Erstellt am: 7. 5. 2011 - 15:42 Uhr
Der Tod kommt aus den 70ern
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Während der Donnerstag beim Donaufestival der bislang am stimmigsten zusammenpassend, mit u.a Laurie Anderson und Lydia Lunch publikumstechnisch eher in Richtung geschichtsbewusstes, dezent höheres Alterssegement gebuchte Tag war, spiegelt der Freitag aktuelle - oder gerade wieder frisch auferstandene - Zeitgeistmusiken wider. Hipness. Es ist der Tag mit dem besten Programm.
Bevor die Nacht aber mit verhältnismäßigem Pop-Appeal über Krems hereinbricht, darf man sich im Stadtsaal im Zeitlupengenuss noch einmal von den wunderbaren Kindertotenliedern bestrafen lassen, in der Minoritenkirche die aus dem Umfeld des kanadischen Labels Constellation Records geladenen Hiss Tracts samt abgewetzten Projektionen erleben oder am Ende des Stadtparks mit der kleinen evangelischen Kirche einen neuen und einmalig genutzten Spielort kennenlernen. Dort nämlich sitzt Tim Hecker an der Orgel.
Dass Tim Hecker ein Großartiger ist, ist an dieser Stelle schon einmal breitgetreten worden. Der kanadische Musiker ist neben Kollegen Ben Frost einer der feinsten Drone/Ambient-Artisten der Gegenwart. Sein aktuelles, sechstes reguläres Album trägt den zauberhaften Titel "Ravedeath, 1972", aufgenommen hat er die Platte gemeinsam mit Freund Frost in einer isländischen Kirche. Das harmonische Seufzen und Stöhnen der Kirchenorgel trägt das gesamte Album, feingliedrig aufgetragene elektronische Manipulationen ätzen wie delikateste Weinsäure von außen am Klangkörper und geben ihm eine Aura des Morschen und schön Verbrauchten. "Ravedeath, 1972" ist eine der besten Platten des Jahres, sie gilt es in der evangelischen Kirche zu erfahren.
Tim Hecker selbst kann man nur schwer sehen, er sitzt auf dem Balkon, dafür aber darf man sich vom wohligen Dröhnen und einer mit den Worten "manchmal sehr laut" nur vage beschriebenen Lautstärke das Gesicht wegschmelzen lassen und im Zittern der Eingeweide verspüren, dass man vielleicht doch eine Seele hat. Wonne. Schmerz. Erleuchtung. Besonders wunderbar auch, dass während der Darbietung langsam die Sonne untergeht und das Publikum gegen Ende der Performance beinahe im komplett Dunklen sitzt und über die eigene Existenz nachgrübeln kann. Dafür ist Tim Hecker aber vermutlich nicht verantwortlich.

Florian Schulte
Der englische Beatschnitzer Derwin Panda (Name vermutlich ausgedacht) hat mit dem Debüt-Album seines Projekts Gold Panda eine der besseren Platten des letzten Jahres veröffentlicht. "Lucky Shiner" versprüht niedlich polternde Elektronika, die großzügig auf sauber geschnittenen Samples fußt, nicht selten gezogen von Platten fernöstlicher Folklore. Das eiert, scheppert und rumpelt gar fein. Und erinnert bisweilen an die großen Düsseldorfer Sound-Vermesser Mouse On Mars (was wurde eigenlich aus denen?) in deren Frühphase und in der Light-Darreichungsform. Live fettet Herr Panda seinen putzigen Kabelsalat erwartungsgemäß in Richtung erhöhte Tanzbarkeit auf, lässt etwas stärker ballern oder dreht seinen Hit "You" durch den sexy Cut-Up-Wolf. Sehr guter Typ, bisweilen schraubt er aber den Wunsch nach Party und das Tempo etwas zu weit nach oben, was freilich der Eleganz der Tonträger nicht gut entgegenkommt. Das ist mitunter fast schon Spielzeug-Gabba. Verwirrte Raver entern die Bühne (21 Uhr 30).

FlorianSchulte
In der großen Halle läuft hingegen das Entschleunigungsprogramm. Mount Kimbie habe in letzter Zeit vermutlich viel Mego und Ambient gehört. Das englische Duo, das wahrscheinlich mehr als alle anderen für das hübsche Wörtchen "Post-Dubstep" herhalten darf, forscht zunächst langsam und behäbig ein wenig am großen Gott Dub herum, um dann bei kleinteiliger Bastel-Elektronik und Gitarren-Einsatz anzukommen. Eher Post-Rock. Das Konzert bleibt etwas zerfahren und orientierungslos, Momenten großer Klarheit steht formloses Mäandern und technisches Problem gegenüber. Sehr gute Band trotzdem, die hoffentlich nicht allzu beleidigt ist, dass ihnen Kumpel James Blake den Hype gestohlen hat - obwohl sie doch vorher da waren. Und der Hit "Maybes" ist nach wie vor ein Hit. Wunderbar, wie hier Dominic Maker völlig unverfremdet ins Mikrofon singt; schief, ungelenk und ein bisschen falsch will sein Gekrächze so gar nicht zur wunderlich verspulten Musik von Mount Kimbie passen. Und hebt sie so auf ein neues, absurdes Niveau.

Florian Schulte
Der Höhepunkt des Abends kommt von der noch recht unbekannten Band Factory Floor aus London, der schon der handelsübliche NME-Hype vorauseilt, in der Art, wo man normalerweise immer gerne "Gähn, enge Hosen und so" sagt. Die eine Frau und die zwei Herren von Factory Floor sind aber erstens gar nicht mal mehr so jung, fashion-technisch nur bedingt kalenderblatttauglich und insgesamt nicht bloß an Oberflächen-Styles interessiert, sondern musikgeschichtlich extrem gut gebrieft. Nun duftet die Rose bekanntlich auch unter anderem Namen just genauso süß, wenn man sich aber nun "Factory Floor" nennt und so klingt, wie die Band es tut, muss auch einmal in der Bedeutung des Bandnamens gebohrt werden dürfen.

Florian Schulte
Tatsächlich stellt das legendäre englische Label Factory Records mit Acts wie Joy Division und vor allem A Certain Ratio ein nicht zu unterschätzendes Quell der Inspiration für Factory Floor dar, zuvorderst aber sei im Bandnamen der demokratische Arbeitsprozess der Gruppe manifestiert. An Drums, Elektronik und - teils mit dem Geigenbogen bearbeiteter - Gitarre stecken Factory Floor eine erschütternde wie tanzbare Musik zusammen, die sich vor allem aus den düsteren Zonen der späten 70 und frühen 80er speist: industrieller Unterton, Cabaret Voltaire, No Wave, der monotone Beat von Suicide, der spröde Funk schlecht gelaunter britischer Post-Punk-Bands. Live wird der ganze Kauderwelsch verstärkt technofiziert und auf den, na gut, Floor gebogen und kommt bisweilen auch in der Nachbarschaft des herrlichen Noise-Raves von Bands wie z.B. Black Dice oder den Fuck Buttons an. Großer Pluspunkt: Die Akzente, die die Live-Drums dieser Musik abringen können - einer Musik, die nicht selten ja auch bloß von Laptop, Synthies oder Drum-Machines dargeboten wird. Bonus bringen die im Bühenhintergrund auf die Leinwand geworfenen grob verpixelten esoterischen Teppichmuster und das monotone Nuscheln der "Sängerin". Neue Lieblingsband, man darf sie durchaus "hypnotisch" nennen, Mumblecore, zum Tanzen.

Florian Schulte
Über den Hauptact des Abends, Death From Above 1979, weiß Kollegin Nina Hofer Bescheid:
You're a DF, I´m a DFA
Finale Furioso. DFA sind unumstritten geniale Reduzierung der Instrumentalisierung, die kompakt beweist, wie simpel guter Rock sein kann. Jeder einzelne Track funktioniert, ohne einerseits die Wiedererkennbarkeit zu verlieren, andererseits ohne langweiligen, gitarrenwürgenden Einheitsbrei zu erbrechen.

Florian Schulte
Ein dichtes Set, ohne Neuigkeiten, energetisch und spannend gespielt, mit Kontakt zum Publikum, die dankend crowdgesurft und, je nach Haarlänge und Alter, headgebangt haben. Trotz großer und angenehm voller Halle versprühte das Duo die Intimität einer Proberaumsession, die ungezwungen, im Freundeskreis mit Booze bewaffnet besucht wird. Auch wenn die Tracks ein paar Jährchen am Buckel haben, klingt 2005 auch am Donaufestival wie der heiße Scheiß, den es ja von DFA (noch?) nicht gibt.
Backstage wurden die beiden langbeinigen behaarten Männer in Begleitung von Little Girls gesehen, die das Licht der Welt wohl erst erblickten, als mann bereits durch Verstärker die Porzellansammlung der Eltern kaputtierte(n). Passend zur Haarfarbe der Wahl jeweils einmal geschwärzt und blondiert. Das Gesamtkunstwerk wie es sich Wagner vorgestellt hat. Das Konzert war trotzdem spitze.