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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

9. 5. 2011 - 16:31

Bloß noch ein bisschen Schrott

Für ihr fünftes Album haben Times New Viking ihre Geröll-Musik aufgeräumt. „Dancer Equired“ ist die Pop-Platte des Trios aus Ohio. Vergleichsweise. Schwere Empfehlung: Am Montag live im Wiener B72.

Vor Witch House und Chillwave war Shitgaze. Matt Whitehurst, Sänger und Gitarrist der aus Columbus, Ohio stammenden Band Psychedelic Horseshit (die so klingt, wie sie heißt) hat den Begriff in den mittleren Nuller-Jahren im Vorbeigehen in einem Interview geprägt. Er wird das nicht ganz so ernst gemeint haben.

Times New Viking

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Als großer Verehrer von My Bloody Valentine und anderen bedröhnten Gitarrenwand-Errichtern der frühen 90er spielte er mit dem Wörtchen „Shitgaze“ auf das Genre „Shoegaze“ an und meinte in Bezug auf die eigene Band umgedeutet, dass da die eigentliche Musik und die „Lieder“ von Psychedelic Horseshit von einem dichten Film aus Rauschen, Noise und sonstigem Audioabfall zugekleistert würden. Weil das Wort „Shitgaze“ so schön war, blieb es in ein paar Magazinen und Blogs kleben und wurde auf eine Handvoll ähnlich schrottreif gepolte oder gar geographisch verbandelte Bands wie Times New Viking oder die Sic Alps ausgedehnt. Die Szene war überschaubar.

Times New Viking treten am Montag live im Wiener B72 auf.

In den vergangenen vier, fünf Jahren haben es verwaschene Lo-Fi-Ästhetik und schön schepperndes Indie-Gerumpel bekanntlich wieder zu einigem an Aufsehen gebracht: Bands wie die Vivian Girls, No Age, Cloud Nothings oder Wavves begraben ihre eigentlich o angenehmen Melodein unter Hall und dem Eigenbrummen der Garage. Während bei vielen jüngeren Bands dieser Stoßrichtung hinter der, oft mit guter Absicht, runtergerockten DIY-Ästhetik meist Pop und sweete Singalongs hervorzuschälen sind, war die Shitgaze im engeren Sinne immer deutlich näher dran an Experiment, Noise und Kakophonie.

Times New Viking

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Der ebenfalls in Columbus, Ohio stationierten Band Times New Viking eilt die sich für abgefuckte Punk-Bands immer gut machende Legende voraus, gegründet worden zu sein, ohne dass die drei Mitglieder besonders viel mehr gekonnt hätten, als einen Gitarrenkoffer schief zu halten. Was Beth Murphy, Jared Phillips und Adam Elliott freilich nicht davon abgehalten hat, regelmäßig feine Platten in die Welt zu rotzen - mit Gefühl.

Times New Viking

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"Dancer Equired" von Times New Viking ist bei Cooperative Music/Universal erschienen

Die beiden ersten Alben von Times New Viking sind 2005 bzw. 2007 beim langgedienten Label Siltbreeze erschienen, einst Heimat von solch Krach-Giganten wie Bardo Pond, Harry Pussy oder den neuseeländischen The Dead C; die Platten 3 und 4 folgten - einen Tick prestigeträchtiger - bei Matador Records, wo sonst Cat Power, Guided By Voices oder Pavement ihr gutes Werk an good ol' Indie Music verrichten. Aufpoliert hätten Times New Viking ihr schönes Instrumenteausprobieren deswegen aber nicht. An Gitarre, Orgel, wechelseitig sich in höchster Langeweile befeuernden Nöl-Gesängen und dauernd umfallenden Drums ist bei Times New Viking so stets ein feines Gezeter und Getöse entstanden, dem bei all dem Dreck und all der charmant ausgestellten Fuck-You-Attiude immer auch Momente der Harmonieseeligkeit innewohnten. Immer noch gut: Die Geschichte, dass die Band ihr 2009er-Album "Born Again Revisited" auf VHS-Kassette als Master aufgenommen hat.

Mit ihrem sehr guten, fünften Album sind Times New Viking jetzt bei Merge Records angekommen, dem von den Menschen der Band Superchunk betriebenen Label, das vermutlich zu Recht mit dem Glück ausgestattet ist, Arcade Fire noch immer im Artist-Roster zu haben. Ein klein wenig weich sind Times New Viking geworden: Zur Herstellung von "Dancer Equired" ist vermutlich ein Raum bezogen worden, der immerhin ansatzweise mit dem Wort "Studio" beschrieben wäre. Gitarre - bisweilen gar in akustischer, fast schon folkloristischer Ausformung - und Orgelmelodien treten sauberer aus dem Mix hervor, es wird richtig gesungen - wenn auch falsch. Es gibt Lieder. Zartbitter poltern sich Times New Viking durch herrliche Tunes of Ennui, Teenage Angst und Jobverloren. Ganz so genau kann man das noch immer nicht aus der Suppe heraushören. Es hat Times New Viking gut getan, nach vier Alben wunderbaren Getöses, ihren Sound ein wenig zu entrümpeln und mundgerechter aufzubereiten - komplett sauber geworden sind sie lange noch nicht: Es dröhnt, ächzt und brummt. Es quietscht in den Gelenken und das Leben ist ein brauner Fleck an der von den ganzen Zigaretten gelb gewordenen Appartmentwand. Ein Stück auf "Dancer Equired" nennt sich "Fuck Her Tears". Es ist fast das schönste der Platte.