Erstellt am: 27. 4. 2011 - 19:06 Uhr
What bleeding wedding?
Aber dann haben die Kollegen vom bayrischen Zündfunk nicht ohne ein bisschen im Tonfall mitschwingendem Wunschgedanken gefragt, ob ich denn von etwaigen Straßenunruhen am Tag dieser gewissen Hochzeit berichten könnte.

Robert Rotifer
Und um ehrlich zu sein, hatte ich ja selbst fest damit gerechnet, dass sich nach dem spontanen Angriff auf Charles und Camilla's Limousine bei der StudentInnendemo letzten Dezember sicher was in die Richtung abspielen würde.
Aber so wie es aussieht, ist die Revolution wieder einmal wegen TeilnehmerInnenmangel vorübergehend aufgeschoben.

Robert Rotifer
Gestern war auch eine sehr grimmig dreinschauende Polizistin namens Christine Jones im Fernsehen zu sehen, die gedroht hat, jeglichem Versuch, die Feierlichkeiten zu stören, mit äußerster Strenge zu begegnen. Selbst auf der Website der Protest-Plattform UK Uncut findet sich nur eine kategorische Zurückweisung der "bizarren" Meldungen, wonach eine Störung der königlichen Hochzeit geplant sei: „Dies ist nicht der Fall.“

Robert Rotifer
Was mir insofern recht ist, als ich nun frei haben werde wie alle anderen auch. Irgendwie fühlt sich hier sowieso alles ein bisschen inoffiziell ferienartig an. Erst Ostern, dann drei Fenstertage, dann außertourlicher Hochzeitsfeiertag, Wochenende und gleich drauf noch der reguläre May Bank Holiday hinten dran...
Als ich gestern voller Tatendrang beim Plattenlabel anrief, um zu hören, was so weitergeht, hieß es nur: „Um ehrlich zu sein, haben die meisten Leute diese Woche wohl schon abgeschrieben.“ Wer kann es ihnen verdenken.

Robert Rotifer
"Can't believe I'm going to be the only one with the TV off, the radio off...
Was das Arbeitsethos angeht, ist es bei den Briten mit dem Protestantentum sowieso längst nicht so weit her, wie sie immer tun, zwischen der ciggie break unten auf der Straße und Überstunden im Pub nach Dienstschluss.

Robert Rotifer
Auch damit kann man sich bestens abfinden. Schwieriger wird es allerdings, wenn man in seinen Illusionen über ihre Abgeklärtheit erschüttert wird, was den festlichen Anlass all des gegenwärtigen Müßiggangs angeht.
Als ich letzte Woche in Wien war, hab ich glatt noch mit größtem Selbstbewusstsein allen erzählt, die es hören wollten oder nicht, der ganze Hochzeitswahn sei eine Projektion von außen, ein hohler Marketing-Triumph, gänzlich ohne Zusammenhang mit dem echten Leben, hinauslaufend auf ein von Indigenen völlig geräumtes, stattdessen von anreisenden TouristInnen aus aller Welt gefülltes, zur telegenen Kulisse mutiertes London.
...and the music just loud enough to block out the neighbours' TV too. Just in case.“

Robert Rotifer
Bei der Ankunft in Canterbury, dem man ja nun doch ein gewisses Potenzial für royalistische Spießbürgerei zutraut, erspähte ich durchs Taxifenster dementsprechend bloß ein einziges erbärmliches, mit Union Jacks behangenes Häuschen. Was etwa im Vergleich zum epidemischen Fahnenwahn bei Fußballweltmeisterschaften schon ein erstaunliches, ja angesichts des erdrückenden Medienhypes geradezu katastrophales patriotisches Desinteresse bedeutet.
Das einzige mir bekannte Ereignis zur bevorstehenden herrschaftlichen Paarung war die Anti-Royal-Wedding-Gartenparty unseres Freundes Pete aus Faversham, Drogentherapeut und Schuldenberater, der selbst eine dezente Neigung zu Rauschmitteln pflegt und neulich in Privatkonkurs ging:
“No idea how many might come but can't believe I'm going to be the only one with the TV off, the radio off... and the music just loud enough to block out the neighbours' TV too. Just in case.“

Robert Rotifer
Dann kam die Nachricht aus Tochters Volksschule. Offenbar halten die nicht nur eine Party ab, sondern auch den „Royally Bling Your Bike“-Wettbewerb: „Decorate your bike in a Royal Theme and you could win a great prize,“ steht auf dem Flugblatt.

Robert Rotifer
„I don't want to,“ sagt die Tochter. Ich bin sehr stolz auf sie.
Es wird aber immer offensichtlicher: Die Hochzeitshysterie ist ein institutionelles Phänomen.
Den letzten Beleg für diese These sehe ich heute morgen bei meinem Auslauf durch die Felder rund um Canterbury. An keinem der idyllischen Eigenheime hängt auch nur ein Fähnchen. Bis ich durch das Gelände des Kent & Canterbury Hospital laufe, und siehe da:
Am Eingang zur Ambulanz für Frakturen steht ein Mann in neongelber Arbeitskleidung auf der Klappleiter und hängt eine schmucke Wimpelschlange auf, während sein Kollege noch mehr Union Jacks aus der Verpackung schält.

Robert Rotifer
Die Notaufnahme nebenan erstrahlt schon im nationalen Glanz.

Robert Rotifer
Auf dass jene, die sich beim Heckentrimmen die Nase abgeschnitten oder beim Rasenmähen die Zehen zerfleischt haben, auch was von der Stimmung am großen Festtag mitbekommen mögen.
Ich hatte gedacht, ich könnte es ignorieren. Jetzt hab ich erst recht darüber gebloggt. Na ja.