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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

5. 5. 2011 - 18:48

"Grünschnabel"

Die Hauptfigur in Monica Cantienis Debütroman ist in zweierlei Hinsicht ein Grünschnabel - sie ist ein migrantisches Waisenkind.

"Mein Vater hat mich für 365,- Franken von der Stadt gekauft. Das ist viel Geld für ein Kind, das keine Augen im Kopf hat."

Schon die ersten Zeilen von "Grünschnabel", dem Debütroman der Schweizer Autorin Monica Cantieni, verdeutlichen, dass hier nicht um den heißen Brei geredet wird. Die Ich-Erzählerin ist ein kleines, dunkelhäutiges Mädchen, das am Anfang der Geschichte von einem kinderlosen Ehepaar adoptiert wird. Langsam und vor allem mit Hilfe der Sprache versucht sie sich, in die neue Umgebung einzufinden. Der neue Vater hilft ihr dabei mit Streichholzschachteln. Er schreibt die unbekannten Wörter auf und gibt sie in mit Überschriften versehene Schachteln - Kapital kommt zu Später, Flugzeug zu Jetzt und Wind zu Immer. Durch die Sprache versucht die Hauptfigur, die immer nur "Grünschnabel" oder "die Kleine" genannt wird, sich zu integrieren, dazuzugehören.

Sprache ist aber nicht nur eines der Kernthemen des Romans, sondern beeinflusst auch maßgeblich seine Form. Die scharfen Beobachtungen des Mädchens wechseln sich mit Dialogen der handelnden Figuren ab. Da gibt es die neuen Eltern, die sich ständig streiten, den Großvater, der von der Versicherung ein neues Bein will oder den spanischen Maurer Eli, der abgeschoben werden soll.

Ein Storch, Buchcover von "Grünschnabel"

Schöffer & Co

"Grünschnabel" ist 2011 bei Schöffling & Co erschienen.

"Grünschnabel" spielt in der Schweiz der 1970er Jahre und hat einen realen Hintergrund. Unzählige Ausländer arbeiten auf dem Bau oder im Gastgewerbe. Die Wirtschaft ist auf die billigen Arbeitskräfte angewiesen, doch gleichzeitig macht sich in der Bevölkerung Unmut breit und der rechte Politiker James Schwarzenbach fordert eine Maximalquote von zehn Prozent. Die Hauptfigur in Monica Cantienis Roman erlebt diese politische Debatte hautnah mit. Ihre Mutter ist französischer Abstammung, die Freunde der Familie klassische Arbeitsmigranten aus Spanien, Italien und Ex-Jugoslawien. Begriffe wie Überfremdung, Abstimmung oder Initiative tauchen plötzlich auf und Grünschnabel weiß nicht so recht, in welche Streichholzschachtel sie diese geben soll. Aus der Perspektive eines Kindes betrachtet erscheinen diese Worte mehr als absurd. Warum kann der liebenswerte Eli, der die besten Schnitzel macht, Häuser und Hasenställe bauen kann, nicht einfach adoptiert werden? Warum muss er sich plötzlich vor der Fremdenpolizei verstecken?

Monica Cantieni gelingt es fast durchgehend, die kindliche Sicht ihrer Hauptfigur realistisch durchzuhalten und interessante Fragen fernab des klischeehaften "Warum ist der Himmel blau?" aufzuwerfen. Nie gleitet sie ins gefühlig Kitschige ab. "Ich hab es mir durch die Kindperspektive natürlich sehr schwer gemacht. Aber andererseits kann ich so Dinge hinterfragen, die in der Erwachsenenwelt nicht mehr hinterfragt werden bzw. nicht mehr auf so konsequente Weise", sagt die Autorin im Interview. Tatsächlich gelingt ihr ein origineller Blick auf die Welt. Sie findet erfrischende Bilder wie "Tat, der mehr Runzeln hat als Sellerie" oder "Ein Flaum, der trödelte. Niemand konnte das Haar trösten, keiner wusste wie", als einer Mitschülerin das Haar nicht mehr nachwachsen will.

Monica Cantieni liest aus "Grünschnabel" am 5. Mai 2011 um 19:00 Uhr in der Hauptbücherei Wien, am Urban-Loritz-Platz.

Es ist der konsequente Stil, der "Grünschnabel" zu einem außergewöhnlichen Buch macht und der interessante Zugang ein schweres, vorbelastetes Thema wie Migration mal ohne Anklage oder erhobenen Zeigefinger abzuhandeln, sondern eine bunte, atmosphärisch dichte Geschichte daraus zu machen. Schon der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji ist das mit ihrem Roman "Tauben fliegen auf" gelungen, der mit dem Deutschen Buchpreis 2010 ausgezeichnet worden ist. Integration und Migration scheinen in der Schweiz also derzeit auch in der Literatur vermehrt zum Thema zu werden. "Seit den 40er Jahren ist das im Schweizer Alltag ein durchgängiges Thema", sagt Monica Cantieni. "Mit meinem Buch wollte ich aufzeigen, dass Ausländerfeindlichkeit und die Skepsis, mit denen man Migranten gegenüber tritt, in meinem Land durchaus Tradition haben. Das Minarettverbot von 2009 ist das jüngste Kind davon."