Erstellt am: 12. 5. 2011 - 18:20 Uhr
Schuldokratie pfändet Demokratie
Warum erzählen sie uns nicht genau um welche Art von Schulden es sich handelt? Wem gegenüber haben wir diese Schulden? Wieviel genau ist es? Und: was sind die vertraglichen Bedingungen unter denen sie zustande gekommen sind?
Der 88-jährige griechische Schriftsteller und Widerstandskämpfer Manolis Glezos stellt Fragen, deren Beantwortung Griechenlands Ausweg aus den Endlos-Szenarien von Rettungspaketen, Sparprogrammen und Stabilisierungsmaßnahmen sein könnte. Möglichen Antworten auf kritische Fragen zur Verschuldung ist die griechische Öffentlichkeit jetzt ein kleines Stück näher gekommen.

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In nur fünf Tagen hatte der Dokumentarfilm Debtocracy über eine halbe Million views online. "Als sie sahen, dass wir 500.000 views hatten, konnten die mainstream-Medien nicht länger so tun, als gäbe es uns nicht - einige Zeitungen begannen die Dokumentation anzugreifen und zu diskreditieren." erzählt die Filmemacherin Katerina Kitidi im Interview mit owni.eu.
Der um 8.000 Euro im Stile konventioneller aufklärerischer TV-Formate gedrehte Film verbindet Wirtschaftshistorisches über Massenkonsum und Staatsverschuldung (nicht so brilliant) mit Kritik am internationalen Währungsfond, der EU und der europäischen Zentralbank und erzählt die Geschichte der so genannten "odious debt" - der Nichtigerklärung illegitimer Schulden (brillianter).

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Über 15 Milliarden Euro gab die griechische Regierung für die olympischen Sommerspiele 2004 mit dazugehörigen Infrastrukturprojekten aus, Verträge mit deutschen Firmen wie Siemens oder amerikanischen wie Goldman Sachs stellten sich als bittere Budgetposten heraus. Zu Beginn der Krise "rettete" Griechenland Banken mit 108 Milliarden Euro, eine Summe so hoch wie das "Hilfs"-Paket, das IWF, EU und EZB für Griechenland aufbrachten. "Das waren überhaupt keine Maßnahmen zur Schuldenreduktion, das waren Maßnahmen zum Schutz der Banken." sagt der Wirtschaftswissenschafter Costas Lapavitsas. Und die deutsche Abgeordnete der Linken, Sarah Wagenknecht betont, dass es Deutschlands Bedingung war, dass Griechenland den Import deutscher Rüstungsgüter nicht minimieren dürfe, während drakonische Sparmaßnahmen im öffentlichen Haushalt verlangt wurden.

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Die desaströsen Auswirkungen der IWF-Politik erläutert im Film der Nervenchirurg Panos Papanicolaou: „In allen Ländern, die bisher vom IWF „unterstützt“ wurden, ist die durchschnittliche Lebenserwartung dramatisch gesunken. In manchen Ländern ist die Lebenserwartung nach dem Todesurteil des IWF um 5-10 Jahre gesunken. Durch die Kürzungen, die wir gerade erleben, ist klar, dass unsere Lebenserwartung in hohem Maße reduziert wird."
Zu den politischen Instabilitäten, die durch Stabilitätsprogramme zur Schuldenbedienung ausgelöst werden können, gehörte auch der Abgang des argentinischen Regierungschefs 2001, der per Hubschrauber vor der eigenen Bevölkerung floh.

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Ganz ähnlich erging es dem equadorianischen Regierungschef 2005, dessen Prioritäten den Forderungen der internationalen Finanzaristokratie galten, anstatt sich für die Belange der EquadorianerInnen selbst einzusetzen.
Romantisch glorifiziert werden solche Szenarien zur Inspiration der griechischen Protestbewegung:

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Tatsächliche Alternativen zur Unterwürfigkeit unter die IWF- und EU-Finanzbürokratie aufzuzeigen, ist die eigentliche Stärke des Dokumentarfilms Debtocracy. Dass Konzept der "odious debt" gestattet Staatsschulden für nichtig zu erklären, wenn drei Bedingungen zutreffen:
- Die Regierung eines Landes hat Schulden ohne das Wissen und die Zustimmung der Bevölkerung aufgenommen.
- Die Regierung hat das Geld für Zwecke ausgegeben, die nicht dem Wohl der Bevölkerung dienen.
- Die Kreditgeber wussten um diese Situation, stellten sich aber unwissend und gaben den Kredit.
Angewandt wurde dieses Prinzip z.B. 1898 nachdem die USA Kuba erobert hatten, damit theoretisch die Schulden aus 400 Jahren spanischer Kolonialzeit am Hals gehabt hätten, aber nicht bereit waren zu zahlen. Die USA waren es auch, die "odious debt" im 21. Jahrhundert praktizierten. Drei Wochen nach der US-Alliierten Invasion im Irak erklärte der US-Finanzminister Saddam Husseins Schulden zu odious debt.
Und schließlich das jüngste Beispiel Equador: Der indigene Präsident Raffael Correa ließ Delegierte des IWF schlichter Hand aus Equador abschieben. (Darunter Schuldeneintreiber, die heute in Griechenland am Werk sind.) Eine eigene Rechnungsprüfungskommission wurde installiert, die sämtliche Schuldenverträge unter die Lupe nahm und herausfand, dass 80% der Schulden auf illegitime Weise zustande gekommen waren. Die Regierung hörte auf, diese Schulden zu bezahlen und in der Folge konnten die Ausgaben für Gesundheit und Bildung nach langer Zeit wieder erhöht werden.
Eine Bewegung aus WissenschafterInnen, RichterInnen, Intellektuellen, Gewerkschaften und KünstlerInnen fordert in Griechenland nun ebenfalls eine vertrauenswürdige öffentliche Kommission einzurichten, die Zugang zu den Daten im Finanzministerium bekommt und die Schuldensituation kritisch im Interesse der Bevölkerung durchleuchtet. Den politischen Clans und Parteien vor Ort wird diese Aufgabe nicht zugetraut.
"Wenn diejenigen, die die Krise verursacht haben, nicht vor haben dafür zu zahlen – warum sollten wir es tun?"
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