Erstellt am: 6. 5. 2011 - 21:50 Uhr
Journal 2011. Eintrag 92.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar genreübergreifenden Kultur-Anmerkungen anlässlich des Popfest Wien. Samt der Schuldigkeit des zuständigen, mittlerweile völlig erblindeten Journalismus.
Und hier noch ein aktueller Link zu einigen neuen Entwicklungen der globalen Musik-Branche, featuring das Ende der CD. Endlich, du Drecks-Medium!
Es war letztlich dieselbe Geschichte wie im Vorjahr, es ist letztlich dieselbe Geschichte wie bei jedem Pop-Konzert/Festival/Event: die mit der Berichterstattung beauftragten Kulturredakteure präsentieren Stehsätze, verzichtbare Publikums-Stimmen, recht austauschbare Bilder und entledigen sich so ihrer Pflicht. Nicht zu vergessen: ein Veranstalter oder ein Experte werden zu einer Relevanz-Einschätzung genötigt, die deswegen immer nach Rechtfertigung klingt, weil die Fragestellung das impliziert.
Also antwortet Robert Rotifer entsprechend, und einer dieser rechtfertigenden Sätze schmückt dann das lahme "Popfest"-Portrait.
Ich halte das für einen unerträglichen Zustand.
Kein Kulturredakteur würde einen Verantwortlichen für die vielen toten und musealen Kulturen, aus denen Österreich sein kulturelles Selbstverständnis zieht, in diese Richtung drangsalieren und schneiden. Kein Vertreter der bildenden Künste müsste sich eine Sekunde rechtfertigen, maximal im Fall der Mode passiert Ähnliches. Und auch die Vertreter des österreichischen Films werden seit Jahrzehnten in diese Defensiv-Position geboxt.
Diese total unreflektierte, von den Altvorderen einfach unkritisch übernommene Folklore des klassischen Verständnisses von Kulturberichterstattungt ist mehr als nur ein Ärgernis - es ist ein Symptom. Und zwar für ein unreflektiertes Selbstbild, was Kulturschöpfung und die professionelle, journalistische Einschätzung von allem, was da zwischen Kunst und Kommerz herumkreucht, betrifft.
Sie Popfest da, rechtfertigen Sie sich gefälligst!
Ich will das anhand eines praktischen Beispiels auf seine Essenz eindampfen.
Bei einem Kultur-Jahresrückblick (ich denke es war 2010) eines durchaus zunehmend um Reflexion bemühten TV-Magazins wurden in diversen Kategorien die jeweils 5 (oder waren es 3? whatever... ) auffälligsten Leistungen in Chart-Form gegossen.
Die Kategorien waren Literatur, Popmusik, Klassik, Film, Theater, Oper, Bildende Kunst und vielleicht noch zwei, drei andere mehr.
Pop und Film wurden so abgehandelt, wie man es hierzulande wahrnimmt: als globales Ereignis; Sample: die ganze Welt.
Literatur und Klassik wurde so abgehandelt, wie man es hierzulande wahrnimmt: mit der Deutschsprachigkeit im Fokus, samt ein paar angloamerikanischen Einsprengseln. Sample: die westliche Wertegemeinschaft mit deutlicher deutschsprachiger Dominanz.
Theater und Oper wurden so abgehandelt, wie man es hierzulande wahrnimmt: als rein nationales Ereignis. Sample: Österreich.
Niemand innerhalb dieser Kulturredaktion ist also aufgefallen, dass man nicht nur mit zweierlei Maß misst, sondern sich durch die freiwillige Beschränkung auf eine zutiefst provinzielle Sichtweise selber ins Knie schießt.
Für die globalen Kunstspielarten gilt Internationalismus...
Österreich mag im Bereich des klassischen Singspiels ein immer noch geachteter Mitspieler sein - global gesehen ist man aber schlicht einer von sehr vielen.
Österreich mag sich für den Nabel der Theaterwelt halten - aber schon im deutschsprachigen Raum ist (imagemäßig) nach dem Burgtheater Schluss. Und auch die Burg gilt nicht gerade als international vorbildliches oder gar innovatives Haus.
Das ist aber denen, die an der aberwitzigen Subventionsstruktur dieser Kunstformen mitpartizipieren wie die Putzerfische, scheißegal - solange sie sich weigern, eine etwaige Außenwelt zur Kenntnis zu nehmen sind sie weltberühmt in Österreich. Und das Publikum glaubt dann tatsächlich, sich in einer wesentlichen (Musik-)Theater-Oase zu befinden, wiewohl das ziemliche Gegenteil der Fall ist.
Ähnlich werden Künste behandelt, bei denen das Geschäfts- und Partizipations-Modell auch fette Beute verspricht. Kulturjournalisten, die Direktoren, Kuratoren, Kultur-Manager oder Festspielleiter wurden, sich als Gefälligkeits-Biographen verdingen und ihren Bereich, die Kunst eben, für jede erdenkliche Möglichkeit des Abmelkens nutzen.
Alles Dinge, die mit Journalismus genau gar nichts zu tun haben.
... die (Musik-)Theater-Folkore ist weltberühmt in Österreich
Es wäre also für die jeweiligen Sub-Szenen, die kleinen Genres (und ihre jeweilige Geschäfts-Branche) fast schon fatal, wenn man sich den Kriterien einer globalen Moderne annähern würde, um sie in die aktuell relevante Relation zu setzen.
Also etwa Theater zumindest so zu behandeln, wie die deutschen Kollegen, die immer den gesamten Sprachraum covern und zumindest Österreich und die Schweiz wahrnehmen. Oder den fadenscheinigen Hegemonismus, der im Bereich aller Klassik Musik-Spielarten herrscht, endlich wieder richtig, nämlich 100 Jahre zurück zu datieren.
Dort, wo Sprache eine natürliche Grenze einzieht (neben Theater eben auch die Literatur), ergeben sich andere Rücksichtnahmen als dort, wo weltweit auf Augenhöhe konkurriert wird (und das ist eben bei Pop, Film, bildender Kunst allermeistens der Fall) - trotzdem ist auch hier Berichterstattung, die weltweit agiert, eine logische Verpflichtung des 21. Jahrhunderts.
Dort ist der heimische Kulturjournalismus aber noch nicht so recht angekommen. Da wird weiter lokale Folklore, deren Wertigkeit sich mit Leichtigkeit überprüfen ließe, zu Weltklasse hochgepimpt, während andere Bereiche an internationalen Ansprüchen gemessen werden, die sie aufgrund der Vorraussetzungen unmöglich erreichen können.
Wobei das Schönschreiben von provinziellen Künsten ja genau dafür sorgt, dass dieses Ungleichgewicht der Förderung so bestehen bleibt - so definiert sich reaktionäre Politik.
Und das Schönschreiben des Provinzialismus garantiert die Ungleichgewichtung
Zwar wird im Bereich der österreichweit weltberühmten Theater-Abteilung herumgeschmäcklert, dass die Eitelkeits-Schwarten krachen, aber das berührt die offensichtliche und unkritische Wertschätzung des Systems dahinter nicht.
Dagegen tut jeder aus persönlicher Befindlichkeit heraus entstandene Mäkel-Nebensatz zu österreichischem Film oder heimischer Popmusik dreifach weh - weil diese Nebensätze die einzige Zurkenntnisnahme darstellen und weil der Tonfall des Vorwurfs auch die wackligen Strukturen dahinter beschädigt.
Da die jungen Kulturreporter sich zwar deutlich mehr bemühen, ihre/unsere Realität abzubilden, weil aber so etwas wie eine philosophische Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun weit und breit nicht auszumachen ist und man sich da lieber an den Schnöseligkeiten der Vorgänger-Generation orientiert, wird sich so schnell nichts ändern.
Ich biete eine Wette an: Wenn nächsten Mai das Popfest seine dritte Auflage feiert, werden die aktuellen TV-Geschichten zum Thema wieder mit der Frage nach der Rechtfertigung operieren; weil sie diesen Reflex schon automatisiert haben.
Wenn ich mich irre, mach ich von mir aus den Doorman im Wien-Museum oder sonstwas Arges.