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Pia Reiser

Filmflimmern

23. 5. 2011 - 06:01

Augenklappe, die vierte

Wir werfen, nein, wir schießen mit Kanonen Blicke auf "Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides" und die unstete Geschichte des Piratenfilms. ARRR you with me?

Geht’s um das Franchisemonster namens "Pirates of the Caribbean", das krakenartig und mit Pomp und Trallala nach unserer Aufmerksamkeit giert und auch dieses Jahr einen unübersehbaren Sommerblockbuster stellt, werde ich zur Frauenmagazin-Phrasendrescherin, spreche von "entschlacken", "abspecken" und "straffen". So sehr ich filmische Opulenz liebe, so sehr sind diese Filme für mich wie ein paniertes Tiramisu, es ist einfach immer ein bisschen viel. Von allem. Dabei muss man der Ka-ching-Maschine namens Disney zugestehen, dass sie ein Genre wiederbelebt habt, das seit Jahrzehnten röchelnd am Boden lag. Wiederbelebt wohl mit einem Defibrillator, der mindestens fluxkompensatorbetrieben war, so überlebensgroß, tosend und unübersehbar ist der Piratenfilm seit seiner Wiederauferstehung mit "Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl".

The swashbuckling years

Das war 2003 und somit 50 Jahre nachdem der Erfolgszug der rau- und holzbeinigen Seeräuber in Hollywood zu Ende ging. Von 1942 bis 1953 aber, da herrschte auf der Leinwand ein reges Treiben von augenbeklappten Abenteurern, lose angelehnt an historische Begebenheiten frönte man dem herrlichen Eskapismuskino in Technicolor, bis es in Formelhaftigkeit erstarrte, und das Publikum der Freibeuter überdrüssig wurde.

Errol Flynn in "Captain Blood"

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"Captain Blood"

Gutherzige Seeräuber

Tyrone Power und Errol Flynn waren die Ikonen dieses Genres, gerne eine Hand in die Hüfte gestemmt, das Kinn in die Höhe gereckt und der Welt die Stirn bietend. Im imagefixierten Studiosystem dieser Jahre wurden klassische Heldentypen wie Flynn und Power nur als Sympathieträger besetzt, also trotz Raubzug, Schwertkampf und gelegentlicher Entführung betonten die Piratenfilme stets das gute Herz ihrer Hauptfigur. Oft ist die Piraterie nur eine Phase, bevor sich der Held wieder ins Gesellschaftssystem einordnet, die Anarchie der Meere hinter sich lässt, Festland betritt und in den Hafen der Ehe einläuft. Die grandiose Maureen O'Hara, die Technicolor Queen, sticht aus diesen Filmen raus, als forsche Frauenfigur auf Augenhöhe mit dem Held mit Augenklappe. O'Hara war eine klassische Hollywoodschönheit, die auf der Leinwand aber Tomboy-Qualitäten mit Diva-Momenten zu kombinieren wusste, sie stand nicht dem Helden zuwinkend am Hafen, sie turnte an Deck herum und wich keiner Auseinandersetzung aus. Sie war Herrin über die Waffen der Frauen, aber auch die der Männer wusste sie im Zweikampf einzusetzen.

Tyrone Power und Maureen o'Hara in "Der Seeräuber"

10th century fox

"Black Swan" (1942)

Wer weiß, vielleicht hatte Renny Harlin ja ein, zwei Gedanken an O'Hara im Kopf, als er 1995 zu einem Wiederbelebungsversuch des Genres an- und Geena Davis in "Die Piratenbraut" besetzte. Der Film wird ein inszenatorisches und finanzielles Fiasko, der Patient "Piratenfilm" fällt zurück ins Koma. Die Erfahrung, dass Piraten nicht immer die Box Office erfreuen, hatte auch schon ein wesentlich großartigerer Regisseur machen müssen: Vincente Minnelli bringt 1948, also zur Hochblüte des Genres, einen Flop in die Kinos. Er löst das Piratenmotiv los vom Abenteuerfilm und dreht ein Musical mit Judy Garland und Gene Kelly. Es ist nahe an der Satire, wenn in diesem Technicolor-Fiebertraum Gene Kelly in verboten kurzen Hosen und in jeder Hand einen Säbel durch diesen Film schwebt und tanzt oder Judy Garland darüber singt, dass man nie genau weiß, ob man cari-bbean oder caribb-ean sagt.

Gene Kelly und Judy Garland in "The Pirate"

MGM

"The Pirate" (1984)

Natürlich gibt es auch noch "The Princess Bride" und "Hook", doch da sind die Piraten nur Teilelement eines Fantasy-Films, wie bei zahlreichen anderen.

Komödien, Hitchcock, Polanski

Graham Chapman versucht sich mit "Yellowbeard" an einer Piratenkomödie, und 1986 versucht Disney Piratenmotive kinderfreundlich zu machen und besetzt Peter Ustinov als Pirat. Der deutsche Verleihtitel nennt das Ganze in einem akuten Wenzel-Lüdecke-Anfall "Käpt'n Blackbeards Spuk-Kaschemme". 1972 schnallt sich selbst die lebende Legende Orson Welles ein Holzbein um und grantelt und murmelt sich durch eine Verfilmung von "Die Schatzinsel". Auch andere Regielegenden können nicht vorbei an den Seeräubern, allerdings bleiben sie dabei hinter der Kamera. Alfred Hitchcock verbindet mit "Jamaica Inn" (1939) Suspense und Romanze mit einer Seeräuberbande an der englischen Küste im 19. Jahrhundert.

Charles Laughten und Maureen O'Hara in "Jamaica Inn"

ITV Studios

Jamaica Inn

Roman Polanski geht das ganze Thema weniger düster an und besetzt 1986 einen goldschmuckbehangenen Walther Matthau in "Piraten", einem familientauglichen Abenteuer. Und da nähern wir uns auch schon der Disney'schen-Erfolgsformel an, da wurde 2003 noch ein Zentner Action hinzugefügt und fast fertig war das Rezept für die "Fluch der Karbik"-Reihe, deren Erfolg all jenen, die über die Idee eine Themenpark-Attraktion zu einem Film zu machen, gelacht hatten, zum Erstummen brachte.

Walther Matthau in "Piraten"

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Käpt'n Iglu nach dem Fischstäbchenentzug: Walther Matthau in "Pirates"

Oh Sparrow

Wichtigster Baustein allerdings war allein eine Figur, gespielt von Johnny Depp, der bis dahin ein geherzter Liebling des amerikanischen Independent-Kinos war und als Jack Sparrow die Mainstream-Meere einnahm. Sparrow, der mit allen Konventionen, was eine Figur aus einem klassischen Piratenfilm betraf, brach, war schließlich das mirakulöse Backpulver, das diesen Kinokuchen zum Aufgehen brachte. Ein stets halbbetrunkener, mit Manierismen und Spleens ausgestatteter Pirat, dem man nie trauen kann, der schneller Seiten wechselt als andere Leute Unterhosen und mit lakonischen One-Linern um sich warf, während Eyeliner seine Augen umzingelte.

Jack Sparrow ist jetzt also das, was uns der Terminator einst androhte, nämlich wiedermal back. Im vierten Teil der Saga übernimmt Rob Marshall nach dem Abgang Gore Verbinskis das Regieruder und sticht in die hohe 3D-Blockbustersee (jetzt ist Schluss mit maritimen Anspielungen, ich schwör). Auf Blackbeards Schiff (The pirate all pirates fear) macht er sich auf die Suche nach einem magischen Jungbrunnen, an Bord sind Zombies und Angelica (Penelope Cruz) und man weiß nicht, wer von den beiden Sparrow mehr durcheinanderbringt, die Untoten oder die höchst Lebendige, der er dereinst sein Herz geschenkt (und dann wieder entzogen) hatte.

Johnny Depp und Penelope Cruz bis zur Hüfte in Wasser stehend, Szenenbild aus "Pirates of the Caribbean"

Disney

"Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides" zollt in einer anfänglichen Sparrow'schen Fluchtsequenz Tribut an ein altmodisches Abenteuerkino, in dem Helden auf Lustern und Vorhängen geschwungen und aus Fenstern auf Kutschen gesprungen sind. Eingewoben in diese wahnsinnig schön choreographierte Flucht ist noch dazu ein Cameo von Judi Dench, pardon, Dame Judi Dench, soviel Zeit muss auch auf der Fluch sein. Zu dem Zeitpunkt kringelt einem das dauergeloopte bombastische musikalische Thema von Hans Zimmer noch nicht die Zehennägel auf, genießt also diese erste halbe Stunde des Films.

Jack Sparrow auf einer fahrenden Kutsche stehend, Szenenbild aus "Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides"

Disney

Danach wird alles Routine und Deja-Vu, wenn auch weit weniger zerfahren und zerfranst als in "At World's End", dennoch nagt dieses Inszenierungs-Schema, dass nach fast jedem Dialog eine Riesenkampfszene vom Zaun gebrochen wird, die so gut wie nie Einfluss auf den Handlungsverlauf hat, an meinen Nerven, ich erinnere an das oben erwähnte panierte Tiramisu. In seltenen Momenten gönnt sich der Film epische Ruhemomente, die an Ölgemälde erinnern. Kleine Kuraufenthalte für Auge und Ohr. Fantastisch auch, dass man den Spaniern und Engländern verschiedene Farbwelten zugedacht hat. Wo's bei den Spaniern meist dunkel und schummrig ist und viele Szenen unter Deck spielen, stehen die bleichgesichtigen und blasierten Engländer in ihren blanken Uniformen gern an Deck, nehmen ein Frühstück ein und lassen sich eine steife Brise um die britische Nase wehen.

Johnny Depp und Geoffrey Rush in "Pirates of the Caribbean"

Disney

Meerjungfrauen!

Die Dramaturgie hinkt wie Long John Silver himself, rückt Angelica immer wieder in den Fokus, um sie gleich drauf wieder zu vergessen, verlässt sich zu sehr darauf, dass Sparrows Kommentare und Gestik uns schon zufriedenstellen werden. Meine Augen sehnen sich aber nach irgendetwas Neuem, nach etwas, das ich nicht eh schon aus den ersten drei Teilen kenne und - mon dieu - da kommen die Meerjungfrauen, und ich bin zufrieden. Diese Meerjungfrauen sind betörend schön und natürlich auch gefährlich, haben fantastisch schimmernde Haut und Haare, die sich automatisch über den Busen legen. (Da muss es einen Disney-Conditionier geben).

Meerjungfrau in "Pirates of the Caribbean"

Disney

Zwischen einem Missionar, der bei Blackbeard an Bord war und einer dieser Meerjungfrauen entspinnt sich eine Anhimmelei, an der ich sentimental fool größten Gefallen finde. Da bricht der berechnende Blockbuster auf, für nur wenige Momente, und bringt mythische Elemente, ja fast Märchenhaftes rein. Cheesy mögen die einen sagen, aber ich glaub, wahllose Actionszenen und Explosionen wecken in mir den Hunger nach cheesy.

Raus aufs Meer und raus aus der Realität

"Pirates of the Caribbean: On Stranger Tides" läuft seit 20. Mai 2011 in den österreichischen Kinos

In diesem Moment ist "On Stranger Tides" wahrscheinlich dabei, alle Einspielrekorde zu brechen. Das was man weiß, wenn man sich auf die Piratenreihe einlässt, ist doch auch das, was einen aber stört: Die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung. Auch den Jungbrunnen, der ein wenig Mythos in den Karacho-Reigen bringen sollte, nutzt Marshall nicht für visuelle Experimente. Ich will jetzt nicht spoilern, aber wer schon mal in der Natur war, der wird vom Anblick des Jungbrunnens nicht wahnsinnig überrascht sein. Es ist diese immer viel zu krampfig gewollte Disney-Magie, die man hier beschwört, in einem Sommerblockbuster, der natürlich spitze als genau das funktioniert, was der Piratenfilm auch 1942 war: Eskapismuskino. Mit CGI- statt Tyrone Power.