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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

30. 4. 2011 - 16:25

Das Gespenst GODIAC

Europäische DemonstrantInnen fürchten die Einschränkung ihrer Grundrechte durch ein neues Polizeiprojekt - zu Recht?

GODIAC ist ein Akronym für "Good Practice for dialogue and communication as strategic principle for policing political manifestations in Europe"

Der Widerstand gegen die Castor Transporte in Deutschland im Herbst letzten Jahres, die Proteste gegen den NATO-Gipfel in Lissabon im November und die Demonstrationen gegen den WKR-Ball in Wien im Jänner 2011 weisen zwei Gemeinsamkeiten auf. Alle Demonstrationen wurden von Projekt GODIAC beobachtet und auf allen gab es repressive Polizeiaktionen: In Portugal wurde FriedensaktivistInnen die Einreise verweigert, im Wendland beteiligte sich sogar ein französischer Polizist dabei, die Castor-Transporte durchzuprügeln und in Wien wurde die Demonstration gegen den rechtsextremen Burschenschafter-Ball aus fadenscheinigen Gründen verboten.

polizeikontrolle am nato-gipfel 2009

dpa/Federico Gambarini

Polizeikontrolle beim Nato-Gipfel in Lissabon 2009

Gerade in Wien kam schnell der Verdacht auf, dass die europäischen BeobachterInnen etwas mit der Untersagung der Demonstrationen zu tun hatten. Der grüne Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser vermutet, "man wollte strategisch herausfinden, welche Wirkung es hat, wenn man legale Demonstrationen verbietet, um dann nachher analysieren zu können: ist es besser bestimmte Demonstrationen zu erlauben, oder ist es besser, sie zu verbieten, weil dann beispielsweise Protest im Keim erstickt werden kann."

Steinhauser richtete nach den Vorfällen am WKR-Ball eine parlamentarische Anfrage an die damalige Innenministerin Maria Fekter - mit einigen Fragen zu Godiac. Die Antworten fielen kurz aus, genauso wie bei ähnlichen Anfragen von Parlamentariern in Niedersachsen oder im europäischen Parlament. Eine Aura des Geheimnisvollen und Verschwörerischen umgibt das Projekt Godiac.

castor transport

dpa/Jochen Lübke

Polizeiaufgebot an der Fahrtstrecke des Castor-Transports

Dabei sei Godiac gar kein Geheimprojekt, sagt Marianne Hilton, die schwedische Projektmanagerin von Godiac, aber man stehe noch ganz am Anfang und bevor man keine Resultate habe, wolle man nichts rausposaunen. Informationen über Godiac seien jedoch öffentlich zugänglich, auf der Website der schwedischen Polizei.. Dort sind etwa die 20 Projektpartner aus elf europäischen Ländern aufgelistet, größtenteils Polizeiorganisationen oder Polizeiausbildungsstätten.

"The aim of the project", sagt Marianne Hilton im Interview, "is really to contribute and follow the developments of initiatives within the police in Europe that develope communication and dialogue as a strategy to facilitate peaceful protest and to build networks with different institutions. [...] The police can exchange ideas and good practice. By the end of the project we would like to have a little booklet of good examples of how communication and dialogue can be used."

Bei Projekt Godiac sollen in zehn Feldstudien "Best-practice-Beispiele" erarbeitet werden, wie durch gute Kommunikation zwischen Polizei und DemonstrantInnen Eskalationen, gewalttätige Zusammenstöße und Ausschreitungen vermieden werden können. Bei den Demonstrationen würden dabei die Interaktionen von Polizei, DemonstrantInnen und Bevölkerung beobachtet werden. Vor und nach den Demonstrationen würden die ForscherInnen auch mit allen Beteiligten Interviews führen, über ihre Erwartungen vor und ihre Erfahrungen bei der Demo, um verschiedene Einschätzungen des Polizeieinsatzes zu bekommen.

Polizisten kesseln ca. 50 Demonstrantinnen ein

Welebil

Einkesselung der DemonstrantInnen gegen den Burschenschafter-Ball in Wien

Von guter Kommunikation und einem Dialog wäre gerade bei den Anti-Burschenschafts-Ball-Demonstrationen gar nichts zu sehen gewesen, meint Albert Steinhauser, im Gegenteil: Die Demonstration wurde fast drei Wochen vorher angemeldet. Einen Tag vorher hat man sich bei den AnmelderInnen gemeldet und ihnen mitgeteilt, dass man die Demonstration untersagen wird. Diese Vorgangsweise zeigt, dass es genau nicht um Dialog und Kommunikation geht, sondern um Repression und Einschränkung.

Steinhauser fordert Transparenz in Bezug auf Projekt Godiac. Man solle benennen, wenn die neue Polizeistrategie Demonstrationen einschränken will, denn dann müsse darüber eine politische Debatte stattfinden. Der grüne Abgeordnete sieht nicht nur in Österreich sondern auch auf europäischer Ebene eine Entwicklung hin zu Einschränkungen von antifaschistischen und globalisierungskritischen Demonstrationen. Godiac sei ein Teil davon. Das Polizeiforschungsprojekt trage zur Überwachung und Eindämmung von internationalen Großdemonstrationen bei und habe vor allem gegen "linke" Veranstaltungen gerichtet.

Polizisten in voller Montur hinter einem Metallzaun

Welebil

Verhaftung von DemonstrantInnen auf der Mariahilferstraße in Wien

Marianne Hilton wehrt sich gegen diesen Vorwurf. Zwar stehe die Internationalisierung von Demonstrationen im Fokus von Godiac, die politische Richtung der Demonstrationen habe aber mit der Festlegung der Feldstudien nichts zu tun. Diese würden die Partnerorganisationen vorschlagen, unter der Bedingung, dass die Manifestationen ein Potential für Konflikt und Konfrontation aufweisen und im Vorfeld genug Zeit für die Planung sei.

Das bestätigt auch Rudolf Gollia, der Sprecher des Innenministeriums. Bei Demonstrationen gegen den WKR-Ball sei es in den letzten Jahren immer wieder zu Ausschreitungen gekommen. Daher sei diese Veranstaltung den ForscherInnen vorgeschlagen worden. Man wollte ihnen möglichst aussagekräftige Ergebnisse liefern. Das Verbot der Kundgebung habe jedoch nichts mit Godiac zu tun, sondern sei einzig und allein eine sicherheitspolitische Entscheidung der Polizeidirektion Wien gewesen. Wie wir jetzt wissen, war ein feministisches Flugblatt schuld daran.

Christiane Rösinger über Berlin-Kreuzberg am 1.Mai

Wenn Godiac auch nichts mit dem Verbot der Demo zu tun hatte, dann waren die Ereignisse die darauf folgten dennoch von höchstem Interesse für die ForscherInnen. Dezentrale und spontane Kundgebungen, organisiert über Twitter und andere moderne Kommunikationsmittel.
Am 1.Mai muss sich auf jeden Fall keine Demonstration vor Godiac fürchten, weder in Wien noch in Kreuzberg. Laut der Projektmanagerin findet die nächste Feldstudie erst wieder im September statt, in Barcelona, am katalanischen Nationalfeiertag.