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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 5. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 95.

... oder auch: Fußball-Journal '11-38. Weil die Grenzen der Verantwortung für Wettbetrug und Wettsucht fließend sind und sowohl Sport als auch Politik/Gesellschaft betreffen.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Eintrag, der auch als Fußball-Journal '11 durchgehen kann. Weil er eine der vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld dieses Sports behandelt. Und weil das Fußball-Journal '11 heuer ebenso wie 2010 ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Stillhalte-Abkommen, die große Teile des heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen, daherkommt.

Heute mit einem Blick auf die Verlogenheit und Bigotterie, die Sport, Politik und Gesellschaft (und da vor allem "die bessere") an den Tag legen, wenn es drum geht Schlupflöcher für Geldgeber zu finden, deren Handwerk man aus sportlichen, politischen und moralischen Gründen genau gar nicht unterstützen dürfte.

Es fällt schön zusammen: die gestrige Präsentation einer Studie zum Suchtfaktor von Glückspiel; und die heutige Bekanntgabe der neuen Mobilmachung gegen Wettbetrug, vor allem im schönen Fußball.

Wenn dann Florian Klenk im Falter auch noch neue Recherchen über die Einflussnahme der Wettspiel-Industrie auf das laue Gesetz hinweist und dabei die Akte Novomatic fortschreibt.

An der Novomatic, der stärkste und effektivste Player auf dem superboomenden Wett- und Glückspiel-Markt, lässt sich eine Menge über die Zusammenhänge von Politik, privatwirtschaftlichen Interessen und Bigotterie herstellen, an deren Ende eine ganze Latte an Opfern steht.

Da gibt es immer wieder interessante Zusammenhänge, was offizielle Gutachten betrifft, da werden Lektionen im Lobbying erteilt.

Da ist einerseits sogar die Branche über die Offensichtlichkeit der Vorgangsweise erschüttert und da tauchen dann auch die üblichen Verdächtigen auf, ohne die gar keine Unschuldsvermutung mehr ausgesprochen werden kann.

Die Branche bejubelt das Gesetz, das sie kontrollieren soll

Wichtig war schlicht und ergreifend, dass die Novellen zum Glücksspielgesetz eine Win-win-Situation für alle Beteiligten herstellen. Für alle bis auf die, die die Rechnung per Deppensteuer bezahlen: die Süchtler halt, Spieler und Spielerinnen, die weiterhin tendenziell ungeschützt blieben.
Auch das war selbst den Dümmsten von Anfang an klar, ebenso wie alle wussten, woher der Wind weht.

Trotzdem ist gegen diese neue wirtschaftliche Macht einfach kein Kraut gewachsen - jeder, der mit ihnen zu tun hat, knickt innerhalb von kurzer Zeit ein. Etwas, was man aus US-Filmen und Erzählungen aus dem neuen wilden Osten kennt. Mitten in Österreich.
Dazu bedarf es aber nicht nur einer Menge Kontakte und Anstrengungen, sondern auch eine ganze Latte an Rundherum-Verpflichtungen: so wie das mit dem Witwen/&Waisen-Fond (zwinker zwinker) bei der Polizei (in lustigen alten Filmen) abgeht. Aber das natürlich auf einer seriösen Ebene.

Was bietet sich da besser an als die Hochkultur-Szenerie. Die ist, vor allem medial, in einem Duktus des Selbstbetrugs gefangen (und hoppla, diese scheinheilige Diskrepanz zwischen tatsächlicher Relevanz und medialer Inszenierung war hier doch unlängst eh Thema) und insofern über ihre Eitelkeit und ihre Distinktions-Posen recht leicht instrumentalisierbar.

Ablass durch politisch kalkuliertes Hochkultursponsoring

Wer jemals eine Kultur-Veranstaltung, die im Novomatic-Sitz im (an sich schönen, aber grauenvoll im nouveaux riches Stil, der den Mausi Lugners dieser Republik sicher toll gefällt, renovierten) alten Verkehrsbüro gegenüber der Sezession besucht hat, bekommt eine Ahnung davon, wie sich Kulturmäzenaten in Moskau anfühlen muss.

Dieses Kultursponsoring tut gar nicht so, als ginge es um Diskurs, Feinsinnigkeit und die gesellschaftspolitische Sprengkraft der Kunst, dieses Kultursponsoring interessiert sich für die Repräsentation von Macht, will ein fluffiges Hintergrund-Ambiente für Business.
Und so sponsert die Novomatic seriöse Kulturmontage, Ö1-Veranstaltungen und drängt sich dank einiger Raffinesse auch bei Themen, für die es genau keine Expertise gibt, in willfährige Medien.

Das tut weh, findet aber auf scheinbar völlig verlorenem Terrain statt.
Denn die Verantwortung für Wett-Sucht und das Leiden der Opfer ist offenbar gesellschaftlich opportun, wenn man dafür (quasi als Ablass)
seinen Kultur-Euro zahlt.
Gewissen beruhigt, passt.

Im Fall der im Sport aufgepoppten Wettbetrugs-Geschichten der letzten Monate und Jahre sitzt die Moral nicht ganz so locker. Da wird um Aufklärung gerungen, werden Frühwarnsysteme eingezogen, und überhaupt, sagt der Chef von der großen Wettfirma, die die Fußball-Bundesliga sponsert, sei man in Österreich in einer Vorreiterrolle.

Der Wettbetrug und die Unschulds-Posen

Ja, eh, möchte man da nicken, weil sich hier endlich jemand der Verantwortlichen (weil ohne große Wettfirmen kein Betrug, keine Manipulation, keine Sucht, keine Opfer) der Verantwortung stellt.
Im gleichen Zusammenhang tauchen dann aber die immer gleichen Unschulds-Posen auf, mit denen sich die gesamte Szene so gern freispielt. Beispiel: Der monströse Wettbetrugsskandal, der in Bochum recherchiert und verhandelt wurde und wird.
Jahrelang hat sich niemand in Österreich dafür interessiert - bis auf den offiziellen Antrag auf Akteneinsicht. Auf die Idee aktiv in die Sache reinzugehen, in Bochum und ringsherum selber Recherchen anzustellen, sind weder die Fußball-Offiziellen noch die eifrig Wettradars installierenden Wettbetreiber gekommen. Nur nix aufrühren, vielleicht kommt man ja eh irgendwie davon.

Und überhaupt, es könnte ja, Zitat Newald, "eine Negativspirale einsetzen wie im Radsport mit der Dopingproblematik". Dort wird ja auch erst offen gesprochen und halbwegs nachgeforscht, als es eigentlich schon viel zu spät war - hier eine gute Aufarbeitung in einer Servus-TV-Diskussion. Inklusive der schönen Pointe, dass auch im Doping-Bereich ein mit viel Trara verabschiedetes Gesetz nicht wirklich greift, die dort inkludierten tollen Strafandrohungen ziemlich ineffektiv sind.

Und dann weiß ich kurz nicht, was eigentlich schiacher ist: die schwammige, dauernd bewusst zu spät kommende, mit Gesten der Hilflosigkeit versehene Schmähtandelei der verrotteten Sportwetten-Industrie, oder die klar definierte, auf das reine Geschäft bedachte Vorgangsweise des Sich-Freikaufens von Schuld über den Hochkultur-Schilling, derer sich die Novomatic bedient.