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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

3. 5. 2011 - 00:33

Another Day in America

Der Tod des Osama bin Laden und Meinungen dazu abseits medialer Erregungszonen.

Da waren sie wieder,

die Bilder, die man im Ausland hassen gelernt hat. Überpatriotisches Frat-Boy-Gedöns. Dumpfes „USA, USA“ Gegröhle, Flaggen-Inflation, geballte Fäuste in den Himmel gereckt und martialische Sprechblasen in Mikrofone abgesondert. Nur gelegentlich mahnt eine Stimme zu Selbstreflexion und Demut. Sonst demonstriert man Volksgenesung per Kopfschussfreude. Zumindest wurde einem das medial so präsentiert.

Osama Bin Laden is dead celebrations New York

APA

New York, Sonntagnacht

Die gezeigten Bilder von den spontanen Menschenaufläufen vor dem Weißen Haus in Washington, bei Ground Zero und am Times Square in New York hatten tatsächlich etwas von einer betrunkenen Siegesfeier eines Football-Endspieles - inklusive Demütigung des geschlagenen Gegners. Dementsprechend gehässig viele Reaktionen in den Foren internationaler News-Seiten. Andererseits muss man schon auch Antipathie miteinbringen, wenn man über die fokusierte Momentaufnahme der Medien auf das große Ganze schließt.

Mir erschienen diese Bilder zunächst surreal. Zum einen, weil ich noch 10 Minuten vor Bekanntgabe der Osama-News mit einen Yellow Cab durch ein sonntäglich wegmützendes Manhattan gegondelt bin - von wegen „city that never sleeps“. Später in Brooklyn, als der Präsident bereits gesprochen hatte und die ersten Anrufe aus Europa kamen, schlüpfte ich dann auch noch in die Nacht, um für die FM4-Morningshow spontane Reaktionen einzuholen. Doch bis auf einige Homeless, die in Mülleimern stocherten und einem Burschen, der sofort Reißaus nahm, als er mein Mikrophon gesehen hat (ja, ich trug einen Trenchcoat. Nein, ich habe ihn nicht in Exhibitionisten-Manier geöffnet), fand ich nichts außer Stille vor. Sonntagnacht in Broolyn halt. Einzelne Polizeisirenen, das weiße Rauschen der Großstadt. Stille.

Heute früh dann die Jubelbilder beim ersten News-Rundgang im Internet. Ich war erstaunt und frage mich auch jetzt noch, woher innerhalb kürzester Zeit so viele, vor allem junge Menschen zusammengekommen sind. Man muss keiner Verschwörungstheorie anhängen, wenn man vermutet, dass neben Social Media im Freundes- und Unikreis, wohl auch die Mobilisierungskapazitäten diverse politischer Vorfeldorganisationen eben über Twitter und Co. ausgeschöpft wurden. Jubelperser mit Yankees-Baseballmützen.

Diese Bilder lösten in mir vieles aus, Euphorie war nicht darunter. Die alttestamentarische Ausrichtung der Aktion, die mögliche Rehabilitierung des Narrativs vom gerechten Krieg, der alle Mitteln rechtfertige, die faktisch ohnehin abnehmende Bedeutung der Al-Kaida im Zuge der nordafrikanischen Revolutionen vermischten sich mit dem Erstaunen darüber, dass der Typ überhaupt noch am Leben war und der Erleichterung, dass die Welt ja tatsächlich einen großen Schurken losgeworden ist. Ob Angehörige von zu Tode Gekommenen und first responders tatsächlich Frieden finden, kann ich nicht beurteilen. Dass der Schattenmann zuletzt im Feriendomizil einer verbündeten Nation der USA residierte, sollte der allgmein attestierten Ausgelassenheit zumindest ein paar Fragezeichen in die Jubelstirn setzen.

Brooklyn, Fulton Street

Christian Lehner

New York, Montag Nachmittag

Dass ich mit meinen gemischten Gefühlen nicht allein war, zeigte sich am Montagnachmittag bei einer Meinungsumfrage, die ich für die Morning Show des Folgetages aufgenommen habe. Wieder war ich in Brooklyn unterwegs (das zu Erwartende am Ground Zero hat mich weniger interessiert). Dieses Mal erfolgreich. Und – Überraschung! - es gibt natürlich auch das „andere“ Amerika, das sich nicht von einer patriotischen Welle hinwegspülen lässt, sondern die Osama-Sache etwas differenzierter sieht, als der gesamt Nation derzeit angedichtet wird.

FM4-WEB Meinungsumfrage bin Laden - Brooklyn.MP3

Der Terror-Pate ist tot, das finden die meisten schon gut. Die wundersame kollketive Wundenheilung, die da angeblich innerhalb weniger Momente passiert sein soll, konnte ich allerdings nirgendwo feststellen. Eher Erleichterung, dass der Osama-Spuk endlich zu Ende ist und Skepsis darüber, was denn nun kommen möge. Und natürlich geht abseits davon das Leben seine gewohnten Bahnen. Der italoamerikanische Pizzabäcker auf der Fulton Street zuckt mit den Schultern, der ägyptischstämmige Deli-Besitzer auf der Green Avenue spendiert mir augenzwinkernd 50 Cent auf die Organic-Milk und das war’s dann auch schon wieder jenseits der direkten Meinungseinholung: another day in America.