Erstellt am: 1. 5. 2011 - 17:00 Uhr
Graswurzeln aus Plastik
Klassische Werbung ist am Ende, zumindest was ihre Glaubwürdigkeit angeht. Um aber ihre politischen Kampagnen trotzdem ins öffentliche Bewusstsein zu bekommen, müssen Lobbyinitiativen andere Wege gehen. Über so genanntes "Astroturfing" versuchen sie, die Arbeit von unabhängigen Bürgerinitiativen und Graswurzelbewegungen zu imitieren, um so Rückenwind für ihre wirtschaftlichen Interessen zu erzeugen.
JD Hancock unter Creative Commons Lizenz
Wir wollen Guttenberg zurück
Blogger wie Peter Berger und Sascha Lobo stellten sich die Frage, ob eine solche Zahlenexplosion mit rechten Dingen zuginge. Hartmund Danisch verfolgte die IP-Adresse von erbosten Kommentarschreiber_innen und kam bei einigen zu einer Firma, die als Dienstleistung Anzeigenschaltung und Suchmaschinenoptimierung anbietet.
Fast 600.000 Fans hat der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf Facebook. Doppelt so viele, wie Dieter Bohlen und sein Team von "Deutschland sucht den Superstar" in neun Jahren harter Marketing-Arbeit generierten. Und allesamt Anhänger, die seinen Rücktritt ungeschehen machen wollen. Oder nicht?
Dass sich binnen Stunden derart viele Unterstützer_innen im Internet zusammenfanden, hatte schnell Skepsis ausgelöst. Schließlich fanden sich pro Minute konstant 150 bis 180 neue Fans ein, auch Nachts kamen minütlich 40 Fans dazu. Andere hielten den Verdacht, es könne sich um gekaufte oder nur virtuelle Guttenberg-Unterstützer_innen handeln, für überzogen. Grund zur Skepsis gibt es allemal.
Denn gekaufte Unterstützer_innen wurden in den letzten Jahren zu einem weit verbreiteten Phänomen. Auch im so genannten "real life" tauchen immer wieder Kampagnen auf, die mit viel Finanzkraft politische Entscheidungen erwirken wollen.
Kreative Kampagnen
Im Frühjahr 2005 etwa verteilen Aktivist_innen gratis Eiscreme vor dem EU-Parlament und patrouillieren mit Transparenten auf einer Motoryacht in den Kanälen von Straßburg. Künstler_innen, Musiker_innen, Designer_innen und kleine Softwareentwickler_innen haben sich zur "Campaign for Creativity" zusammengeschlossen. Mit möglichst kreativen Methoden wollen sie die EU-Parlamentarier_innen von der Sinnhaftigkeit der Software Patent Direktive überzeugen. Das Gesetzespaket soll die Nutzung von freier Software einschränken, gleichzeitig wird ein strikterer Umgang mit Patentrechten gefordert.
Hinter der "Campaign for Creativity" steht aber nicht ein Verbund von basisdemokratisch organisierten kreativen Arbeiter_innen, sondern finanzkräftige Softwareriesen wie Microsoft und SAP. Orchestriert wird der kreative Protest von Campell Gentry, einer Londoner PR-Agentur, die schon einmal erfolgreich für Biopatente in der EU kampagnisierte.
Grassroots
Kathrin Voss berät ausschließlich NGOs, Behörden, Verbände oder Vereine im Non-Profit-Bereich bei der Entwicklung von Grassrootkampagnen.
Ziel von Initiativen wie der "Campaign for Creativity" ist die möglichste perfekte Imitation von Grassrootbewegungen. Die Grassroot basiert auf der Vorstellung, dass es sich um Protest von der gesellschaftlichen Basis aus handele, so die Hamburger Kommunikationswissenschafterin Kathrin Voss. Die Anti-Atombewegung wäre ein Beispiel dafür, Umweltorganisationen oder Open-Government-Initiativen. Die Idee dahinter: Menschen, die ihr Lebensumfeld aktiv mitgestalten wollen, versuchen, möglichst viele Gleichgesinnte zu mobilisieren, egal ob mit Unterschriftenlisten auf dem Marktplatz oder E-Petitionen im Internet, um so eine möglichst große mediale Schlagkraft zu entwickeln. Die Eigeninitiative von Menschen, ihre Spontaneität und ihre Kreativität sind dabei zentral.
How d'ya Keep Your Credibility?
Die große Stärke dieser Aktionen ist aber ihre Glaubwürdigkeit. Und diese Glaubwürdigkeit ist für die Lobbyindustrie eine große Verlockung. Über so genanntes Astroturfing versuchen Agenturen Grassrootbewegungen zu imitieren. Astroturfing, der Begriff, wurde vom Markennamen einer amerikanischen Kunstrasensorte entlehnt. Eine Anspielung darauf, dass Bürgerinitiativen ebenso wie Graswurzeln von unten kommen und organisch wachsen. Bei den künstlich initiierten Bürger_inneninitiativen werden Unterstützer_innen meist unter falschen Voraussetzungen und ohne Wissen um die wahren Drahtzieher dieser Bewegung akquiriert. Für das nötige PR-Kapital sorgen Unternehmen.
Beispiele für solche Astroturfings sind schwer nachzuweisen, so Kathrin Voss. In der Regel würde die scheinbare Graswurzelbewegung mit anderen, klassischen Werbekampagnen kombiniert. "Am erfolgreichsten war eine Kampagne dann, wenn die mediale Öffentlichkeit gar nicht weiß, dass es sie gegeben hat." Oft handle es sich um anekdotische Beweise, trotzdem werden immer wieder einige Fälle aufgedeckt.
Atomkraft im Schulbuch
"Bürger für Technik" etwa, ein Verein, der viel an deutschen Schulen aktiv ist und sich auf die Fahnen geschrieben hat, für mehr Verständnis in Bezug auf Technik und Naturwissenschaften zu werben. Erstaunlicherweise findet dabei auch das Thema Atomkraft Verwendung. Nicht unbedingt zufällig, denn laut Die Zeit (17/2008) spricht vieles dafür, dass der Verein "Bürger für Technik" eine Scheinorganisation der Atomlobby ist.
Ein Beispiel aus den 1990er Jahren sind die "Waste Watcher". Auf Umweltmessen kippten sie eimerweise Müll vor die Stände von BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und Greenpeace. Die Schein-Aktivist_innen demonstrierten gegen die Umweltschützer_innen, weil diese Müllverbrennungsanlagen verhinderten. Hinter den "Waste Watchern" stand das Unternehmen Tetra Pak.
Von Aktivist_innen für Aktivist_innen?
Es gibt nicht nur unterschiedliche Wege, sondern auch unterschiedliche Abstufungen von Astroturfing. Die einfachste Form ist auch die bekannteste: Ein Unternehmen oder eine Lobbyorganisation beauftragt Agenturen, um Mitarbeiter_innen unter artifiziellen Namen in Online-Foren Kommentare schreiben zu lassen. Bei aufwändigeren Kampagnen wird versucht, nicht nur bezahlte Akteur_innen zu beschäftigen, sondern reale Menschen, die an die Politik herantreten.
Die "Initiative Soziale Marktwirtschaft" zum Beispiel, eine maßgeblich vom deutschen Arbeitnehmerverband Gesamtmetall finanzierte Organisation, fiel 2007 damit auf, bei Studierenden Werbung für das Portal unicheck.de zu machen. Universitäten sollten danach bewertet werden, wie gut oder schlecht sie die Studiengebühren verwenden. Dabei wurde unicheck.de als eine Webseite "von Studenten für Studenten" beschrieben und gleichzeitig die Einführung von Studiengebühren als positive Mitbestimmungsmöglichkeit für Studierende dargestellt.
Crowdsourcing
Unternehmen sorgen bei solchen Aktionen für die nötige Finanzkraft und für unterstützende Strukturen, über die die Menschen akquiriert werden sollen. Das Crowdsourcing, ein Konzept aus der Wirtschaft, bei dem Tätigkeiten auf die Intelligenz und die Arbeitskraft einer Masse von Freizeitarbeiter_innen im Internet ausgelagert werden, steht hier Pate. Eine Schar kostenloser oder gering bezahlter Amateure generiert für die Lobbys den politischen Druck - freiwillig.
Für Ulrich Müller, den Vorstand der NGO "LobbyControl", ist die "Gesellschaft für umweltgerechte Straßen- und Verkehrsplanung" - kurz GSV - ein Beispiel für effizientes Crowdsourcing. Die Initiative hinter diesem schön klingenden Namen tritt für mehr Straßenbau ein. Bürgerinitiativen, die sich für Umfahrungsstraßen im eigenen Ort starkmachen, werden unterstützt. "Die GSV gibt zum Teil Anregungen, solche Bürgerinitiativen zu gründen, andererseits sind es auch echte Bürgerinitiativen, die sowohl strategisch als auch finanziell von diesem Verbund von Asphalt-, Bau-, Straßenlobby mitunterstützt und gefördert werden."
LobbyControl hat sich zum Ziel gesetzt, über Lobbying, PR-Kampagnen und Denkfabriken zu informieren.
Auch im Rahmen der Privatisierung der Deutschen Bahn beobachtete die NGO eine verdeckte Kampagne, die zumindest eine Zeit lang geholfen hat, den gesellschaftlichen Druck gegenüber den Privatisierungsvorhaben zu mindern. Über eine Lobbyagentur wurde eine Denkfabrik beauftragt, die vermeintlich unabhängige Umfragen gemacht hätte, so Müller: "Und es gab auf einmal eine Bürgerinitiative pro Bahnprivatisierung, die aber eigentlich nur virtuell aufgetreten ist. Im Nachhinein konnten wir die Verbindung zur Deutschen Bahn nachweisen."
Send me a postcard!
Das Web 2.0 hat die Prozesse der Meinungsproduktion für die Lobbyorganisationen erleichtert, die Methoden sind aber meist die gleichen wie vor 20 Jahren. Sie wurden auf das Web 2.0 adaptiert und weiterentwickelt. Wenn Information früher über klassische Medienkanäle nach dem Prinzip "top-down" streng hierarchisch produziert wurde, passiert das jetzt scheinbar völlig antihierarchisch und basisdemokratisch im Internet. Facebook und Twitter dienen als Informationsquellen und die Unternehmen suchen dort den ungefilterten, direkten Kontakt zu den Menschen.
Die traditionelle Gatekeeperfunktion, die dem Journalismus zugeschrieben wird, also die Prüfung und redaktionelle Bearbeitung von Presseaussendungen, fände häufig nicht mehr so statt, wie man sich das idealerweise wünschen würde, so Müller, gleichzeitig habe sich mit dem Strukturwandel der Medienöffentlichkeiten die Meinungsproduktion ins Netz verlagert. Unternehmen würden dort versuchen, in Kontakt mit den Bürger_innen zu kommen, um viel direkter ihre Botschaften platzieren zu können.
Transparenzdatenbank
Der zentrale Vorwurf gegenüber allen Aktivitäten im Bereich Astroturfing ist die Intransparenz. Menschen, die sich solchen Kampagnen anschließen, würden einerseits oft selbst nicht wissen, wo sie da mitmachen, andererseits würde mit viel Geld versucht, Einfluss auf die Politik zu nehmen, so Müller.
Bei der Frage nach einem Regulativ für derartige Manipulationen ist laut LobbyControl die Gesetzgebung gefordert. Europa hinkt hier im weltweiten Vergleich hinterher. In den USA gibt es ein zentrales Lobbyregister, das Abgeordneten genauso wie Bürgerinnen und Bürgern dazu dient, sich Informationen über lobbyierende Personen oder Organisationen zu verschaffen. Erfasst sind im amerikanischen Register allerdings nur direkte Kontakte hin zur Politik. Subversivere Methoden, wie Astroturfing, transparenter zu machen, sind auch dort gescheitert. Der erste Schritt in Richtung Transparenz, so Müller, wäre aber auch im europäischen Raum eine verpflichtendes Lobbyingregister, um zu wissen, welche Agenturen für welche Kund_innen im politischen Feld unterwegs sind.
Ein Radiobeitrag über Astroturfing läuft am 1. Mai 2011 ab 21:00 Uhr bei FM4 Im Sumpf
Neben einer Rolle des Korrektivs, das die Medien verstärkt zu erfüllen haben, ist aber auch kritisches Bewusstsein der Bürger_innen gefragt. Seit 2005 verleiht die LobbyControl deshalb gemeinsam mit NGOs wie Corporate Europe Observatory, Friends of the Earth Europe und Spinwatch den Worst EU Lobbying Award. Die Negativauszeichnung wird jährlich an Lobbyist_innen, Unternehmen und Interessenverbände vergeben, die sich durch besonders irreführende Lobbytaktiken ausgezeichnet haben. Der erste Preisträger im Jahr 2005 war die "Campaign for Creativity". Die Website campaignforcreativity.org ist seitdem offline. Gratis Eis für EU-Parlamentarier_innen gibt’s auch keins mehr.