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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

11. 5. 2011 - 11:05

Verschwende deine Jugend

Die Band der Stunde mit unserem Album der Woche: The Naked and Famous und "Passive Me, Aggressive You".

"Yeah, Yeah, Yeah!", diese drei wohlvertrauten Worte sind es, die von der ersten Single dieser Band hängenbleiben.

Dazu lösen sich im dazugehörigen Video diverse Bilder von schönen jungen Menschen ab, die diversen Freizeitbeschäftigungen nachgehen. In der freien Natur herumhüpfen und dabei in die Sonne blinzeln. Mit dem Fahrrad herumcruisen. Mit Klamotten in den Pool springen. Skaten. Rückspiegel von Autos abreißen. Im Meer versinken und eventuell nicht so bald wieder auftauchen.

The Naked and Famous "Young Blood"

Universal Music

Auch wenn in "Young Blood", dem hysterisch-euphorischen Durchbruchshit von The Naked and Famous, einige Momente lang eine bittersüße Melancholie aufblitzt, die eben untrennbar mit dem Teenagersein verbunden ist, es ist dieses gekreischte "Yeah, Yeah, Yeah!", das sich in die Gehörgänge eingräbt. Und das die neuseeländische Band wohl in gewissen Kreisen verdächtig machen dürfte.

Belanglose Gute-Laune-Musik, höre ich schon die kritischen Stimmen, die wirklich wichtigen Dinge passieren doch woanders. Bei den Beat-Zerhäckslern, den singenden Gender-Theoretikern, den anarchischen Protestsong-Erneuerern, den ambitionierten Poeten, den Meistern der subtilen Zwischentöne. Das Spannende, höre ich so oft, ist doch nur bei denen zu Hause, die sich offensiv gegen die bevorstehenden Katastrophen auflehnen.

The Naked and Famous

Universal Music

Was aber, würde ich gerne einwerfen, wenn die Apokalypse schon stattgefunden hat? Wenn ohnehin schon alles in Trümmern liegt, alles bereits aufgeschrieben, erlebt, gefühlt, komponiert wurde? Wenn die Idee einer linearen Geschichte nur mehr Fassade ist, um den dahinterliegenden Stillstand zu kaschieren? Wenn all die Beat- und Sprach-Dekonstrukteure auch nur mehr das bisher Geschriebene, Erlebte, Gefühlte, Komponierte auf mehr oder weniger bemühte Weise rekombinieren?

Ich schweife jetzt ziemlich vom Thema ab. Aber mir fällt gerade der große Jean Baudrillard ein, der fast schon wieder vergessene Vordenker der Alles-ist-bereits-gesagt-Philosophie. Kurz vor seinem Tod besuchte ich eine Ausstellung, wo der alte Franzose seine Fotos zeigte und auch darüber referierte. Gar keine hochkünstlerischen Bilder waren da zu sehen, sondern zur Verwunderung der anwesenden Intellektuellengemeinde eine Art von Allerwelts-Schnappschüssen.

Ich will hier nicht die komplexen Reflexionen wiedergeben, mit denen Baudrillard seine banal scheinenden Fotos rechtfertigte.

Aber ich erinnere mich, dass mir damals, bei dieser Ausstellung, ein bestimmter Gedanke nicht mehr aus dem Kopf wollte: Wenn der Untergang schon hinter uns liegt und alle nur mehr Zombieexistenzen führen, wenn in den privilegierten westlichen Zonen jeder nur mehr seine kleine Nische, seine kleine Haltung, seinen Sound, seine Mode, seine tausendmal durchgekaute Ideologie kultiviert, wenn die Auflösung jeglicher Underground- und Mainstream-Kategorien längst kein Thema mehr ist, wenn es kein Entkommen aus der Konformität gibt und alle kulturellen Ausbrüche bereits fix mitgedachte Teile des Spiels sind, wenn also alles durch ist, super und scheißegal zugleich, dann kann man möglicherweise wieder ganz simple Gesten setzen. Schnappschüsse. Romantic Comedies. Rock'n'Roll-Posen. Ein schlichtes "Yeah, Yeah, Yeah!".

The Naked and Famous

Universal Music

The Naked and Famous stehen einerseits für diesen unschuldigen jugendlichen Aufschrei als Gegenentwurf zu all den gefeierten, ernsthaften Gegenwartskünstlern. Du kannst es auch frenetischen Sommersound nennen, einen bewussten Zuckerschock, eine hemmungslose Verneigung vor dem Altar des Pop. Siehe auch: MGMT anno "Oracular Spectacular". Oder auch: Passion Pit, Empire Of The Sun.

Auf der anderen Seite - und das macht The Naked and Famous zu einer neuen Schlüsselband unserer postapokalyptischen Zeit - könnte die fünfköpfige Posse aus dem neuseeländischen Auckland nicht weiter vom Begriff "Unschuld" weg sein. Vom angedeuteten Suizidversuch im happy peppi "Young Blood"-Video führt ein Weg direkt zurück zu den Anfängen der Gruppe als Nine-Inch-Nails-Covercombo.

The Naked and Famous

Universal Music

Trent Reznor und sein manieristischer Industrialrock-Zugang hängen dann auch immer wieder wie ein Schatten über manchen Songs von "Passive Me, Aggressive You", dem wunderbaren Debütalbum der Band. In Tracks wie "A Wolf In Geek's Clothing" wird der bittersüße Electropop durch sämtliche Verzerrer gejagt.

Dazwischen gibt es gefühlte Gastauftritte von den Smashing Pumpkins, Garbage, Curve, My Bloody Valentine, New Order, Massive Attack und, ja, Radiohead. Auch diese Formation, die sich am verdienstvollsten und mitreißendsten an Baudrillard'schen Themen abgearbeitet hat, flackert im hypnotischen "The Sun" auf. Muss ich erwähnen, dass The Naked and Famous das Thom York'sche Wehklagen über den Verlust der Realität durch ein sexy Flüstern von Sängerin Alisa Xayalith und Sänger Thom Powers ersetzen?

The Naked and Famous

Universal Music

Haben diese versammelten Superhits der Achtziger, Neunziger und Nullerjahre auch Inhalte? Aber ja, es geht um die ewigen Probleme, die uns auch schon vor der Apokalypse bewegt und gequält haben. Er ist passiv, sie ist aggressiv und umgekehrt, die gegenseitigen Zerfleischungen, die irren Glücksausbrüche. "The mood it changes like the wind, hard to control when it begins."

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Rocko Schamoni hat unlängst in einem "Doppelzimmer" mit Elisabeth Scharang sinngemäß gemeint: Es gibt keinen Sinn des Lebens. Es gibt allerdings einen Tages-Sinn oder maximal einen Wochen-Sinn, den man sich selbst erschaffen muss.

Vielleicht reicht es zwischendurch einfach, in den Trümmern herumzukriechen und dort nach Schönheit zu suchen. Vielleicht genügt ein simples "Yeah, Yeah, Yeah!"

The Naked and Famous "Young Blood"

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