Erstellt am: 11. 5. 2011 - 15:20 Uhr
Fünf Gedanken zu Cyberfeminismus
Zwar scheint die Sonne, zwar juckt die Nase, aber ich muss einfach mal was versuchen: nämlich die Verquickung von Cyberfeminismus mit der Internetbewegung Anonymous. Ich glaube nämlich, dass Anonymous ein dringendes Aufklärungsbedürfnis hat und dass Cyberfeminismus genau das leisten könnte.
Dazu erstmal ein paar Gedanken zu Cyberfeminismus, dann Anonymous, dann zu beiden. Morgen, übermorgen kommt dann noch mein, für mich selbst etwas überraschender, Artikel zu Anonymous, die ich nämlich nach einem Interview mit der Soziologin Carolin Wiedemann als tatsächlich spannendes Thema für mich entdeckte.
@sysx.org
Wie's Helga Hansen vom Mädchenmannschaft-Blog auf der Re:publica schon sagte: den Cyberfeminismus gibt es nicht, so wie es auch den einen Feminismus nicht gibt. Beides sind Begriffsschubladen, in denen verschiedene Praxen der Durchsetzung und Erreichung der Rechte der Frauen, Analysen der gesellschaftlichen (Herrschafts-)Verhältnisse, in denen Frauen marginalisiert oder unterdrückt werden und aller Graubereiche, zum Beispiel der Kunst, die diese Theorien und Praxen beleuchten, subvertieren, umkrempeln, zerstören oder verfälschen wollen.
Feminismus ist ein Angebot, über ein bestimmtes Problem mit bestimmten Mitteln nachzudenken - und Cyberfeminismus ist die Beschränkung (oder Fokussierung) auf die neuen Mittel des Internets. Zumindest schien mir das so, als es auf der Internet-Konferenz Re:publica XI um Cyberfeminismus ging.
Da ging es um die pragmatischen Praxis: Dass Frauen in "sozialen Medien" (social media, brrrr) Mitsprache- und Definitionsrechte bekommen, sich traditionell (wenn man bei einem Zeitraum von 30 Jahren seit Internetbeginn überhaupt von Traditionen reden kann) männlich besetzte Praxen (also: "Techniken"/"Softwares") bemächtigen und überhaupt also das Internet für sich benutzen. Der Feminist unterstützt dabei die Frauenrechte, indem er Mackertum und Marginalisierung in Medien bekämpft, sich über sein eigenes, ausgrenzendes Verhalten bewusst wird (und wahrscheinlich auch: keine pseudofeministischen Theorien in Weblogs des öffentlichen Rundfunks verbreitet ...).
Klar: Cyberfeminismus lässt sich schwer positiv fassen - und viele wollen das ja auch explizit nicht. Was Cyberfeminismus sein könnte und nicht sein sollte, erklärt das Old Boys Network am besten.
Jedenfalls muss man sich das vor Augen halten, um die meiner Ansicht nach sehr interessante Kritik mancher FeministInnen am Cyber-Präfix zu verstehen. Denn was unterscheidet eigentlich einen Cyber- von einem Nichtcyber-Feminismus?
(ich weiß auch nicht so recht ...)
Ich behaupte: Zwanzig Jahre. Cyberfeminismus ist ein Konzept der Neunziger Jahre, eine Reaktion auf die feministische Technologiekritik der Achziger - und deshalb mit aller naiven Euphorie über eine Welt ohne Essenz und Körper aufgeladen. Donna Haraways Cyborg-Manifest, die diversen Theorien, Schlachtrufe und Definitionsversuche zu einem neuen Feminismus (auch: neuen Menschen) durch's Internet zeigen das: Das Internet, das damals Cyberspace hieß, war eine neue Welt, die von der körperlichen Welt getrennt existierte, in der neubegonnen, ausprobiert, zerstört werden konnte, jeder für sich, jeder für alle.
Dieser Cyberspace war bevölkert von Ideen und nicht von Identitäten. Dieser Cyberspace war eine Befreiung - und natürlich nur eine Illusion, zumindest wenn man heute über ihn nachdenkt. Herrschaftsverhältnisse setzen sich auch in ihm fort. Technik ist nicht neutral. Und sie hat die Menschen und damit die Menschheit auch noch nicht verändert. Im Gegenteil, sie schützt Gesellschaften vor Krisen und stabilisiert sie und ihre Verhältnisse.
Gab's das schon: "Für eine technologische Revolution stellen zu wenige Maschinen zu wenige Menschen an zu wenige Mauern."?
Die Versuche einer neuen, vielleicht feministischen Technologie und damit neuer Technik, so scheint es mir, verpufften entweder in Kunst oder wurden vom Fortschrittsdogma aufgefressen. Jede technologische Entwicklung ist eine technologische Fortentwicklung, oder?
(Auf der Re:publica XI)
Was geht dann noch? Technologie und Technik pragmatisieren, ohne sie als biopolitisch neutral zu verschleiern. Technik muss möglichst neutralisiert werden, zumindest aber durch Kontrollmechanismen in ihrer biopolitischen Dimension weitgehend entschärft werden, um neue Kommunikationsräume zu öffnen.
Seltsamerweise geschieht das - wie genau, das versuch ich gerade in einem parallelen Text zu erarbeiten - derzeit vor allem in der irgendwie untheoretischen Theorie (Nicht-Theorie?) von Anonymous.
Zwar hat Anonymous noch ordentlich Aufklärungspotential, aber die Idee ist gut: Diese seltsame Internetbewegung hat erkannt, dass Anonymität die wirkliche Revolution der Technik Internet sein könnte. Das Internet bietet - zumindest potentiell - eine Möglichkeit der Kommunikation, wie es sie ohne diese Technik nicht geben könnte. Die Zusammenfassung:
Anonymous strengt sich - ob nun absichtlich oder nicht, darüber muss gestritten werden - an, mit technischen Mitteln eine Öffentlichkeit ohne Identität zu schaffen. Identitäten sind der gesellschaftliche Ballast einer Person. Über sie wird der Repräsentations-, Autorenschaft- und Verantwortungszwang der Gesellschaft ausgespielt. Identitäten sind der gesellschaftliche Anteil einer Person und durch zahlreiche Zuschreibungs-, Umdeutungs- und Kontrollmechanismen nicht unter der Herrschaft der Personen.
(Ich weiß immer weniger ...)
Anonymous stellt sich gegen den Repräsentationszwang. Anonymous kann dadurch die Freiheit und gleichzeitig auch Gleichheit seiner "Mitglieder" sicherstellen. Anonymous zieht allen möglichen Herrschaftsformen durch das Auflösen der Einheit aller Handlungen und Reaktionen und Zuschreibungen einer bestimmten Person den Stecker - zumindest auf einer unmittelbaren Ebene (dass natürlich Zugang zum Internet, zur Sprache, zum Ausdruck, zum Wissenshorizont usw. noch ganz anderen Mächten unterliegen, muss unterschlagen werden.)
Ich glaube, das könnte eine tolle Sache für's feministische Projekt sein. Die Probleme mit der Identität sind ja altbekannt und betreffen alle möglichen Formen von Unfreiheit. Vielleicht können wir uns an eine neue Anonymität gewöhnen, in der das Problem der Verantwortungslosigkeit (die ja gleichzeitig auch ein Vorteil ist!) irgendwie gelöst werden kann. Wie: keine Ahnung. Etwa Selbstkorrektur (Ausgliedern unerwünschter Kommunikationsinhalte) setzt ja nur neue Herrschaftsstrukturen ein ... Nun, aber darum geht es hier ja auch gar nicht.
Sondern um den konkreten Cyberfeminismus und wie ich ihn zum Anfang des neuen Jahrtausends.
@www.stanford.edu
Denn das finde ich das spannende an Donna Haraways Cyborg-Manifesto (psychoanalytische Kritik mal außen vor gelassen): dass sie genau diese Chance anspricht, zu einer neuen Verfassung des Ichs, der Person/Persona, der Individualität anregt. Denn die Idee "Ein Körper, eine Person", die Zwangsverbindung von Körper, Herkunft, sozialem Status und sozialar Rolle (und nicht etwa Rollen) könnte tatsächlich dank Internet aufgelöst werden. Die Rolle des Internets ist dabei, wie ich meine, nur die eines relativ uninteressanten Mittlers, ein Filter, der Individualität auflösen mag.
Demnach, und das deckt sich mit den Gedanken der Soziologin Carolin Neumann, die ich zum revolutionären Potential von Anonymous befragte (den entsprechenden Text schieb ich dieser Tage noch nach), kann sich der Cyberfeminismus etwas von Anonymous abschauen, die ja auch als ein Angriff auf Facebook und Co, den Idolen des Repräsentationszwangs, gesehen werden können.
Oder um es auf den Punkt zu bringen: Die große Chance des Cyberfeminismus ist, zumindest für das Internet, vielleicht aber auch für die Gesellschaft über das Internet einen Beitrag zu leisten, zumindest einen Freiraum im Internet, vielleicht aber auch einen neuen Kommunikationsmodus für die Gesellschaft zu schaffen, in dem alles gesagt werden kann und in dem alles gehört werden muss.
Oder noch kürzer: Der Cyberfeminismus sollte dringend Aufklärungsarbeit bei Anonymous leisten, damit diese spannende Bewegung nicht einfach nur alte Herrschaftsstrukturen durch eine neue Technokratie ersetzen, die bestraft, statt zu ermöglicht.