Erstellt am: 2. 5. 2011 - 15:58 Uhr
Roots Music
Dienstag, 3. Mai. 2011: Spezialstunde zum Donaufestival in der Homebase (19-22 Uhr)
Am Nachmittag erzählt Herr Gonjasufi im Interview, dass ein Konzert natürlich die auf Tonträger gebannte Musik überbieten müsse. Wer die Platte hören möchte, der möge die Platte hören. Bei Konzerten von Gonjasufi werde viel herumprobiert, Angst vor dem Stolpern dürfe man keine haben, 30 oder 70 Prozent seien improvisiert, und Texte zu seinen Stücke tatsächlich auf einen Zettel Papier hinzuschreiben – das ist dem Mann schon seit etlichen Jahren nicht mehr in die Tüte gekommen. Spricht’s, führt den dampfenden Apfel zum Mund, hust, röchel, hmhm, zwinkert kurz hinter der Sonnenbrille hervor und justiert das auf einem wirren Filz-Wucherwerk thronende Trucker-Cap konzentriert in unachtsame Schieflage.

Florian Schulte
Bevor am letzten Tag des Eröffnungswochenendes des Donaufestivals mit dem ursprünglich aus dem kalifornischen San Diego stammenden, mittlerweile in die Außenbezirke von Las Vegas verzogenen spirituellen und musikalischen Gesamtkonzept Gonjasufi einer der überraschenden Konsens-Acts des vergangenen Jahres als quasi Headliner des Abends die Bühne der großen Halle betreten wird, sprudelt es in Krems auch andernorts recht feingeistig aus allen Öffnungen: In der Minoritenkirche gilt es das Bindeglied zwischen Minimal Music und dröhnendem Gitarren-No-Wave in Gestalt von – Vorsicht – Legende Rhys Chatham zu erleben, dessen man an den Tagen zuvor schon beim völlig bescheidenen Zigarettendrehen in schmucklosen Hotelfrühstücksräumen ansichtig werden konnte.
Jonathan Meese („Ich, so richtig Scheiße“) ist in der Kunsthalle und der kleine Raum des Festival-Geländes wird von den schön plump benannten Awesome Tapes From Africa bespielt: Brian Shimkovitz ist studierter Ethnologe hat lange in Ghana gelebt und hat die dort auch in Zeiten der digitalen Weltherrschaft überraschend mangelhaft bis gar nicht dokumentierte Musiklandschaft durchforscht. Auf seinem tatsächlich sehr awesomen Blog gibt er so ziemlich allen Musiken von Highlife über Folklore bis hin zu House, HipHop und slickem Charts-Pop eine Plattform. Sein wunderlich durch die Styles swingendes DJ-Set bestreitet er fast ausschließlich mit Kassetten und vor nahezu leerem Saal. 19 Uhr ist eine schlechte Zeit .

Florian Schulte
Gonjasufi tritt mit Band auf. Und „Band“ heißt hier „Band“. Der unter dem Namen Sumach Ecks geborene Sänger, MC, Teilzeit-Produzent und Yoga-Lehrer hat mit seinem 2010 bei Warp Records erschienen Debüt-Album „A Sufi And A Killler“ eine ziemlichen Hit gelandet, auf den sich Soundforscher, Kopfnicker und Freundinnen des weirden Pop-Moments gleichermaßen einigen konnten. Mithilfe des Produzenten The Gaslamp Killer und punktueller Schützenhilfe eines der vordersten Architekten des sonischen Zukunftsschocks, Flying Lotus, hat Gonajsufi hier verspulte Sample-Artefakte, Beats und murmelnden Singsang zu einer knacksenden und knisternden Sauce aus Psychedelik, Soul, Dub, Zeitlupen-Disco und 70s-Rock-Spuren verschnitten, aus der HipHop bloß noch als identitätsstiftendes Lebensmodell hervorlugt.
In der Live-Darbietung bleibt von der geschmeidigen Elastizität des Tonträgers nur wenig über – was vielen im Publikum anwesenden Heads schon auch sicherlich ein bisschen zu Recht das Wort „Enttäuschung“ und Schlimmeres auf die Lippen schreibt. Kopfnicken findet nicht statt, dann schon eher Moshen. Gonjasufi hat Gitarristen und einen echten Schlagzeuger mitgebracht und knüppelt sich zunächst einmal durch ein paar Nummern hochgeschwindigen Jazz-Rock, in dem Captain Beefheart und die Bad Brains Geschwister sind. Dann und wann lässt er aus seiner MPC und dem Laptop ein paar Beats und dunkle Soundscapes fließen. Verbeugungen vor Sun Ra, Screamin' Jay Hawkins und dem Nuscheln des mighty ODB gehören ebenso in den Kosmos des Gonjasufi wie das Ummodeln des behäbigen Bouncens des Albums in Swamp Rock. Bei Gonjasufi ist die Rock-Pose aber halt auch eine Pose und Musik heißt Jonglieren und Dekontextualisieren von klanglichen Zeichen. Die komplette Verwischung.
Gonjasufi stichelt das Publikum auf, ist mit dem Vibe unzufrieden und streut da und dort zu kurzen Versöhnung kleine Hit-Momente des Albums in sein Set. Zwischendurch wird „Heart Of Stone“ von den Rolling Stones gecovert – möglicherweise jene Band, die den Blues am dreistesten in „weißen“ RocknRoll umkodiert hat? Könnte man mal drüber nachdenken. Bisweilen läuft der ganze Zirkus mit musikgeschichtlichen Symbolen von Gonjasufi dann doch aus dem Ruder, ist bloßer Kabel-Salat, technisches Problem, Schabernack und klingt Kchrckdch. Kschchsch! Große Kunst, aber mitunter eher Performance denn Performance. More Brilliant Than The Sun.

Florian Schulte

Florian Schulte
Die bloß gute, großartige, geschmolzener Margarine gleich (mit Salz) sich durch alle Menschen fortpflanzende und kaum mit Superlativen beizukommende Party hingegen spült Hudson Mohawke aus einmal Powerbook, einmal elektronischer Kasten, einmal Mixer und zweimal ein bisschen Turntables in den kleinen Saal. Der junge schottische Produzent weiß wie man behutsam einen Abend aufbaut: Die euphorische Verkabelung von stolpernden Beats, pompösen Synthie-Fanfaren, verpitchtem R'n'B und schrillen Rave-Momenten wird jeder Mensch auf seiner nächsten Pool-Party haben wollen. Alles Adjektive, dieser tolle Hudson Mohawke mit seiner triefenden Creme-Torte plus Vanille drüber, und keines ist zuviel. Sehr viel neues Material gibts zu hören, und gegen Ende fast logisch den Überhit "FUSE". Solch einhellige Freude im Publikum ist dieses Jahr bislang beim Donaufestival noch nicht erfahren zu gewesen. Leider Handtuch zum Um-Die-Schultern-Hängen vergessen.

Florian Schulte
L-Vis 1990 vom gerade topheißen und prinzipiell sehr guten Label Night Slugs überzeugt in der großen Halle nur ein bisschen. Ebenso Diplo, der Weltmusik-Verwerter, Superstar, Model, Werbeträger und Mann, der gefragt wird, wenn es darum geht, irgendwo eine Dubstep- oder auch eine Reggae-Compilation zusammenzukuratieren. Diplo ist ein sehr guter DJ, eh. Wo er gerade ist, ist ihm egal, kosmopolitisches Party-Set, geht immer: M.I.A, "Thundestruck", La Roux, lalala. Der Versuch des Donaufestivals, den Samstag jugendlicher und clubtauglicher zu gestalten, verpufft etwas matt in der halbvollen Halle. Drüben, im mittlerweile leeren, kleinen Saal, stehen immer noch die Umrisse der Hände in der elektrifizierten Luft und schunkeln zu den längst verdampften, durchaus auch als körperliche Höhepunkte erfahrbar werdenden Klängen des Hudson Mohawke. Like they just dont care.
Nächste Woche zum Beispiel nicht vergessen: The Books, Laurie Anderson, Gold Panda, DFA 1979, Tim Hecker. Tim Hecker!