Erstellt am: 6. 5. 2011 - 11:27 Uhr
Der Pfad zur linken Hand
In der Welt des Okkultismus und der Magie unterscheidet man zwischen zwei Wegen. Da gibt es den Pfad zur linken und zur rechten Hand. Der Pfad zur rechten ist gleißend hell und repräsentiert den "rechten" Weg. Er mag, wie schon Jesus Christus wusste, oftmals steinig und beschwerlich sein, aber er führt in das Marzipan-Paradies. Der Pfad zur linken Hand ist nicht so brav. Es ist der Pfad der schwarzen Magie. Er führt in ein infernalisches Solarium oder ebenfalls in ein Marzipan-Paradies. Kommt auf die Perspektive und die Überzeugung an.
Wo die wilden Kerle wohnen
Die "Kindertotenlieder" sind ein Liederzyklus von Gustav Mahler. Gustav Mahler wird beim Donaufestival aber doch nicht aufgeführt. Seine Überschrift dient der französischen Theatermacherin Gisèle Vienne nur als Überschrift für ein Installations-Performance-Theaterstück.

Donaufestival
Der Korpus des Kremser Stadtsaals wurde zu einer alptraumhaften Winterlandschaft umgebaut. Darin lässt Gisèle Vienne eine Handvoll Jugendlicher zu einem Black Metal-Konzert gehen. Im Laufe des Konzerts wird die lebensverachtende Black Metal-Ikonografie zur Realität. Die jungen Menschen werden von einer Nachtmahr aus Tod, Sex und Auflösung der Realitäten und ihrer Identitäen verschluckt.
Zum Soundtrack von Peter Rehberg und Stephen O´Malley, der sich eher an Angelo Badalamenti als an Gorgoroth orientiert, werden permanent Zeitdimensionen vermischt und die von Gisèle Vienne selbstgebauten Puppen sorgen für eine sanfte Aufregung und ein ständiges Rätselraten. Ist das jetzt Puppe oder Schauspieler?
Ein radikalisiertes, verfaulendes Highschool Musical mit schöner Musik und einer bezaubernden Kulisse.
Die Universalkünstlerin
Kollege Christian Lehner hat in einem seiner letzten Artikel die New Yorker Allround-Künstlerin, Zufalls-Hitparadenstürmerin und Lou Reed-Bändigerin Laurie Anderson schön auf den Punkt gebracht:
Anderson näherte sich dem Pop vielmehr analytisch wie eine Klangforscherin. "At heart I am a journalist. I want to find out how things really work", sagt sie. Laurie baute ihre eigenen, elektronischen Klangerzeuger und Apparaturen, schloss sie mit dem Instrumentarium der Klassik kurz und leistete mit ihrem Faible für das Repetitive Pionierarbeit in Sachen Techno und Spoken Word Poetry.

Donaufestival
Für ihre Donaufestival-Performance "Transitory Life" bündelt Laurie Anderson die Stärken ihres Schaffens und artikuliert diese in einem Spoken Word-Vortrag, der ab und an von kleinen Liedvorträgen und Geigenspiel aufgefärbt wird.

Florian Schulte
Der Abend scheint eine Aufarbeitung ihres lebenslagen Schaffens zu sein. Ein anwärmender Auftritt. So eine Englischlehrerin hätte ich mir immer gewünscht. Popkonzert war das keines, aber das Publikum zeigte sich geduldig und dankbar. Kein Wunder. Denn das restliche Line-Up dieses Donaufestival-Tages war auch kein Magnet für Leute, die es gerne kuschelweich und unkompliziert wollen.
Left Hand Path
Vor ein paar Jahren durfte "David Tibet" ein Donaufestival-Wochenende kuratieren. Das Ergebnis war eine einzige erotische Phantasie für Leute, die zu misanthropischen Industrial-Sounds neigen. Throbbing Gristle, Nurse With Wound und des Meisters eigene Band Current 93 bescherte Tibet damals.

Susi Ondrusova
Nun ist Tibet, der mit seinem Apocalyptic-Noise-Folk eine Einzigartigkeit in der Popmusik darstellt, also wieder in Krems. Der ehemalige Aleister Crowley-Freak und Kenner jeglicher okkulter Wege pflegt inzwischen ein mystisches Christentum, orientiert sein Leben an den koptischen Apokryphen und hat es mit seinem 2006er Album "Black Ship Ate The Sky" zu spätem, aber nachhaltigem Erfolg im Art-Pop-Universum geschafft.
Aber jetzt geht Tibet mit den italienischen jazzigen Hardcore-Noisern Zu vom Mike Patton-Label Ipecac wieder mal ein Stück weit den Pfad zur linken Hand.
Für das gemeinsame Projekt "Left Hand Path" greifen "Zu" fast ausschließlich zu akustischen Instrumenten und fabrizieren einen sexy Endzeitblues, über den David Tibet auf seine unvergleichliche Art referiert. Es scheint sich um die Apokalypse gehandelt zu haben.

Florian Schulte
Die nonchalante Art der italienischen Musiker wirkt auf Tibet aphrodisierend und so hört man auf einmal ein klassisches Current 93-Konzert, wie es Tibet regulär wohl nicht mehr aufführen würde.
Queen Of Siam
Kaum hat David Tibet seinen letzten Todesschrei herausgequält, antwortet in der anderen Halle Lydia Lunch wie ein Echo. Okay, heute werden keine Gefangenen gemacht. Trotzdem scheint es der kommerziell erfolgreichste Tag des diesjährigen "Donaufestivals" zu werden.
Lydia Lunch, die amerikanische Dichterin, Schauspielerin und Musikerin verdient natürlich unendliche Akte der Anbetung; aber Lydia Lunch-Konzerte waren in den letzten Jahren in Österreich nicht unbedingt eine Seltenheit.

Donaufestival
Warum nun zündet Lydia Lunch Krems problemlos an, wie es Gonjasufi ein paar Tage zuvor beispielsweise nur bedingt geschafft hat?
Weil sie natürlich Lydia Lunch ist. Und weil sie ihre erste Solo-Platte "Queen Of Siam" aus dem Jahr 1979 in einem Stück performt. Dieser brutale Bastard aus Sex und Gewalt, der waidwund nach Gerechtigkeit brüllt.
Für die Live-Umsetzung hat Lunch eine Band engagiert, die sich im Vergleich zu ihr in einem jugendlichen Alter befindet, aber sehr korrekt alte Videos und Zeitungsartikel studiert hat und einen rohen Todesblues inkarniert, wie man ihn aus Musikbiografien über das New York der Achtziger kennt oder sich vorstellt... für ein paar Sekunden ein fühlbarer und lebender Akt der Rebellion.

Florian Schulte
Ich mag es, wenn das Donaufestival KünstlerInnen Aufträge erteilt. David Tibet würde gerne das letzte Judas Priest-Album aufführen, hat er gesagt.