Erstellt am: 28. 4. 2011 - 22:50 Uhr
Journal 2011. Eintrag 85.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar Fakten, Meinungen und Risíko-Analysen zur Verkaufbarkeit von österreichischer Musik.
Ob ich schon was gehört hätte von ihrem neuen Album, fragt Skero, als ich ihn vor der U-Bahnstation Roßauerlände treffe, wohl wissend, dass ich weiß, dass 'Grotesk' von Texta nächste Woche FM4-Album der Woche sein wird.
Noch nicht, sage ich, als wir, die notorischen Zuspätkommer, auf die Summerstage zusteuern, wo die Kick-Off-Veranstaltung zur Musik Box Austria offenbar schon begonnen hat. "Na dann wirst du gleich was davon hören," sagt Skero und deutet auf die gleich neben dem Eingang aufgebaute kleine Behelfs-Bühne.
Später wird Flip, einer der anderen Texta-Mitglieder, der am Podium der nämlichen Präsentation sitzt, etwas von dem Paradox erzählen, in dessen Schatten Musikschaffende Musik schaffen: dass sie, wie John Cale das kürzlich formulierte, sich bei jedem neuen Stück fragen würden, ob sie dafür jemals einen Gegenwert erhalten würden; und dass man trotzdem Alben machen würde, weil sich darin und drumherum Konzepte und übergeordnete Ideen verwirklichen ließen, also das, was die Künstler in den Musikern so sehr wollen.
Das Texta-Album wird nächste Woche das sechste österreichische FM4-Album der Woche in Folge sein. Das fing mit Wolfram an, dann war da Attwenger, dann Ja, Panik, dann Clara Luzia und jetzt gerade Kreisky.
Dazu kommen aktuelle Alben von noch acht oder zehn anderen Acts, die ebenso (zurecht) nach Wahrnehmung schreien. Es ist eine höllische Veröffentlichungs-Party, die da gerade abgeht.
Grandiose Österreichische Alben im Wochentakt
Noch später wird Skero, beim angekündigten sehr relaxten und lustigen kleinen Musik-Playback&Vokal-Live-Auftritt, vor einem der Stücke sagen, dass es das Video dazu eh schon geben würde, auf Youtube. Im Bewusstsein, dass es dort die Klicks geben wird, die den neuen Stücken die Beliebtheit sichern werden.
Die Verkäufe, das alte Geschäft mit den Alben, das ist eine andere, die alte Währung. Aber immer noch die einzige harte; neben dem Live-Geschäft. Aber um die alte Währung geht es heute vormittag. Da wird ein neues Modell präsentiert, mit dem sich ein guter, ein sehr guter und großer Teil dessen, was sich so als alternative Szene in diesen Land versteht, zusammengeschaltet hat; um damit dieses alte Kerngeschäft so schlau wie möglich abzumelken.
Jetzt wäre es Zeit für die Fakten: die "MusikBox Austria" hat nix mit alten Radioshows oder Wunschkonzerten zu tun, sondern ist ein speziell ausgeschilderte Präsentationsfläche für aktuelle österreichische Musikalben, ein Aufsteller, der in den Libros, Thalias und Saturns des Landes ausgestellt werden und für öffentliche Sichtbarkeit sorgen soll. Der wie immer vorbildliche Bericht der APA über die Veranstaltung (hier in der ersten Veröffentlichung die ich finden konnte) beschreibt das alles noch exakter.
Aufsteller-Ausstellung in Positionierungs-Pose
Das ist eine Neuerung, die direkt eine Frage provoziert, die bei der Kick-Off-Veranstaltung auch gestellt wurde, nämlich: warum gibt es das nicht schon längst?
Gefühlt ist es nämlich, und ich bin nicht wirklich ganz so nah dran an dieser Szene um das umfassend beurteilen zu können, das etwa zwanzigstemal, dass so etwas in der Schwebe war; aber das erstemal, dass es wirklich klappt. Das hat damit zu tun, dass der massive Marktdruck die Szene enger aneinanderdrückt und auch damit, dass man es dem Vertrieb/Verlag Hoanzl zutraut sowas zu stemmen.
Hoanzl hat ein - zwar gänzlich anders geartetes - Kinofilm-Projekt (da ging es um eine massiv gesponserte und historisch angelegte Edition, nicht um eine aktuelle Umschau) sehr effektiv umgesetzt. Und die Hoanzl-Musikabteilung genießt Kraft der Person ihres Leiters Christoph Moser auch noch nach dessen Tod vor jetzt auch schon über zwei Jahren, noch immer einen gewissen Vertrauensvorschuss.
Also passiert jetzt etwas, was schon lange fällig war: die Szene schließt sich (zu wirklich großen Teilen) zusammen um den ökonomischen Verteilungskampf aufzunehmen, der gleichzeitig auch für künstlerische Positionierung steht. Und da kommt die höllische Veröffentlichungs-Party, die die FM4-Musikredaktion fast schon vor Kapazitäts-Probleme stellt, durchaus recht.
Das Leitmedium des letzten Jahrhunderts im Fokus
Und das alles für das Album, dieses Medium des 20. Jahrhunderts, dieses dahingeschiedene Ding, das letztlich nur noch als Idee, als Zuschreibung existiert, aber nicht mehr als tatsächlich konsumierte Einheit.
Das ist mittlerweile so wie mit Büchern, die rumstehen um Bedeutung zu signalisieren, aber nie gelesen wurden. Die Älteren hören sich ihre Alben vielleicht sogar noch einmal komplett durch, die Jüngeren nicht mehr - da zählt die Qualität des Tracks, des Einzelstückes; es geht nicht um Zeichen, es geht um die tatsächliche Relevanz.
Und nur das tatsächlich Gehörte ist die relevante Einheit im Musikjahr 2011. Auch wenn da die Kaufleute natürlich nur im verkauften Einheiten denken.
Ein umtriebiges Mitglied der Musikindustrie, desssen Anonymität hier gewahrt werden wird, sprach am Rande der Veranstaltung davon, dass er auch keine CDs mehr kaufen würde, sondern seine Lieblings-Tracks digital abspeichert. Und für die, denen das keinen Geldwert mehr wert ist, bleibt dann eben das, was der Skero richtigerweise anspricht: der Youtube-Link.
Natürlich ist in einem "Soap & Skin"-Album, ist in einer Konzept-Veröffentlichung von "Ja, Panik", ist im bevorstehenden Ding vom "Nino aus Wien" soviel gemeinsame künstlerische Kraft drin wie in allen großen Alben der Popmusik-Geschichte. Und sicher sind 10 oder 15 oder 20 der aktuell 58 Alben in der Musik Box Austria (die sukzessive auf 100 oder dann 200 aufgestockt werden soll) von der Sorte und zeitkapselmäßig aufbewahrenswert für künftige Generationen, die uns erst mit Hilfe dieser Musik wirklich verstehen können.
Trotzdem ist es eigenartig, dass sich die erste schlagkräftige gemeinsame Aktion von Labels, Musikern, Musikumfeldarbeitern und Managern just daran aufhängt: am Album.
Es ist irgendwie tot, aber es bewegt sich und er bewegt uns noch, als wär's ein Vampir, ein freundlicher, der mit uns zusammenleben will. Spooky ist das aber schon.