Erstellt am: 29. 4. 2011 - 21:46 Uhr
Journal 2011. Eintrag 86.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer simplen Speisen-Huldigung.
Zuerst wollte ich ja ein Fußball-Journal schreiben: die aktuellen Lizenz-Geschichten und auch die im negativen Sinn interessante Handhabung europäischen Polit-Populismus' durch Jose Mourinho bieten einigen Stoff. Und dann wollte ich doch auch eigentlich mit der längeren, wohl zweiteiligen Annäherung an mein Lieblings-Thema der letzten Tage, die hysterische Gesellschaft, die hysterische Republik Österreich, beginnen.
Aber dann kam mir etwas dazwischen.
Das ist gar nicht so schlecht. Kann ich noch die Reaktionen der aktuell lizenzlosen Vereine abwarten, kann ich noch in das eine Buch hineinlesen, schadet alles nicht.
Ich bin nämlich auf dem Nachhauseweg bei diesem Spar in der verlängerten Kärntner Straße vorbeigekommen, ja, der Spar, die Supermarkt-Kette. Harald Schmidt würde jetzt sagen: es gibt auch noch Billa, Merkur, Penny, Hofer, Adeg und andere mehr.
Der Spar schräg gegenüber von der Oper war einmal ein Meinl, sehr lange eigentlich, ich glaube sogar, er war der letzte Meinl (bis auf den am Graben) dieser traurigen Firmengeschichte.
... not just another Karlsplatz-Story...
Und bevor mich jetzt der Florian Klenk wieder rüffelt, weil ich da angesichts des nahen Karlsplatz-Elends wieder über Luxus-Tempel referiere - dieser Spar ist der, vor dem sich die Karlsplatz-Junkies gern treffen, in dem sie ihren Alkohol und ihre Süßigkeiten kaufen und in dessen Eingangsbereich sie sich nicht enden wollende Kleinkriege mit der lokalen Spar-Security liefern, die originellerweise meist aus Leuten der ziemlich selben Herkunft besteht. Und da ist die nur bedingt feine Adresse "Kärntner Straße" dann recht wenig wert.
Der Klenk hat sich vor Jahren einmal, anlässlich einer der immer wiederkehrenden Karlsplatz-Geschichten hier im Journal (heuer ist das die erste, glaub' ich...) darüber erregt, dass ich eine Passagen/Junkie/Ursache-Wirkung-Betrachtung auch im Take-Away-Sushi, der direkt schräg unter dem Spar liegt, spielen ließ. Das wäre doch allzu decouvrierend bobo-dekadent. Meiner Erwiderung, dass die Sushi-Bude im Passagen-Leben aller eine wichtige Rolle spielt, und dass ich dort meine Suppe direkt hinter oder vor den Karlsplatz-Junkies, die dort mehrmals täglich "auf a paar Maki" gehen, ordere, folgte nichts mehr. Klenk ist ein toller Recherchierer, aber in der Karlsplatz-Passage kennt er sich eben nicht aus; aber immerhin: voreilige Zuschreibungen wie diese habe ich seither nicht mehr erlebt.
Im Passagen-Untergrund und zu ebener Erde...
Im Spar drüber mischt sich das Publikum noch drastischer, als in der drunterliegenden Passage: da stehen hinter-/nebeneinander die 1.Bezirk-Hofratswitwe, der dem Wiener White Trash entstammende Junkie, der 30jährige Bobo-Werbefuzzi und die Frau im Verkehrsbetriebe-Gewand an, die alle vier eine andere Partei wählen. Denn die Karlsplatz-Junkies, das kann man ihren lautstark geführten Gesprächen in und um die Passage entnehmen, sind tendenziell Strache-Freunde (da werden in jüngerer Zeit gern Ehre und Treue zitiert, und da wird - eh schon immer - über Neger und Ausländer-Xindl geschimpft, Menschen, die die Karlsplatz-Junkies minder wertschätzen; dass diese Realität im krassestmöglichen Gegensatz zu den Hate-Comix im Wahlkampf, die Ahnungslosen einreden wollten, dass dort schwarze Dealer depperte linke Hippies verführen, steht, ist ein wahnwitziger Treppenwitz), auch wenn das jetzt nicht in althergebrachte Weltbilder passt.
Dort also bin ich, nach einiger Zeit wieder, vorbeigekommen, und immer wenn ich den Kopf frei und die Nase oben habe (denn sonst vergesse ich drauf) muss ich diesen Spar entern, teile das Mixed-Publikum auf dem schnellstmöglichen Weg in die Obst-Abteilung, denn ich kann selbst die wenigen Sekunden, die zwischen meinem Spontan-Entschluss und der Erkenntnis, ob "es" denn auch vorhanden sein wird, fast nicht durchstehen.
Das kleine Glücksgefühl im Supermarkt-Regal
Und dann stehe ich vor dem großen halbgekühlten Regal an der Fensterfront, wo oben die frischgepressten Säfte und unten die Plastikbecher mit den klein geschnittenen gemischten Früchten stehen. Und dazwischen, in der zweithöchsten Etage, stehen sie. Heute wieder, vier verschiedene gleich und das kleine Glücksgefühl, das mich durchströmt, ist deutlich mehr wert als die durchaus auch schon recht unverschämten 3 Euro 80 oder 90, die so ein Becher mittlerweile kostet.
Irgendwann voriges Jahr, als ich (es war so eine Phase, die kommen und gehen) dort zwei-, dreimal die Woche reingeschneit bin, waren sie über eine längere Zeit nicht da. Sicher zwei, drei Wochen.
Irgendwann hab ich eine Filialkraft, der ich Kompetenz zumuten wollte, gefragt, ob die Produktion denn eingestellt worden wäre (sowas kommt ja gerne vor; vor allem bei Nischen-Produkten, an die man sich gewöhnt und in die man dann über eine kurze Zeit fast schon verliebt war, passiert das). Nein, nein, sagte die Auskunftsperson, die Dame, die das macht, wäre nur auf Urlaub. Oder krank.
Omas Topfencreme, Omas Früchtejoghurt
Ich war hingerissen. Dieses Produkt war tatsächlich handgemacht, von einer lebenden Person, nicht von einer Maschine. Und wenn diese Person auf Urlaub oder im Krankenstand war, dann gab es eben nix.
Keine Mohncreme mit Früchten.
Keine Erbeeren auf Fruchtjoghurt.
Kein Vanille-Joghurt Erdbeer-Pfirsich.
Keine Früchte auf Naturjoghurt.
Keine dieser Cremes mit Zutaten und der Fruchtgarnierung obendrauf. Keine dieser Mixturen, die meine Oma so toll hingekriegt hat. Die Topfencreme meiner Oma, die hat wohl auch nur aus Topfen und Rahm bestanden, und trotzdem stand sie meilenweit über all den industriell gefertigten Cremes und Joghurts und Topfenmischungen (Deutsche! Topfen, das ist das, was bei euch sprachlich und auch ästhetisch irreführend Quark heißt, und nach Stinke-Käse klingt, so wie euer Käsekuchen, der ja auch nur dann wirklich gut und süß sein kann, wenn er ein Topfenkuchen ist), egal wie viel Landliebe da drin stecken mag. Und natürlich konnten auch andere Omas und Mütter da nicht mit, von vorgeblichen Spitzenköchen ganz zu schweigen. Sie mögen die Schoko-Mousse besser hinbringen, das war nicht so sehr die Stärke meiner Oma, aber die Topfencreme, das Fruchtjoghurt...
Besser als die Schlagobers-Köch'
Was ein Schlagobers-Koch eigentlich ist?
Das hier!
Die unbekannte Frau im Urlaub oder Krankenstand, die die Cremes mit Zutaten für den Spar in der verlängerten Kärntner Straße macht, handfertigt, hat mir ein Stück der Kindheit zurückgeben, ein Stück des Glaubens an die Qualität des Handwerks und ein Stück Lebensqualität.
Gut, im Becher mit dem Vanillejoghurt, da gibt es Stabilisatoren und Farbstoffe, da stecken Geschmacksverstärker drinnen, aber wer weiß, was meine Oma heimlich in ihre Cremes hineingemischt hat.
Aber die Mohncreme, die mich so absolut willenlos macht, in die hat sie maximal reingespuckt, die Dame mit dem Urlaub.
Den sie gerade nicht macht. Danke!