Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Journal 2011. Eintrag 93."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 5. 2011 - 20:54

Journal 2011. Eintrag 93.

"The primary source of information" - Fernsehen, Journalismus, Satire?

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit der langfristigen Beobachtung einer Verschiebung, was die Glaubwürdigkeit von politischer Analyse betrifft: weg vom Journalismus, hin zu dem, was noch als Satire gelabelt wird.

Keine Sorge, die Sache wird durchaus noch tagesaktuell. Es hat mit Nuhr, Schmidt, Welke und Süß zu tun. Aber ich nehme mir die Freiheit, dort zu beginnen, wo diese Geschichte, so denke ich, ihren Anfang genommen hat.

Der Jon Stewart-Vorfall von damals:

Ich habe nachgesehen, wann FM4 sich erstmals mit Jon Stewart beschäftigt hat. Nicht in seiner Eigenschaft als Schauspieler sondern als Talk-Show-Host. Es war kurz nach der Crossfire-Episode im Oktober 2004. Stewart war Gast in der alteingeführten politischen Talksendung bei CNN, die in ihrem Dualismus zwischen der liberalen und der konservativen Herangehensweise im wesentlichen die politische Gesellschaft der USA widerspiegelte, ehe sich das Format verselbstständigte. In seiner Hochzeit schaffte es Crossfire, dass sogar ein Reaktionär wie Pat Buchanan interessante Inputs einbrachte. Ende 2004 war Crossfire allerdings bereits zu einer von vielen banalen Fluch-oder-Segen-Zuspitzungs-Show verkommen, die sich letztlich nicht mehr von Jerry Springer oder Barbara-Karlich-Shows unterscheiden.

Jon Stewart war eigentlich wegen einer Buchveröffentlichung zu Gast, nutzte das Podium und die Live-Situation aber, um Crossfire, quasi stellvertretend für das wie eine Quallenplage um sich greifende Geifer-Format (vor allem im rechten Talkradio-Bereich und vor allem auf dem fundamentalistischen Kampf-Sender FOX), zu attackieren. Stewart sprach von einer zunehmend unverantwortlichen Art solcher Programme, die anstatt über politische Themen zu informieren und einen Diskurs voranzutreiben, nur eine Polarisierung der politischen Diskussion vorantrieben: "What you do is partisan hackery. You have a responsibility to the public discourse, and you fail miserably."

Nun ist Stewarts heute noch existierendes Programm, die "Daily Show" dann, wenn dort tatsächlich politische Akteure zu Gast sind, alles andere als arminwolfisch - und mit diesem Gegenvorwurf rächten sich die Crossfire-Macher in diesem damaligen Gespräch auch. Es half aber nichts: eine öffentliche Debatte über das Thema brach los, Crossfire wurde Anfang 05 eingestellt. Und seitdem ist die Daily Show, ebenso wie der Colbert Report und andere vergleichbare Shows, einen deutlichen Ruck bewusster im Umgang mit der politischen Satire, die sie betreibt. Nicht im Sinn von Vor/Rücksicht, sondern wegen - wie es Dave Dempsey in einer seiner zahlreichen Jon Stewart-Hinweise hier anführt - der Tatsache, dass mehr und mehr Amerikaner sich ganz bewusst ihre politischen Informationen aus diesen Sendungen und nicht mehr aus den News-Shows holen. Das mag angesichts der hohen Qualität einzelner politischer News-Sendungen der alten US-Networks obszön sein, ist aber eine logische Folge der Entwertung des Journalismus, der irgendwie durchsichtig gewordenen Dauer-Embeddung in politisch brisanten Themen, anrüchig gewordener Manipulations-Fälle (aus dem Print-Bereich) und der zunehmenden Übernahme des Polit-Sprechs der Mächtigen, ohne eine seriöse Übersetzung anzubieten.

Übersetzungs-Helfer angesichts zunehmender Komplexität

Denn genau das schaffen die Jon Stewarts, diese neue politische Variante der alten Carson/Letterman/Leno-Tradition einer hofnärrischen Augenzwinkerei: Übersetzungs-Hilfe für zunehmende Komplexität. Sie können Politik als etwas Spannendes darstellen, indem sie verknüpfen, aufdröseln, Zusammenhänge herstellen und sticheln.

Wo die Crossfires zuspitzen und die FOX-Shows hetzen und damit Politik als etwas Ungustiöses darstellen, erzielt die Übersetzungs-Hilfe der Satire-Shows Spannung, weckt durchaus sogar Interesse.

2005 war dann also :das Jahr, in dem dieser Paradigmen-Wechsel klar wurde. Und irgendwie war es in der Zeit danach auch spürbar, dass sich diese Tendenz unweigerlich auch in Europa, im deutschen Sprachraum breitmachen würde.

Seitdem ist der Spruch, dass die wahre Analyse-Arbeit des politischen Geschehens in der Satire, im Kabarett passiert, durchauch omnipräsent. Auch in Österreich. Wenn etwa eine lustige Viererbande die Machenschaften rund um den Netzwerker Martin Schlaff abhandelt, dann enthält das mehr aufklärerisches Potenzial als sämtliche Medienveröffentlichungen über den Milliardär.

Erkenne die Grenze, bleib hinter den Erwartungen

Mittlerweile haben sich die bisher vielleicht als Ausnahmen herumflirrenden satirisch-kabarettistischen Zugänge verdichtet, auf der einen Seite.
Auf der anderen treiben die zunehmenden Ängste, und seit 2005 ist da ja vor allem die ökonomische Seite der Medien-Krise eskaliert, den Journalismus weiter ins Eck.

Ich habe unlängst von einem Vorgespräch erzählt bekommen, das ein Journalist, der neu in ein durchaus anerkanntes und wichtiges Ressort eines durchaus anerkannten österreichischen Mediums kommen wird, mit seinem Chef dort geführt hat. Der hat ganz klar und beinhart die Grenzen abgesteckt: nichts ungewöhnliches, nichts aus dem Rahmen fallendes soll er machen, nichts, was die Erwartungen übersteigen könnte. Ob es sich um die Erwartungen von Publikum, Vorgesetzten oder Shareholdern handelte, war in dem Zusammenhang gar nicht wichtig. Wenn junge Redakteure in einem Klima der Angst nur das perpetuieren dürfen, was die resignative Vorgänger-Generation hingestellt hat, dann wird sich die wichtigste neue Funktion, die als Übersetzer der Komplexität, nicht einstellen können. Dann bleibt der Journalist der Komplize der Berufs-Verwirrer, egal, ob sie aus Politik oder PR kommen, egal, ob sie ökonomische oder strategische Interessen vertreten.
Wer die Erwartungshaltung eines kleinsten gemeinsamen Publikums-Nenners nicht ankratzen darf, kann keinen Journalismus betreiben.

Zum Beispiel: das deutsche Fernsehen

Mir ist das alles gestern und vorgestern und heute aufgefallen. Ich habe im Abstand weniger Stunden "Harals Schmidt", die "Heute-Show", Teile eines Dieter Nuhr-Programms und Christoph Süß' "Quer" gesehen (dazu könnte ich jetzt noch ein paar andere Beispiele anführen, Extra 3 im NDR etwa).

Und letztlich ist es mir dort ergangen, wie dem halbwegs neugierigen US-Bürger, der sich bei Jon Stewarts Daily Show am besten über die politischen Zusammenhänge informiert sieht: die Verzichtbarkeit deutscher Nachrichten-Programme, vor allem, was deutsche Themen betrifft, ist evident. Denn auch sie übersetzen nichts mehr, nicht in der Nachrichten-Verlautbarung, kaum in der Moderation, so gut wie gar nicht in der Kurz-Reportage, nie im Kommentar - man bleibt in der elitären Szene-Wortwahl der internen Blase, mit der man durchaus problemlos und glatt durchkommt, aber am tatsächlichen Interesse des Publikums (besser natürlich: der Minderheit, die sich interessiert) vorbeiagiert.
Das ist keine Frage von alt und jung, von alten und neuen Medien: fader und unverständlicher Frontalvortrag von unverdauten und unerklärten Fakten geht allen am Arsch vorbei.

Welke, Schmidt, Nuhr und Süß (und natürlich die großen Teams dahinter) haben in ihrem an Fingerpuppentheater gemahnenden Aufklärungs-Stil deutlich mehr an substanzieller Hintergrund-Information anzubieten, klären Zusammenhänge, Fehlprojektionen, Trugschlüsse, Irrtümer und das Übergehen von Offensichtlichkeiten mit einer Originalität, die der Journalismus irgendwann auch besaß, aber mittlerweile verloren hat.

Und während sich die Branche, aus Angst vor der Krise, nicht traut, eine Verlustanzeige aufzugeben, oder eine offene Suche in Angriff zu nehmen, wird ihr die Butter vom Brot genommen. The primary source of information - das werden nicht mehr lange die TV-Nachrichten sein, sofern die weiter glauben, ohne sinnhafte Untertitelung auszukommen.