die im lokalen, regionalen Bereich einsetzen (anstatt sich auf die etablierten Parteien, Grüne inklusive, zu verlassen) dann können sie ein Gegengewicht schaffen.

PS: und wieder in übler Fall von Mainstream-Medien-Versagen.

Vielleicht wird der Bürger-Protest der Marke Plattform 25 dann auch von mehr als nur den lokalen steirischen Medien gecovert. Das, was nach Meinung etwa der bundesweiten Medien nicht so sonderlich interessant ist (denn, ehrlich, nichtsteirische/r User/Userin, hast du abseits von diversen Grassroots-Kanälen was davon gewußt/gehört?) für den bundesweiten Diskurs, bekäme wohl erst nach seiner politischen und wahltaktischen Übersetzung in lokale Mandate ein echtes Gewicht.

Was eigentlich unerklärlich ist. Denn das Gejammer über die Abwesenheit des Wutbürgers deutscher Prägung in Österreich hat genug Leitartikel geschnulzt. Wenn Mainstream-Media nicht einmal der banalsten seiner Verpflichtungen, der Berichterstattung über Bürger-Proteste, nachkommt, wiewohl die ihnen sogar knackige Stories auflegen würden, dann ist echt Hopfen und Malz verloren (um ein weiteres ländliches Bild zu gebrauchen - es ist ansteckend, diese Landluft...).