Erstellt am: 4. 5. 2011 - 22:32 Uhr
Journal 2011. Eintrag 90.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute wieder einmal mit dem Medien-Thema, von wegen Konvergenz; anlässlich konkreter Überlegungen innerhalb des ORF, und der Frage wie sich FM4 da eigentlich orientiert bzw wahrgenommen wird.
Heute nachmittag gab es eine verdammt gut besuchte Veranstaltung der Public Value-Abteilung des ORF. Diese umtriebigen Kollegen sind nicht nur für die Vermittlung eines Außenbildes (wie der ORF seine Aufgabe als öffentlich-rechtliche Anstalt erfüllt) zuständig - das ist angesichts des medialen Gegenwinds von Verlags-Publikationen, die auf Befehl ihrer Besitzer eh alles scheiße finden müssen, was der ORF macht, aber gar nicht so wichtig. Wichtiger ist ihr zweiter Job, der interne: wie vermittle ich in einem auf alle möglichen Örtlichkeiten verstreuten, in vielen unterschiedlichen Medien auf zahllosen Levels tätigen Menschen mit journalistischen Aufgaben, die gemeinsamen Werte.
Insofern ist eine verdammt gut besuchte Veranstaltung (das Atrium platzte fast aus den Nähten) durchaus von Bedeutung. Thema heute: Kommt der multimediale Newsroom?
Das ist zwar etwas, was "nur" die News-Bereiche, also das tagesaktuelle Geschäft betrifft, aber etwas, was in jeden Sender, jedes Medium hineinspielt: Nachrichten gibt es überall. Und weil sich da eine übergreifende Arbeitsgruppe zusammengefunden hat um nachzuforschen und sich Gedanken zu machen (und die als Anstoß für die nachfolgende Diskussion präsentiert) stellt sich selbstverständlich die übergeordnete Frage: wie kommt man miteinander ins Gespräch, was kann von einander lernen.
Kommt der multimediale Newsroom? Klar.
Denn: die Frage ob der multimediale Newsroom kommen wird, ist eine rein rhetorische. Klar kommt er. Medien-Konvergenz und Medien-Krise lassen gar nichts anderes zu.
Und egal ob der ORF in ein neues Haus zieht oder am Küniglberg bleibt (und dort ausbaut) - dass Fernsehen, Radio, und Internet ihre Synergien besser ausschöpfen und den Workflow irgendwie angleichen müssen,und eine räumliche Zentralisierung ist genauso unvermeidlich.
Die Frage, die sich stellt, ist die nach dem Wie.
Und da gibt es Modelle: britische, skandinavische, flämische. Und Wünsche der Geschäftsführung. Und Ideen der Arbeitsgruppe. Und Bedenken und Einwürfe der anderen Betroffenen, von Redakteur- und Betriebsrat. Armin Wolf warnt vor einer Mystifikation des Newsrooms und Großraum-Büros an sich. Michael Czoklich fordert über diese rein praktischen Überlegungen hinaus auch eine Vision, wie man mit den neuen Medien umgehen soll, wie die neuen Seh/Hör/Benutz-Gewohnheiten der Digital Natives sind.
Über all das und mehr wird informiert und diskutiert. Und weil diese Notwenigdkeit zum erstenmal überhaupt eine ernsthafte Beschäftigung mit dem, was "die anderen" machen bedingt, schauen viele erstmals wirklich nach, was die anderen so treiben und wie sie die Dinge sehen. Und die Public Value-Abteilung hat ihren Existenzzweck schon ganz ordentlich erfüllt.
FM4 und die intermediale Durchlässigkeit
Gegen Ende der Diskussion erzählt dann Strefan Ströbitzer, der Radio-Chefredakteur, der auch die angesprochene Arbeitsgruppe leitet, vom neuen Austausch, den es etwa zwischen seiner Abteilung, dem Aktuellen Dienst und FM4 gibt. Für ihn (als Hörer) sei das eh ganz selbstverständlich gewesen, trotzdem wäre da bis dato nicht viel passiert.
Da deutet er etwas an, was man auch deutlicher ansprechen könnte: bislang war es da mit der intermedialen Durchlässigkeit zwischen FM4 und den anderen Radios, dem Fernsehen und Online nicht so weit her, wie man von außern vermuten hätte können. Die vorhandenen Kontaktlinien waren meist auf Einzel-Initiativen zurückzuführen, die Nomenklatura in den Mainstream-Bereichen des Unternehmens hingegen agiert seit Angebinn der FM4-Existenz zögerlich.
Das hat unterschiedliche Gründe.
Viele haben Angst, vor der vergleichsweisen Unberechenbarkeit der FM4-Menschen - denn sowas passt nicht in die betulich ausgewogenen Bereiche des Programms. Andere sind an einer anderen Sichtweise auf die Dinge, für die FM4 im Unternehmen steht, - auch aufgrund des Quotendrucks - überhaupt nicht interessiert. Und die, die die Freiheit hätten zu experimentieren, verfügen über fast kein Budget. Nun kann man mit fast keinem Budget Radio und Online produzieren - Fernsehen aber etwa nicht.
Der neue Wille in der normalen Medienwelt mitzuspielen
Aus all diesen Gründen beschränkten sich die FM4-Kontakte zur ORF-Außenwelt bislang auf zufällig Entstandenes. Das hat sich in den letzten paar Monaten spürbar geändert: es gibt Austausch-Programme innerhalb des Funkhauses, FM4-Moderatorinnen werden aktiv zu Castings eingeladen uam.
Es sind aber nicht nur die anderen, die ihr Weltbild neu eingestellt haben - es ist auch die FM4-Redaktion, die sich verändert hat. Es sind, wie immer in solchen Fällen, die jüngeren, nachdrängenden RedakteurInnen, die vieles in Frage stellen und neue Ideen haben. Denen ist es etwa zu verdanken, dass sich in den letzten Jahren eine schlagkräftige und handlungsmächtige Politik-Redaktion entwickelt hat. Klar waren gesellschaftspolitische und aktuelle Themen immer auf der FM4-Agenda. So wie die selbstorganisierte Polit-Redaktion aber ihre Aufgabe definiert, ist die Bandbreite größer, das bearbeitete Feld umfangreicher geworden. Ereignisse wie #unibrennt haben da durchaus geholfen, aber die Initiative trat schon davor zutage.
Und das ist und war kein Zufall. Hinter dieser Beschäftigung mit dem Handfesten, das allen österreichischen Medien Futter gibt, steht schon auch der Wille genau dort mitspielen zu wollen. Nicht im Mainstream, aber im Fokus des Interessanten.
Die neu positionierte FM4-Agenda
Letztlich steht das durchaus diametral zur alten FM4-Ideologie. Denn die gab das Feld der Beschäftigung abgegrenzter vor: das viele Interessante, das anderswo nicht abgehandelt wird, die vielen alternativen Ideen und Konzepte, egal ob in Kunst oder Gesellschaft.
Nun stehen viele dieser alternativen Konzepte anno 2011 bereits durchaus auch im Territorium des Mainstream. Der nachrückende Untergrund zieht sich teilweise in stark marginalisierte Nischen-Medien zurück und bietet nicht genug Reibungsfläche für ein Medium, das sich als Aufbereiter des Mainstreams der Minderheiten definiert. Themen wie Menschenrechte oder Integration, die FM4 vor Jahren noch fast exklusiv abhandelte, sind mittlerweile Wahlschlager im Mainstream.
Außerdem greift nach vielen Jahren ein altes Ausbildungs-Ideal: dass nämlich ein Thema schön und gut wäre, aber erst eine Geschichte (also die Idee dahinter, der Zugang) das journalistische Kriterium erfüllen würde.
Wenn man so an die Sache rangeht, dann geht sich jedes Thema der Welt aus - solange der Zugang ein spezieller, irgendwie FM4-adäquter ist.
All das hat dazu geführt, dass FM4 (oder besser: die jüngere Generation von FM4) sich stärker an die "normalen" Medien angenähert hat, als sich das die alte Generation jemals hatte vorstellen können. Man unterscheidet sich nicht mehr durch die schiere Wahl der anderen Themen, sondern greift durchaus alles auf, was interessant ist, und geht es mit einem anderen Zugang an.
Geschichten-Management statt Themen-Management
Das macht die neue interne Attraktivität von FM4 aus. Weil hier seit ein paar Jahren Themen verhandelt werden, mit der auch die Kollegenwelt etwas anfangen kann, und weil die Zugänge andere, originelle sind.
Witzigerweise gefällt damit genau das, was es in weiten Teilen des Unternehmens vor lauter Themen-Management eben gar nicht mehr so wirklich gibt. Denn nicht die Frage, welche Themen denn eine Redaktion aktuell (oder mittelfristig) behandeln soll, ist bedeutend, sondern die Frage nach dem Zugang, nach der Geschichte im Thema. Und das ist genau die Frage, für die im künftigen multimedialen Newsroom kein Platz sein wird: die Multimedia Editors haben dafür gar keine Zeit. Wahrscheinlich wird die wesentlich wichtigere Ebene hinter dem multimedialen Newsroom liegen, in den Runden die sich um ein Story-Management kümmern, wahrscheinlich auf die Bedürfnisse des jeweiligen Mediums ausgerichtet und womöglich wie aktuelle Redaktionen aufgestellt, die dann ihre speziellen Zugänge pflegt, wegen derer sie gesehen/hört/lesen wird.
Deshalb ist die Frage nach dem multimedialen Newsroom der Zukunft zwar wichtig - die Frage nach den Vorräumen aber noch wichtiger.