Erstellt am: 9. 5. 2011 - 11:13 Uhr
Der letzte Schrei
Blenden wir mal kurz zurück: Mitte der neunziger Jahre wirkt das Horrorkino im wahrsten Sinn des Wortes blutleer. Die Monster und Maniacs der Achtziger, Freddy Krueger, Michael Myers & Co., haben in unzähligen Fortsetzungen ihren Schrecken verloren. Es gibt anscheinend keine neuen schaurigen Geschichten mehr zu erzählen, zusätzlich schränkt eine äußerst rigide Zensurpolitik die Filmemacher ein, nicht nur in Hollywood.
Da hat der Drehbuchautor Kevin Williamson eine Idee: Warum nicht einen Horrorfilm drehen, der genau diese Situation selbstironisch reflektiert? Er kontaktiert den Regisseur Wes Craven, einen Mann, der mit Streifen wie "Last House On The Left" oder "A Nightmare On Elmstreet" das Genre maßgeblich vorangetrieben hat.
Irgendwann darauf läutet bei einer jungen blonden Frau mit Pagenkopf das Telefon. "Never say 'who's there?'", erklärt die unbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. "Don't you watch scary movies? It's a death wish."
Ein mysteriöser Killer, der mit seinen Opfern vor deren brutaler Schlachtung über das Horrorkino parliert: Mit der legendären Eröffnungsszene, in der Drew Barrymore mit Ghostface sich um ihr Leben redet, kreieren Williamson und Craven einen Schlüsselmoment im Gänsehautkino. "Scream" wird zum ersten selbstreferentiellen Meta-Slashermovie.
Dimension Films
Das passt perfekt ins filmische Klima der Neunziger. Denn auch Regisseure wie Quentin Tarantino und dessen zahlreiche Epigonen basteln damals ihre Werke aus einer Unmenge geschickt ausgesuchter Zitate zusammen und stehen auch selbstbewusst dazu.
Die Postmoderne läuft plötzlich auf der Leinwand Amok und ist im Fall von "Scream" mit einem scharfen Messer bewaffnet. Kevin Williamson und Wes Craven gelingt aber vor allem eine Gratwanderung. Mit all den cleveren und zynischen Dialogen über Genre-Klischees und -Gesetzmäßigkeiten befriedigen sie nicht nur die Splattergeeks und Insiderfans. Daneben funktioniert "Scream" einfach als schlichtes Spannungskino für Teenager.
Williamson, der auch hinter dem TV-Hormonausbruchsdrama "Dawson's Creek" steht, erklärt den Highschool-Campus zum definitiven Ort des Grauens. Eine ganze Welle von Filmen, von "Urban Legend" bis "I Know What You Did Last Summer", hängt sich direkt an und lässt neunmalkluge Collegekids in die offene Klinge laufen.
Der riesige Erfolg schreit aber auch im wahrsten Sinne des Wortes nach Fortsetzungen und in denen reicht eine einfache Metaebene nicht mehr aus. Da wird dann ein Film im Film gedreht über die Morde des "Scream"-Killers, die ja wiederum von Filmen inspiriert wurden. Realität und Simulation vermischen sich wie in unserem medial geprägten Alltag.
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Irgendwann ist das junge Publikum übersättigt, spätestens mit der "Scary Movie"-Reihe wirkt die Ghostface-Maske nur mehr unfreiwillig komisch, das übergescheite Spiel mit Zitaten hat sich totgelaufen.
In den Nullerjahren entdecken Filmemacher durch den 9/11-Schock die rohen Emotionen wieder, der als obsolet belächelte Authentizitätsbegriff wird wieder entstaubt. Für das Horrorkino bedeutet das ein vorläufiges Ende der Selbstironie und einen neuen Blutrausch, inspiriert von all den herumflirrenden Kriegs- und Folterbildern.
Weil es Filme wie "Saw" oder "Hostel" auch in größte Multiplex-Paläste schaffen, lassen Hollywoods Studios ihre Muskeln spielen in der Auseinandersetzung mit Jugendschützern und Zensoren. Die Folge: Plötzlich öffnen sich die Schleusen des Mainstreams und Hektoliter Hämoglobin schwappen über die Leinwände.
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Schnitt in die unmittelbare Gegenwart. Wieder schlägt das Pendel in die Gegenrichtung aus, die Zuschauer haben genug von extremer Intensität, von Torture Porn und all den Sequels und Prequels.
Der perfekte Zeitpunkt für Kevin Williamson und Wes Craven, sich gemeinsam zurückzumelden und diesen Zustand zu kommentieren. "Scream 4" ist eine Fortsetzung, die vom Fortsetzungswahnsinn handelt, ein nostalgisch angehauchter Film, der sich über die Nostalgie lustig macht. Hallo Neunzigerrevival, hallo Sidney!
Sarakastisch-unterhaltsam zeigt der Film, wie sich der Horror unter den Bedingungen von Facebook, Twitter und omnipräsenten Smartphones verschärft. Der mittlerweile 71jährige Herr Craven schafft es dabei, die 2.0er-Gegenwart auf's Korn zu nehmen, Digital Natives, Handyjunkies und Social Network-Abhängige bloßzustellen, ohne, dass sein Kulturpessimissmus in einer pure Zeigerfinger-Haltung à la Michael Haneke umschlägt.
Die Wirklichkeit und die mediale Inszenierung sind mittlerweile untrennbar verschmolzen, davon handelt "Scream 4". Daneben gibt es aber auch ein Wiedersehen mit Neve Campbell, Courteney Cox und David Arquette, es gibt Blut, Beuschel und schwarzen Humor und die üblich schnittigen Soundtrack-Songs. Scream on, Baby.
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