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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 5. 2011 - 21:32

Journal 2011. Eintrag 91.

Frauen, Selbstermächtigung und Popmusik.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer Art Preview auf ein Diskussions-Panel im Rahmen der Popfest-Sessions zum Thema. Morgen beim Popfest Wien, um 11.00 im project space Karlsplatz.

Zuerst eine Frage. Angenommen, ihr seid die Booker für die Diskussions-Runden beim Popfest, und angenommen, ihr wünscht aus irgendwelchen dubiosen Gründen meine Teilnahme: für welches dieser drei Panels würdet ihr mich besetzen?
1) Gender & Pop: Empowerment vs Sexploitation
2) Alles Souled Out - Wozu noch Pop?
3) Der Tod der Popkritik

Nun, dass Pop ein Problem hat, dass Musik keine Leitkultur mehr ist, die Autoren auf dem Rückzug sind, dass der Song obsolet geworden ist - damit beschäftige ich mich aktuell einigermaßen regelmäßig. Und meine Kritik an der Popkritik kennt selbst das große Wikipedia.
Aber Thema 1?
Gut, ich kann es seit Jahren weder on air noch online lassen, Lady Gaga als vorderste Speerspitze jener zu erwähnen, die Pop als Spielwiese für Aktionismus verstehen, als Chefpiratin einer wehrhaften Bewegung. Aber so richtig ausführlich behandelt hab ich das nicht - da sind andere berufener.

Trotzdem haben die Popfest-Panel-Booker Rotifer/Hergovich mich dort platziert, als Quotenmann in der Gender-Runde. Weil ich sehr viel früher einer der erste gewesen wäre, der sich mit der frühen Madonna und ihren Ermächtigungs-Strategien beschäftigt hat.

Ciccone - Nisker - Germanotta und die anderen

Das stimmt.
Ich war der Autor der ersten Print-Geschichte über Madonna in Österreich überhaupt (auf der alten Jugend-Seite im Kurier), kurz nachdem ich gemeinsam mit Werner Geier eine Madonna-Single ins heere Tonjournal der unfehlbaren Musicbox geschummelt hatte, wo wir dann sinngemäß davon sprachen, dass man von dieser Künstlerin noch einiges hören werde. Und das deutlich vor dem ersten Ö3-Airplay.

Und ja, die begleitende Beschäftigung mit Madonnas Karriere-Taktik, ihrer Bedeutung für ein neues Selbstverständnis von Frauen in der Kunst, in der Popmusik, ihre Instrumentalisierung der Körperlichkeit und ihre Strategien wie Alben, Konzerttouren, Bücher und öffentliches Image auszusehen haben, um die größtmögliche Provokation mit dem bestmöglichen Effekt zu erzielen, haben mich immer deutlich mehr interessiert als die 87. Analyse ihrer musikalischen Substanz.

Und weil das schon noch gilt, und sich das von Ciccone über Nisker und eben Germanotta bis heute fortsetzt, ist die Besetzung sooo falsch nun auch wieder nicht. Zumal mit Susi Ondrusova die wortmächtigste Popautorin des Landes in Panel 3 und mit Thomas Edlinger als optimaler Seelenforscher in Panel 2 die FM4-Kollegen mit der durchaus besseren Expertise gefunden haben.

Selbstermächtigung am Beispiel von Marilyn Minter

Seit ich weiß, dass ich mit Femous-Betreiberin Sweet Susie, Ursula Maria Probst von female obsession und der Musikerin Tania Saedi unter der Leitung von Rosa Reitsamer zum Thema reden werde, ist meine diesbezügliche Aufmerksamkeit durchaus geschärfter.

Und so fiel mir dieser Tage eine Geschichte über die US-Künstlerin Marilyn Minter auf, die anlässlich einer Ausstellung in Hamburg portraitiert wurde. Minter, die immer schon zum Thema Sexualität arbeitete, geriet 1989 massiv unter Beschuss der Kritik, als sie eine Bilder-Serie schuf, die auf Hardcore-Pornobildern basierte.
Dabei koalierten konservative Puritaner mit der damals auf der Höhe der Heuchelei befindlichen PorNo-Kampagne des halbbewegten Mainstreams. Dazu kam die alles, was Sexualität betrifft, zukleisternde, dumpfe AIDS-Angst.

Minter wurde für radikale Bilder, die heute nicht wirklich aufsehenerregend wären, gesteinigt und kam fast ein Jahrzehnt nicht mehr auf die Beine. Erst Mitte der Nuller-Jahre ging es wieder bergauf. Und dann fragte Madonna an, ob sie ein schönes und wildes Minter-Video mit leckenden Zungen in Schaum auf Glas für ihre 09er-Tour verwenden dürfte.

Durchsetzungsarbeit am heiklen Objekt "Körper"

Madonna hatte ähnliche Pornografie-Vorwurfs-Probleme, als sie 1992, also drei jahre nach Minters Serie ihr Sex-Buch veröffentlichte.

Das alles ist also um die 20 Jahre her - und trotzdem würden die Reaktionen heute gänzlich anders ausfallen.

Es hat sich also etwas bewegt. Etwas, was es etwa Lady Gaga erlaubt, sich überhaupt nicht mehr um den rund um 1990 aufbrausenden Pharisäer-Kram kümmern zu müssen, sondern alles in ihre Performances reinzupacken, was sie will.
Für diese Selbstverständlichkeit war es dringend notwendig, gegen alle Widerstände aller Koalitionen aller Gutmeinenden Durchsetzungs-Arbeit zu verrichten, auch wenn diese Arbeit am heikelsten Objekt überhaupt verrichtet werden musste: dem Körper.

Wer jetzt noch einwirft, dass es eigentlich seltsam ist, dass just im Bereich der an sich höchst körperlosen Popmusik diese Selbstermächtigung über die Körperlichkeit erfolgt ist: das hat mit einer Zufälligkeit zu tun.

Die Popfest-Sessions 2011 beim Popfest Wien beginnen morgen im Project Space Karlsplatz.
11.00 Panel 1 - Gender & Pop: Empowerment vs Sexploitation
12.30 Panel 2 - Alles Souled Out - Wozu noch Pop?
14.00 Panel 3 - Der Tod der Popkritik
15.30 Live-Act - Filou
16.00 Panel 4 - The Nation of Pop - Transkulturalität oder Roots?
17.30 Live Act - M185.

Die Popfest Sessions sind eine Kooperation von AMAN und MICA als Rahmenveranstaltung des Popfest.

Der männliche Pop und die feministische Zufalls-Diskussion

Genauso wie jede andere Kunst ist auch die Musik, und auch die Popmsik, massiv männlich domi/determi/definiert. Was aber anderswo nie in Frage gestellt (wie sieht es denn aus, mit Frauen in der aktuellen Malerei? War Kathryn Bigelow ernsthaft die erste Preisträgerin eines Regie-Oscars?) und auch nie wirklich besprochen wird (sondern sich in sofortigen Verweisen auf die gesamtgesellschaftliche Situation verbröselt), ist im Fall der Popmusik ein Dauer-Thema. Zurecht, aber auch zufällig.

Weil nämlich die Hochblüte von Pop und die der Frauen-Emanzipation etwa zeitgleich vonstatten gingen und man deshalb von dieser jungen Kunst mehr verlangt, als von den Alteingesessenen, den musealen Renommier-Kulturen, die vor abgestandener Männlichkeit nur so triefen.

In dieser Hinsicht ist die tote Popmusik (Panel 2) also ein sehr lebender Organismus. Und die Aufarbeitung der Geschichte der weiblichen Selbstermächtigung ist etwas, was in der allzu oft lachhaft durchgeführten und ranzig-männlichen Rezensions-Kultur (Panel 3) des Landes nicht abgebildet wird.