Erstellt am: 10. 5. 2011 - 11:53 Uhr
Wiener Festwochen 2011
Vom grönländischen Eis zu kasachischen Bohrtürmen, durch kolumbianische Straßenfeste und japanische Wohnzimmer bis zum Mond und wieder zurück ins Wiener Donauzentrum oder in die Flüchtlingssiedlung Macondo in Simmering. Die Wiener Festwochen 2011 geben sich kosmopolitisch und zeigen - wie Intendant Luc Bondy ganz unbescheiden bemerkt - das Avantgardistischste, das die Theaterwelt im Augenblick zu bieten hat.
Alle Infos zum Programm finden sich auf: www.festwochen.at
46 Produktionen aus 24 verschiedenen Ländern berichten von neuen Verteilungskämpfen, extremen Klimazonen und erproben im gemäßigten Mitteleuropa urbane Überlebensstrategien.
Wir haben ein paar Programmtipps für euch herausgepickt:
Unendliche Weiten
"Österreich singt" statt "Willkommen Österreich" heißt es zum Auftakt der Festwochen für Dirk Stermann. Er hat heuer die Ehre, die offizielle Eröffnung am Wiener Rathausplatz zu moderieren, und wird freudeschönergötterfunken mit dem größten Chor des Landes Beethovens "Ode an die Freude" anstimmen.
Am 13. Mai am Wiener Rathausplatz
Schon am Tag davor bricht der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler das Eis. Für sein musikalisches Theaterexperiment "+/- 0" (Plus-minus Null) hat er in den vergangenen Wochen ein subpolares Basislager in Grönland errichtet, und gemeinsam mit KünstlerInnen aus Nuuk und Kangerlussuaq Lebensart, Landschaft und Musik des Landes erforscht. Aufgeführt werden deren Reflexionen über Isolation, Fremdsein und Klimawandel nun in einem Nachbau der grönlandischen US-Airbase. Musikalisch spielt sich das zwischen autochtonen Chorgesängen, "Es gibt kein Bier auf Hawai" und Brahms' Requiem ab.
Von 12.-15. Mai in der Halle E im Museumsquartier
Unbekannte Weiten und menschlichen Gefühlssalltag erforscht auch Robert Lepages Stück "The Far Side Of The Moon". Der kanadische Regisseur und Schauspieler verknüpft den amerikanisch-russischen Wettlauf um den Weltraum mit dem Schicksal eines ungleichen Brüderpaares. Der eine ist ein gescheiterter Akademiker und möchte eine Videobotschaft ins All schicken. Der andere ist erfolgreich, schwul und Wetteransager im Fernsehen. In Produktionen andernorts und im gleichnamigen Film (2003) hat Robert Lepage beide Parts selbst übernommen. In Wien spielt Yves Jacques.
Von 20.-22. Mai im Burgtheater
Sophie Grenier
Urbane Räume
"Into the City", die Festwochen-Reihe über städtische Jugendkultur geht heuer ins sechste Jahr.
Unter dem Titel "Melting Pot" führen junge RapperInnen der Wiener Streetacademy gemeinsam mit dem ORF Radio-Symphonieorchester eine Crossover-Produktion auf. Als kleine Einstimmung darauf gibt es in der FM4-Morningshow von 16.-20. Mai ein paar Beatboxing-Lessons.
Am 20. Mai im Donau Zentrum
"Wünsch dir was" heißt es ab Mitte Juni für alle BewohnerInnen des Siebenbrunnenplatzes. Sie sollen sich überlegen, wie der öffentliche Raum dort in Zukunft genutzt und gestaltet werden soll. Der beste Vorschlag wird anschließend umgesetzt.
Von 11.-18. Juni am Wiener Siebenbrunnenplatz
Die Veranstaltungsreihe "Safe European Home?" fragt schließlich nach der Situation der Roma in Österreich. Neben Ausstellung, Podiumsdiskussionen und Filmvorführungen, wird die dazugehörige Installation vor dem Österreichischen Parlament, direkt unter dem Fenster des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf aufgestellt.
Von 26. Mai - 8. Juni am Vorplatz des Österreichischen Parlaments
Fokus Japan
Einen kleinen Schwerpunkt widmen die Wiener Festwochen japanischen Befindlichkeiten aus der Prä-Fukushima-Ära.
In "A Sonic Life Of A Giant Tortoise" von Regisseur und Choreograph Toshiki Okada unterhalten sich mittel bis gut situierte Enddreißiger über soziale Anpassungszwänge, Leistungsdruck und Möglichkeiten des individuellen Glücks.
Von 21.-24. Mai im brut im Künstlerhaus
Akira Takayama stellt als "Selbsterfahrungs-Installation" "Compartment City - Vienna" einen Container mit Videokabinen auf den Karlsplatz. Dort kann man sich Interviews ansehen, in denen Menschen aus Wien und Tokio die gleichen 30 Fragen beantworten.
Von 21. Mai - 4. Juni im Resselpark am Karlsplatz
Gesellschaftspolitisch aufschlussreiche Gesten sind auch im "Castle of Dreams" von Daisuke Miura zu sehen. In einem vollgeramschten Apartment voller Dosenbier, Fernsehen, Videospiele und Sex fröhnen ein paar desillusionierte StadtbewohnerInnen ihrem wohlstandsverwahrlosten Alltag. Durch eine Glasscheibe kann man alles beobachten. Text gibt es dazu allerdings keinen.
Klaus Lefebvre
Überleben im Großstadtdschungel
Weitere mögliche Daseinsformen im urbanen Raum präsentiert das Schauspielprogramm unter dem Titel "forum festwochen ff Überlebensstrategien".
Die Reykjaviker Künstlergruppe "Kviss búmm bang" hat dazu eine grandiose Idee geboren und veranstaltet "The Norm Olympics". An sechs Tagen haben jeweils acht TeilnehmerInnen die Gelegenheit, ein anderes Leben auszuprobieren. Sie erhalten einen neuen Namen, neue Kleidung, ein neues Zuhause und ein Skript, das sie mit ihrem neuen Partner einen Abend lang durchspielen sollen. Wer genug hat von seinem eigenen Alltagstrott, ist der geborene Norm-Olympionike. Für die neue Identität muss man sich natürlich rechtzeitig anmelden.
Von 13.-18. Juni, Treffpunkt im Project Space Karlsplatz
Von ZuschauerIn zu TeilnehmerIn wird man auch in
"The Survival Project" des indischen Schauspielers Harish Khanna. In den vergangenen Monaten hat er vom Erdnussverkäufer bis zur mobilen Wäschebüglerin den Einfallsreichtum und Überlebenskampf indischer StraßendienstleisterInnen gefilmt. Einige Khannas MitarbeiterInnen werden nun Workshops anbieten, in denen Strategien des Straßenverkaufs eingeübt werden können.
Von 13.-18. Juni in Kunsthalle Wien und Project Space Karlsplatz
Bienvenido en América del Sur
Drei Produktionen führen nach Kolumbien und präsentieren Freiheitsrhethorik und eine Art südamerikanischen Perchtenlauf.
Die Videoinstallation "La Buena Vida" zeigt Meinungsumfragen zu Demokratisierung und US-Interventionen in südamerikanischen Ländern. In "Six Acts: An Experiment in Narrative Justice" aktualisiert der kolumbianische Videokünstler Carlos Motta historische Friedensansprachen von sechs linken Präsidentschaftskandidaten, die allesamt während ihres Wahlkampfs ermordet wurden.
Von 8.-15. Juni im Foyer im brut im Künstlerhaus
Ebenfalls in Form von Videos, allerdings inklusive Livedarstellung, bringt die politische Theatertruppe "Mapa Teatro" "Los Santos Inocentes", das "Fest der unschuldigen Kinder" auf die Bühne. Ursprünglich sollen jeden 28. Dezember bunte Straßenumzüge an den Kindermord in Bethlehem erinnern. An der kolumbianischen Pazifikküste ist es allerdings zwischen Drogenkrieg und Guerrillakämpfen zu einem brutalen Karneval geworden.
Mauricio Esguerra
Historische Großprojekte
Festliches Treiben, aber ganz ohne Gewaltausbrüche wird sich auch in der Flüchtlingssiedlung Macondo in Wien Simmering einstellen. Dort führt der finnische Regisseur Kristian Smeds unter dem Titel "Vysniu Sodas" Anton Tschechows "Der Kirschgarten" auf. Die Tragikomödie über den Niedergang der russischen Adelsgesellschaft wird aber nicht klassisch in Szene gesetzt, sondern ist als Happening konzipiert. Die SchauspielerInnen ziehen in die Macondo-Siedlung ein, und laden alle BewohnerInnen und Interessierten zu Parties, Textlesungen und Getränken ein. Das Making-Of der Premiere in Vilnius wird anschließend als Video gezeigt und die erste drei Akte gespielt. Der vierte Akt folgt am nächsten Abend im Schauspielhaus.
Von 28.-30. Mai in Macondo-Siedlung und Schauspielhaus
Einem Vorhaben historischen Ausmaßes nimmt sich auch Regisseur John Collins mit dem New Yorker "Elevator Repair Service" an. In "The Select" inszeniert er die Bühnenversion Ernest Hemingways Romanklassikers "The Sun Also Rises" (Originaltitel: "Fiesta"). Eine Bestandsaufnahme der Befindlichkeiten junger Amerikaner, die in den 1920ern durch Europa vagabundieren, und trinkend versuchen, den Ersten Weltkrieg zu vergessen.
Mark Barton
A1
mit freundlicher Unterstützung von A1.
Die Schlussveranstaltung der Wiener Festwochen dringt buchstäblich in historische und geologische Tiefen. "Bodenprobe Kasachstan" ist ein Dokumentartheaterstück über die zentralasiatische Republik, die im Zweiten Weltkrieg Deportationsziel für Russlanddeutsche war und dank ihrer zahlreichen Öl- und Gasvorkommen für eine kleine Elite zum Wirtschaftswunderland geworden ist. Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) kehrt mit ausgewanderten Russlanddeutschen entlang der Pipelines zurück nach Kasachstan, um das Land, in dem sie aufgewachsen sind, neu zu beschreiben.
Von 15.-18. Juni in der Halle G im Museumsquartier
All das ist, wie gesagt, nur eine Auswahl aus dem wie immer sehr umfassenden Festwochen-Programm. Der Kartenverkauf läuft bereits.