Erstellt am: 9. 5. 2011 - 17:21 Uhr
8. Mai: Trauer- oder Feiertag?
Am 7. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor den Alliierten, am 8. Mai trat die Kapitulation in Kraft. Damit fand ein Krieg, der über 60 Millionen Menschen das Leben kostete, ein Ende. In Österreich hat sich bis heute kein einheitliches Gedenken an diesen Tag etablieren können, stattdessen konkurrieren verschiedene Gedenkveranstaltungen um die Deutungshoheit und die Einschreibung des 8. Mai in das kollektive Gedächtnis.
Im Parlament fand eine Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus statt, allerdings schon drei Tage vorher, am 5. Mai, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Mauthausen. Dorthin kamen am 8. Mai auch Vertreter der Bundesregierung, um die Befreiungsfeier des Konzentrationslagers zu begehen. Bundespräsident Heinz Fischer würdigt in einer Aussendung den 8. Mai als "Tag der Befreiung".

Simon Welebil
Der Wiener-Korporations-Ring (WKR), der Dachverband der deutschnationalen Burschenschaften in Wien will den 8. Mai nicht als Tag der Befreiung sehen. Sie sehen ihn als Trauertag, an dem sie jedes Jahr ein "Heldengedenken" abhalten, offizell für alle Gefallenen und Toten des Zweiten Weltkriegs. Mit einem Fackelzug ziehen die Burschenschafter in vollem Couleur zum Grabmal des unbekannten Soldaten im Wiener Heldentor, dem Zugang zum Heldenplatz, wo eine Totenrede gelesen wird. Heuer ist der Bundesparteiobmann der FPÖ, Heinz Christian Strache, dafür als Redner angekündigt, zum ersten Mal seit 2004, er entschuldigt sich aber in letzter Minute wegen eines dringenden Termins im Ausland, um die Gründung einer freiheitlich-patriotischen Plattform voranzutreiben.
Ob mit oder ohne Strache, ein breites gesellschaftliches Bündnis, von Israelitischer Kultusgemeinde über die Grünen, die Sozialistische Jugend und die ÖH, ist mit dieser Art des Gedenkens nicht einverstanden. Sie wollen den Burschenschaftern den Heldenplatz streitig machen, die Trauerfeier stören und den 8. Mai als Tag der Befreiung von der Naziherrschaft, als Feiertag begehen. In einer Demo ziehen sie von der Universität zum Heldenplatz.

Simon Welebil
Der Klubobmann der Wiener Grünen, David Ellensohn, ist von Anfang an bei der Demo dabei. Die Burschenschafter, die am Heldenplatz trauern, bezeichnet er als "armselige Leute, die sehr viel Angst haben" mit ewiggestrigen Ideen. "Ein trauriger Haufen, der eine traurige Feier macht." Dabei sollte man an diesem Tag fröhlich sein. "Es ist schade, dass sich hier nicht das Gefühl zur Gänze durchsetzt, das war ein guter Tag. Da war endlich der Krieg vorbei, da sind Millionen um Millionen von Menschen ermordet worden. Also wieso überhaupt irgendjemand auf die Idee kommt heute zu trauern, und dort zu stehen und quasi den verlorenen Krieg zu betrauern, na was wären denn die gerne alle geworden? Hätte damals Nazi-Deutschland und Nazi-Österreich den Krieg gewonnen, würde es heute kein Österreich geworden und wir wären alle Nazis hier. Das ist ja eine furchtbare Vorstellung."

Simon Welebil

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Etwa 1000 Menschen nehmen an der Demo teil, die über die Ringstraße, vorbei am Parlament auf den Heldenplatz führt. Als sie durch das Heldentor treten werden sie von einer Abordnung der Israelitischen Kultursgemeinde (IKG) empfangen. Ariel Muzicant, der Präsident der IKG, legt im Gedenken an die "Naziopfer, Freiheitskämpfer und Alliierten" einen Blumenkranz an das Tor. Der 8. Mai ist für ihn der Tag, an dem die wenigen Überlebenden der KZs befreit wurden, an dem die Menschen, die sich während des Krieges verstecken mussten, ihre Verstecke verlassen konnten und das Terrorregime der Nazis vorbei war, ein Feiertag. Die Trauerfeier der Burschenschaften empfindet er als "Perversion". Mit ihr würden sie die Opfer umdrehen, dabei hätte doch Hitler einen Vernichtungskrieg begonnen und gegen diese Niedertracht wolle er protestieren. Gerade als Muzicant auf der Ladefläche eines LKW eine Rede hält, bricht, ausgehend von den Menschen am Heldentor ein Pfeifkonzert los. Gerade eben ziehen die Burschenschafter in einem Fackelzug auf dem Heldenplatz ein.
Die Burschenschafter stellen sich in vollem Couleur vor der Krypta auf der rechten Seite des Heldentores auf. Die DemonstrantInnen sind vielleicht 60 Meter von ihnen entfernt. Einige Böller und ein paar andere Gegenstände werden in Richtung Burschenschaften geworfen, erreichen sie aber nicht. Mitten im Heldenplatz wurde eine Sperrzone errichtet, die von hunderten Polizisten, auf jeden Fall mehr als Burschenschaftern, aufrechterhalten wird. Behelmt und mit Schildern ausgerüstet wehren sie die Wurfgeschosse ab. Den Burschenschaftern ist die Sperrzone nicht groß genug. Sie klagen darüber, dass ihnen mehr Abstand versprochen worden sei.

Simon Welebil
Während die DemonstrantInnen das Ausbleiben Straches ihrer Mobilisierung zuschreiben, wird in rechten Kreisen vermutet, Strache könnte weiter von der "identitätsbewussten Gesinnung" abgerückt sein, um näher zu den "Futtertrögen dieser Republik" zu kommen.
Dass Heinz Christian Strache nicht am Rednerpult steht, sondern sich vom FPÖ-Landtagsabgeordneten Wolfgang Jung vertreten lässt, löst bei Teilnehmern beider Veranstaltungen Verwunderung aus, obwohl es die meisten DemonstrantInnen gar nicht mitbekommen. Sie hören und sehen den Festredner nicht. Der Brigadier Jung beklagt mittlerweile den fehlenden Respekt der "Kommunisten und Anarchisten" der anderen Seite vor den Gefallenen. Das Recht für Gedenken gelte für alle und nicht nur für bestimmte Gruppen. Jung distanziert sich in seiner Rede von den "Alpen-Donau-Nationalisten" und vom Nationalsozialismus, einem System das auch die "waffenstudentischen Korporationen aufgelöst hat." Dass sich die Deutsche Burschenschaft allerdings selbst aufgelöst hat, nachdem sie feierlich dem Nationalsozialismus geschworen hat, verschweigt er.
Jung muss dabei gegen eine Geräuschwand anreden. Von der gegenüberliegenden Seite des Heldentores werden den Burschenschaftern allerlei Slogans entgegengeschleudert, die auch die Polizisten nicht abfangen: "Ihr habt den Krieg verloren!" ist zu hören, "Gebt den Nazis Heldenplatzverbot" und vor allem "Nazis raus!" "8. Mai - nazifrei, das will ich", sagt mir eine ältere Dame, und legt nach, dass es ein Skandal sei, ein solches Fest von den Burschenschaftern missbraucht werde. Ein Skandal für die wirklichen Opfer des Krieges. "Es geht darum, dass wir uns den Heldenplatz nicht von den Rechten wegnehmen lassen, die dort ihren "Helden" gedenken", meint ein junger Demonstrant und ist froh über das starke Zeichen lebendiger Demokratie, dass sie gesetzt hätten.

Simon Welebil
Nach etwa einer halben Stunde ist die Veranstaltung der Burschenschafter vorbei. Geordnet und unter Polizeischutz verlassen sie den Heldenplatz. Vor dem Heldenplatz stimmten sie schließlich noch das Lied "Die Gedanken sind frei" an. Ihr Zug endet, wo er begonnen hat, an der Mölkerbastei, nach Diktion einer Burschenschafterwebsite "Festung gegen den Imperialismus von Türken und Franzosen."
"Wer heute nicht feiert, hat verloren", schreit jemand aus der Demo dem Trauermarsch nach. Kurz darauf löst sich auch die Gegendemo auf.