Erstellt am: 29. 4. 2011 - 16:24 Uhr
"Wir brauchen mehr Predigerinnen"
Von Rusen Timur Aksak, Simon Kravagna und Phillipp Tomsich (Fotos)
In seiner Jugend war Fuat Sanaç Jugendfunktionär der konservativen muslimischen Milli-Görus-Bewegung. Im biber-Interview präsentiert der Österreicher türkischer Herkunft aber unkonventionelle Ideen. So kann sich Sanaç erstmals Frauen als Vorbeterinnen für Muslima in Moscheen vorstellen. Die Trennung von Männern und Frauen in den Moscheen soll aber beibehalten werden. Die Aussagen des 57-jährigen Ex-Boxers haben Gewicht. Fuat Sanaç werden beste Chancen auf die Nachfolge von Anas Schakfeh, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, eingeräumt.
Fuat Sanaç kam 1954 in der türkischen Provinz Elazig zur Welt. 1978 ging er nach Köln, kam allerdings nach 4 Jahren nach Wien. Er war führender Funktionär der „Milli Görüş“-Jugendorganisation, schreibt manchmal für die „Milli Görüş“-nahe „dewa“. Er ist ehemaliger Religionslehrer, aktueller Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht, Vorsitzender des Schura Rates (das „Parlament“ der Muslime in Österreich) und gilt als chancenreichster Kandidat für die IGGIÖ Präsidentschaft, da die Islamische Föderation (Milli Görüş) hinter ihm stehen soll. ATIB will keinen eigenen Kandidaten aufstellen und konnte sich mit der Nominierung Sanaçs anfreunden. Die Wahlen in der Glaubensgemeinschaft werden im Mai abgeschlossen sein.
biber: Herr Sanaç, Sie waren früher Boxer. Waren Sie gut?
FUAT SANAÇ: Ich war in der türkischen Nationalmannschaft und auch türkischer Staatsmeister. Boxen war damals noch ein Sport mit vielen Fans. Kämpfe vor 15.000 Zusehern war keine Seltenheit.
Wie war Ihre Kampfbilanz?
200 Siege und nur 11 Niederlagen. Der Grund, warum ich mich aber dann doch fürs Studium entschieden habe, war, dass es mir später unislamisch erschien, andere Menschen zu schlagen oder gar zu verletzen. Ich habe mich also für das Studium entschieden.
Ist Boxen mit dem Islam nicht vereinbar?
Streng genommen nicht. Laut einigen Überlieferungen des Propheten Muhammed (F.s.m.i) ist es verboten, jemanden ins Gesicht zu schlagen. Ich möchte aber betonen, dass Boxen in meiner Zeit wesentlich gefährlicher war – viele Dinge wie Kopf- und Mundschutz gab es noch nicht. Das Boxen ist heute durch klare Regeln und Schutzpolsterungen sicherer geworden. Jeder soll nach seiner Begabung eine Sportart betreiben, egal ob Boxen, Fußball oder Tennis. Und eigentlich ist das Boxen eine gute Sportart, es sorgt für Disziplin.
biber
Laut Koran sind auch Tattoos verboten. Trotzdem lassen sich viele junge Moslems tätowieren.
Tattoos habe eine lange Tradition im Orient, allerdings eine, die eher Frauen betroffen hat und betrifft. Die Hände und das Gesicht werden noch heute mit Tätowierungen verziert. Wenn das heute allerdings Männer machen, muss ich schmunzeln. Es ist eine Modeerscheinung, im Islam gilt es als verpönt, aber es ist natürlich kein schweres Verbrechen. Im Islam ist nur verboten, was für den Menschen oder die Menschheit direkt schädlich ist, wie etwa das Glücksspiel, das großes Leid über den Spieler, aber auch die Familie bringen kann.
Immer wenn über Verbote geredet wird, wird schnell über die Scharia geredet. Wie stehen sie zur Scharia?
Darüber zu reden ist müßig, denn die Scharia und die Gelehrten (z.B. von Al Azhar) erlauben es uns, auch unter einer säkularen Rechtsordnung zu leben. Niemand will also in Österreich die Scharia einführen. In Wahrheit gibt es „die“ Scharia gar nicht, wie von manchen dargestellt wird und die Scharia handelt im Wesentlichen von Verhaltensvorschriften und Empfehlungen für den Alltag. Man soll nicht stehlen, seine Eltern ehren, kein Glücksspiel betreiben. Kurz gesagt: Gebote und Verbote. Das ist alles Scharia. Was soll daran schlecht sein?
Es gibt allerdings Praktiken, die mit der Scharia assoziiert werden. Stichwort: Steinigung für Ehebruch.
Nicht alles, was mit der Scharia in Verbindung gebracht wird, ist wirklich Teil der Scharia. Gerade in den sogenannten islamischen Ländern wie Afghanistan, Iran, Pakistan und Sudan herrschen Chaos und Terror – obwohl man sich dort auf die Scharia beruft.
Wie ist es in Saudi-Arabien?
In Saudi-Arabien ist es ebenso problematisch: Wenn in Saudi-Arabien das Königshaus beleidigt wird, wird man nach der dortigen Scharia verurteilt, obwohl es eigentlich Majestätsbeleidigung ist. Es macht keinen Sinn das Wort Scharia zu dämonisieren – Scharia entspricht dem Begriff Jura (Jus in Österreich).
Kommen wir zur Wahl für die Islamische Glaubensgemeinschaft. Die Mehrheit der Muslime in Österreich sind Türken. Diese werden diesmal auch ihren Einfluss ausbauen. Wird es eine türkische Dominanz geben?
Die türkischen Muslime waren ja schon immer in der Mehrheit, allerdings war die Nationalität einer Person bei der Wahl eben nie wichtig. Erst wählten die Muslime in Österreich einen Afghanen zum Präsidenten, später einen Syrer. Nationalismus hat keinen Platz im Islam. Uns geht es ja darum, das es österreichische Muslime gibt und einen Präsidenten für diese österreichischen Muslime.
Zu Ihrer Familie: Was machen Ihre Kinder?
Ich habe zwei Söhne und zwei Töchter. Einer studiert Pädagogik, der andere hat einen Uniabschluss und ist bereits verheiratet. Er steht im Berufsleben, seine Frau studiert wiederum an der TU. Meine älteste Tochter hat eine Modeschule im 9. Bezirk absolviert und ist mittlerweile verheiratet, meine jüngere Tochter besucht die Kunsthochschule im 16. Wiener Gemeindebezirk.
Tragen Ihre Töchter das Kopftuch?
Meine ältere Tochter trug lange Jahre ein Kopftuch, bis sie einmal nach London fuhr und dann ohne Kopftuch zurückkam. Auch die Jüngere trägt kein Kopftuch.
Dieser Artikel ist im Magazin biber erschienen.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des biber
Ist das ein Problem, wenn die Töchter eines Moslemvertreters kein Kopftuch tragen?
Nein. Es war immer ihre Entscheidung. Wie schon im Koran steht (2:256) – es darf keinen Zwang im Glauben geben. Natürlich sagt der Koran ganz klar, dass Frauen ein Kopftuch tragen sollen. Aber es ist eben die Entscheidung jeder einzelnen Frau, wie sie mit diesem Gebot umgeht.
Sie sind Österreicher – fühlen Sie sich und Ihre Familie auch so? Was bedeutet es, sich wie ein Österreicher zu fühlen?
Meine Familie und ich sind gerne in Österreich, wir fühlen uns hier zuhause. Ich könnte mit meiner Ausbildung und Berufserfahrung auch in der Türkei leben, meine Kinder ebenfalls, aber wir leben in Österreich. Deswegen sage ich auch Direktoren und Lehrern immer wieder, dass es wichtig ist, den (muslimischen) Kindern das Gefühl zu geben, sie seien hier zu Hause und eben keine „Fremden“ mehr. Wie gesagt: Muslimische Österreicher sein – das ist es, was wir wollen.
Wie stehen sie zum Thema Predigerinnen und Theologinnen?
Wir brauchen ganz generell mehr Frauen in der Islamischen Glaubensgemeinschaft, egal ob nun als Delegierte, Predigerinnen oder eben Theologinnen. Wir haben auch genug Theologen und Prediger, aber zu wenige von ihnen verstehen die Sorgen und Nöte der in Österreich geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen. Ich suche und unterstütze Frauen, die mitmachen wollen, sich aber vielleicht nicht immer trauen. Ich glaube, dass eines der größten Probleme in Österreich wie auch der islamischen Welt ist, dass Frauen zu lange weniger Bildung und damit weniger Möglichkeiten im Leben bekommen haben. Irgendwann sind wir eine männerdominierte Gemeinschaft geworden. Wenn zum Beispiel eine Frau religiös gebildet ist, dann kann sie auch sagen, wenn ein Mann ihr gegenüber etwas Unislamisches sagt oder macht, weil sie es dann weiß.
Auf unserer Online-Seite wird unter unseren Usern oft gestritten, ob die Aleviten Moslems sind oder nicht. Wie ist Ihre Meinung?
Es gibt „die“ Aleviten gar nicht, da es sowohl in der Türkei als auch hier in Österreich unterschiedlichen Strömungen gibt. Unsere Tür steht für alle offen, die sich als Muslime verstehen. Wenn allerdings manche alevitische Gruppen einen nicht muslimischen Weg gehen wollen, dann ist das zu respektieren.