Erstellt am: 27. 4. 2011 - 22:10 Uhr
Fußball-Journal '11-34.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch 2011 wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit der ersten Preview auf das einzige Groß-Turnier an dem Österreichs Fußball in den nächsten Jahren teilnehmen wird: der U 20-WM in Kolumbien.
Cartagena ist seiner Gründung 1533 eines der ökonomischen Zentren der Karibik, seitdem Europäer den neuen Kontinent entdeckten, zu zähmen und auszubeuten versuchten und sich in Kolonien und mit Gewaltherrschaft dort seßhaft machten. Obwohl: rundherum war lange Zeit nichts, bis heute gibt es westlich von Cartagena, bis nach Mittelamerika hinein, keinen anderen Hafen.
Und zwar nicht, weil sich die Küste dort nicht eignete, wie das die Conquistadores beschönigend nach Hause meldeten, sondern weil die Spanier es mit der gesicherten Landnahme nicht schafften. So wurde Cartagena zur wichtigen Drehscheibe der Verschiffung von Reichtümern und Handelswaren aller Art zwischen alter und neuer Welt, Gold, Silber und Sklaven bevorzugt.
So kamen Zuschreibungen wie "Tür zu den Amerikas", die Hauptstadt der Karibik oder die bestbefestigte Stadt des Kontinents. Das hielt Francis Drake und später auch französische Eroberer-Kollegen (deren Status stets zwischen Pirat und Vertretern der Krone pendelte) nicht von (teilerfolgreichen) Angriffen ab. 1811 sagte sich Cartagena im Rahmen der Befreiungskriege von Simon Bolivar von Spanien los.
Der Brückenkopf Cartagena im karibischen Kolumbien
Die gut erhaltene wildromantische Altstadt von Cartagena ist heute eine der wenigen Werte in Kolumbien, die nicht vom jahrelang herrschenden Drogen-Business erschaffen wurde. Das wird nicht mehr vom legendären Pablo Escobar bestritten, man hat sich arrangiert, mit den lokalen politischen Kräften und auch mit den USA, die in einem jahrelangen War on Drugs die Infrastrukturen fast zerstört hatte.
Jetzt wo die (weit schwerer zu bekämpfenden) mexikanischen Kartelle die Vormachtstellung im Welthandel von vor allem Kokain übernommen haben, beschränken sich die kolumbianischen Seilschaften auf die dezente Herrschaft in der Region: man investiert im nahen Panama anstatt die mächtige USA zu verärgern.
Cartagena ist diesbezüglich nicht die erste Adresse: der alte Hafen ist weiterhin das Tor zum karibischen Raum, versprüht internationales Flair und kann mit allen gut: den alten Mächten (Franzosen, Briten, Holländer, Spaniern), den neuen (USA) und den Nachbarn wie Cuba, Jamaica oder Panama. Nur mit dem erdölmächtigen Venezuela von Hugo Chavez liegt man in einem unschönen Dauer-Clinch.
Und wieder glänzt die Hoffnung auf eine U20-WM hell
Venezuela hat sich für diese U20-WM nicht qualifiziert.
Österreich schon.
Als eines von sechs europäischen Fußball-Ländern, neben Spanien, Frankreich und England, den alten Rivalen von Cartagena, neben Portugal und Kroatien. Mit einer sehr guten Mannschaft, die von einer Ausnahme-Generation (der der Jahrgänge 91 und 92) gespeist wird, mit einem Haufen Glück und eher gegen die Unsinnigkeiten, die von einem strategisch völlig überfordertem Trainer vollführt wurden.
In diesem Cartagena wird heute Nacht gelost, wer wo und wann spielen wird. Die Gruppen A und B spielen im Landesinneren, weit weg vom Atlantik in der Hauptstadt Bogota und Cali, der vormaligen Drogenhochburg. Die Gruppen C und D spielen in kleinen Städten im eher namenlosen Zentrum. Die Gruppe F wird in Medellin, dem nördlichen Rivalen von Cali daheim sein (mit einem Ausreißer in Cartagena) - aber die Gruppe E, die wird in Cartagena und der anderen, östlich gelegenen großen Hafenstadt Barranquilla beheimatet sein.
Die WM beginnt am 29. Juli, die Gruppenspiele enden am 6. August, das Achtelfinale gibts am 9. und 10. August, das Viertelfinal am 13. und 14. 8., die Halbfinals am 17., das Finalspiel am 20. August.
Diese Termine müssen erwähnt werden, weil das ÖFB-Team unter Paul Gludovatz 2007 in Kanada unter die letzten Vier gelangte - und was für Prödl/Junuzovic/Kavlak/Hoffer/Harnik/Okotie und Co recht war, ist für Alaba/Dragovic/Knasmüllner/Weimann/Holzhauser/Schimpelsberger/Klem nur billig.
Der Flugangsthase als schwankender Lotse
Im Hochsommer wird es in den Küstenstädten verdammt heißt und verdammt luftfeucht sein; in den höhergelegenen Spielorten kommt die dünnere Höhenluft dazu.
Die Journale zur U19-EM in Frankreich, bei der die Qualifikation für Kolumbien erfolgte:
25.5.: ÖFB-Versagen im EM-Vorfeld.
31.5.: Herafs Nicht-Vorbereitung auf die EM.
17.7.: Preview fürs EM-Turnier.
19.7.: Das Trainerlose Team.
22.7.: Herafs Schuldzuweisungs-Skandal.
26.7.: Frankreich-Fazit und Kolumbien-Ausblick.
Das war der Kader für die EM 2010.
Der ÖFB nimmt die Vorbereitung auf dieses Turnier, nachdem man angesicht der verheerenden Performance der Delegationsleitung bei der EM-Finalrunde 2010 in Frankreich das Gegenteil annehmen musste, erstaunlich ernst. Man ist geneigt hier erstmals seit einiger Zeit so etwas wie eine konzertierte Projekt-Arbeit zu erkennen. Also etwas, was über den in Österreich flächendeckend üblichen Stil (von der Hand in den Mund arbeiten, Löcher aufreißen und andere zu stopfen, improvisieren und nur für die kurze Zeit denken, die man selber verantwortlich ist, hinter mir die Sintflut!) deutlich hinausgeht.
Zwar glaubt Coach Andreas Heraf (der wie allzu viele Ex-Teamspieler und ungeübte Neo-Trainer einzig und allein den lukrativen Bundesliga-Job im Auge hat - dem also der ÖFB-Job an sich recht egal ist; weshalb er sich auch als TV-Experte recht offen daueranbietet) weiterhin, dass es hier um eine Präsentationsform für ihn geht: deshalb ist seine Flugangst das erste, was er im hauseigenen Interview anspricht. Immerhin hat man (wohl Teammanager Walter Konir) sich aber schon der Unterstützung von länger in Kolumbien lebenden Österreicher versichert (immer eine gute Idee).
Konzentrierte Projekt-Arbeit
Auch der Vorbereitungs-Plan ist seit geraumer Zeit fixiert - die 39 Spieler im Großkader bekommen (dem Vernehmen nach) regelmäßig ihre Fitness-Extra-Aufgaben und andere Infos per DVD ins Postfach. Zwischen 29. und 31.Mai (also nach Ende der Meisterschaft, da gibt es abstellungstechnisch keine Ausreden) wird in Salzburg getestet, danach gibt es ein einwöchiges Trainingslager nach Andalusien, Spanien (auch keine blöde Idee, sich so an Kolumbien ranzutasten). Abflug ist fast eine Woche vor Turnierbeginn, man überlegt sogar im Fall einer Gruppe in einem der Höhenluft-Orte noch ein, zwei Tage früher anzureisen, um sich zu akklimatisieren. Etwas, was eigentlich auch für die Küstenorte gilt - auch hier ist die Klima-Umstellung enorm; und dauert.
Heraf will schon Ende Mai einen 24 Spieler umfassenden Final-Kader aufstellen, der offizielle WM-Kader darf dann nur 21 Spieler umfassen.
Der 39 Burschen umfassende Großkader sieht so aus:
Die Torleute Philip Petermann (Pasching), Christian Petrovcic (Leoben), Georg Arnberger (Austria), Sam Radlinger (St. Florian/Ried), Georg Blatnik (Rapid) und Christoph Riegler (St.Pölten).
Die Defensivspieler Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Gernot Trauner (LASK), Lukas Rath und Patrick Farkas (Mattersburg), Michael Schimpelsberger (Rapid), Mahmud Imamoglu (Vienna), Richard Windbichler (Admira), Martin Hinteregger (Salzburg), Lukas Rotpuller und Emir Dilaver (Austria), Bernhard Janeczek (Mönchengladbach/D), Tobias Kainz (Heerenveen/NED).
Die Offensivspieler Robert Gucher (Kapfenberg), Raphael Holzhauser (Stuttgart/D), David Alaba (Hoffenheim/D), Florian Kainz und Christian Klem (Sturm), Georg Teigl, Marco Meilinger und Daniel Offenbacher (Salzburg), Christoph Knasmüllner (Inter Mailand/ITA), Philipp Huspek und Marcel Ziegl (Ried), Daniel Schütz (Altach), Kevin Stöger (Stuttgart/D) und Marcel Ritzmaier (PSV Eindhoven/NED). Austro-Serbe Radovan Mitrovic (Heerenveen/Emmen/NED) ist zwar nicht im Großkader, wurde aber für das letzte Trainingscamp nominiert. Vielleicht ist auch Matthias Maak (Neustadt) noch ein Thema.
Dazu kommen noch die Stürmer Marco Djuricin (Hertha/D), Robert Zulj (Ried), Alexander Aschauer (Stuttgart/D), Andreas Tiffner (Austria), Andreas Weimann (Watford/ENG), Manuel Sutter (St. Gallen/SUI) und Christian Pauli (Osnabrück/D). Auch Max Sax (Admira) soll noch eine Chance haben.
Ein durchaus global ausgebildeter Haufen also.
Rausgeflogen sind Marcel Büchel (Primavera Juventus Turin), der Sündenbock der EM 2010 und Christian Bubalovic, Innenverteidiger bei Energie Cottbus, der dort im B-Team regelmäßig spielt. Außerdem im Gegensatz zu 2010 nicht mehr auf der Backlist: Tormann Lorenz Höbarth und Verteidiger Florian Maier (LASK) sowie Dominik Burusic (Bayern). Philipp Prosenik (Chelsea) ist verletzt.
Kevin Krisch von Werder II, der seit ewig auf Herafs Blacklist steht, fehlt ebenso wie Salzburgs Stefan Hierländer, der zwar in der Herzogs U21 auflaufen darf, bei Herafs U20 aber nicht willkommen ist. Nicht mitspielen kann Moritz Leitner (einst 1860, jetzt Augsburg, bald Dortmund) den der ÖFB durch eigene Dummheit an den DFB verloren hat. Nicht dabei ist Tormann Richard Strebinger, ein 93er-Jahrgang, der aber bei Hertha II bereits regelmäßig spielt. Was aus Facebook-Stürmer Rafhael "Rafinha" Domingues wurde, weiß man auch nicht so genau. Heraf ist ja eher ein Trainer, der Spieler verliert (Bahadir) als einer, der sie gewinnt.
Die Gegenwart heißt: Topf 4
Für die Auslosung, die heute Nacht um 3 Uhr MEZ ablaufen wird, wurde das ÖFB-Team in Topf 4 gesetzt, aber, he, das ist keine Wertung wie das bei den Großen der Fall sein wird. Da bedeutet Topf 4 bei der nächsten WM-Quali-Auslosung, und die steht bald an, nämlich, dass Constantini seine Mannschaft wieder in die europäische Viertklassigkeit runtergewirtschaftet hat.
In Cartagena heißt Topf 4 nur, dass Österreich, ebenso wie Kroatien, Frankreich, England sowie Uruguay und Ecuador (der andere, unauffälligere Nachbar Kolumbiens) quasi gegen Topf 1 (mit Spanien, Portugal, Nigeria, Argentinien, Brasilien und Gastgeber Kolumbien) gesetzt wird: also nur ein Europäer und ein Südamerikaner pro Gruppe.
Topf 2 und 3 enthält die restlichen Afrikaner, die Mittelamerikaner (die auch sowas wie Heimvorteil genießen), Asiaten und Ozeanier. Es wird also gegen Nigeria, Argentinien, Brasilien oder Kolumbien gehen; und im schlimmsten Fall noch gegen Kamerun, Ägypten oder Mexiko und gegen Australien oder Südkorea.
Platz 2 garantiert den Aufstieg ins Achtelfinale, Platz 3 nicht unbedingt.
Wer sich ein wenig über die afrikanischen Teilnehmer, die ihre vier Vertreter erst unlängst in der afrikanischen U20-Meisterschaft ermittelt hat, erfahren will, kann sich hier bei ballverliebt.eu kundig machen, die haben das taktisch aufgeschlüsselt.
Denn schließlich wollen alle, wirklich alle, dass die Junioren im fernen Kolumbien eine gute Figur machen werden. Und erstmals seit langem auch der ÖFB selber - das Gefühl hat man immerhin.
... and the winner is: Cartagena!
Es wurde die Gruppe E, die in, richtig, Cartangena. Dort spielt man zweimal, gegen Ägypten und gegen Panama. Gegen Gruppen-Favoriten Brasilien muss man nach Barranquilla ausreisen. Die Seleçãozinha ist Co-Favorit, wie immer, Panama ist deswegen massiv zu beachten, weil sie in fast heimatlichem Territorium antreten, und sicher eine Homecrowd hinter sich haben. Ägypten ist hier von Philipp Eitzinger bereits ausgezeichnet eingeschätzt worden.
Die restliche Auslosung brachte ua eine Gruppe B mit Portugal, Kamerun und Uruguay und eine Gruppe F mit Argentinien, England und Mexico. Es gibt also keinen Grund mit irgendetwas zu hadern, in Cartagena, dem Eintrittsportal zu einem ganzen Doppel-Kontinent.