Erstellt am: 14. 5. 2011 - 14:15 Uhr
China, der Flußkrebs und das Gras-Schlammpferd
Guobin Yangs Buch "The Power of the Internet in China: Citizen Activism Online" erregte im Jahr 2009 viel Aufmerksamkeit. Diese Woche hat der Soziologe, der in New York an der Columbia University unterrichtet, auf der "Digital Publics"-Konferenz in Wien gesprochen. Betrachte man die letzten 10-15 Jahre, sagt Yang, dann sei das Netz eine der wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen Chinas. Blogs und Foren würden widerspiegeln, was die chinesischen Bürger bewegt: "Große soziale Fragen, politische Sorgen, der private Unmut von Menschen – all das wird durch Internetaktivismus abgebildet. Indem man das chinesische Internet studiert, kann man ein sehr gutes Bild davon erhalten, was in China geschieht."
Ai Wei Wei
Das Land ist nicht nur im Hinblick auf die Zensur ein Sonderfall. China wurde Mitte der Neunziger Jahre mit dem Netz verbunden – also zu jener Zeit, als auch die großen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen Chinas stattfanden. Yang: "Die Entwicklung des Internet und die strukturelle Veränderung der Gesellschaft in China sind eng miteinander verbunden. Das ist ein sehr wichtiger Unterschied zur Netzkultur und Netzpolitik in anderen Ländern. "
GMH
Einer der wichtigsten Aspekte der chinesischen Internetgesellschaft ist die Kreativität, mit der die User ihren Protest zum Ausdruck bringen (müssen). "Wir sehen, dass täglich neue Wörter, neue Sprichworte, neue Symbole und neue Bilder entstehen. Manche von ihnen werden sehr populär und sehr einflussreich. " Ein Beispiel dafür ist das Gras-Schlammpferd. Es ist ein fiktives Tier, allgegenwärtig im chinesischen Netz. In der chinesischen Aussprache ergibt das Gras-Schlammpferd (Cao Ní Ma) doppeldeutig auch die sehr derbe Beleidigung der Mutter des Gegenübers. Dem Gras-Schlammpferd wird der Flußkrebs gegenübergestellt – dessen Schriftzeichen wiederum ergeben doppeldeutig das Wort Harmonie, ein zentraler Propagandabegriff der Kommunistischen Partei. Guobin Yang: "Chinesische Behörden zensurieren Websites im Namen der Harmonie.Wenn deine Website geschlossen wird, sagen Netizens, dass sie 'harmonisiert' wurde. Deshalb wird das Bild des Gras-Schlammpferdes dem Flußkrebs gegenübergestellt. Es ist ein Bild des Kampfes chinesischer Aktivisten gegen Internetzensur." Als Videoclip funktioniert das dann zum Beispiel so:
Von Gras-Schlammpferd und Flußkrebs gibt es nicht nur Fotos und Videos, sondern auch Stofftiere - und Prominente wie der vor kurzem verhaftete Künstler Ai Wei Wei verwenden solcherlei Symbole gerne. Ungefährlich ist das freilich nicht. Zwar ist chinesischer Netzaktivismus vielfältiger und frecher geworden - aber seit einem Jahr verfeinert auch die chinesische Regierung ihre Kontrollmechanismen intesiver als zuvor, sagt Guobin Yang. Die Zukunft der chinesischen Internetgesellschaft könne man daher nicht voraussagen.