Erstellt am: 25. 4. 2011 - 22:40 Uhr
Ewige Empirie
(Im folgenden Text über das Computerspiel "Portal 2" finden sich leichte Spoiler. Wer das nicht mag, liest nur die letzten drei Absätze.)
Im Dienste der Wissenschaft
Immer wieder dröhnt die selbe, aufdringliche Stimme aus den Lautsprechern. Ein gewisser Cave Johnson verheißt uns allen eine glorreiche Zukunft, dank der besonders wertvollen Vorstöße seiner Firma in Wissenschaft und Technik. Wir sind eine jener Personen, die an dieser wagemutigen Weltverbesserung teilnehmen. Und damit wir auch die ganze Zeit über ein williges Testsubjekt bleiben, das gerne Opfer für den Fortschritt bringt, wiederholt die Stimme ihre Phrasen immer und immer wieder.
Es ist das erste Mal, dass wir in der Welt von "Portal" auf einen Mensch treffen - wenn auch nur via Tonband. Doch Cave Johnson ist bereits seit vielen Jahren tot. Was von ihm geblieben ist, sind gigantische Stahlkugeln, die seit Jahrzehnten tief unter der Erde versteckt sind. In ihnen sind die allerersten Testkammern verborgen, die noch aus Holzböden gebaut sind und wo statt modernen, hellen LED-Lichtern warme Neonleuchten strahlen.

Valve Corporation
Tradition des Testens
Das originale "Portal" aus 2007 war zuvorderst eine dystopische Zukunftsvision. Der unkontrollierte Entdeckungstrieb der Wissenschaft gebärt dabei eine sich selbst bewusste, künstliche Intelligenz, die sich bald gegen ihre Geburtshelfer stellt und die Menschheit unterjocht. Dieses Science-Fiction-Fanal ist keineswegs neu und wurde - vor allem im Kino, von "Terminator" bis "Matrix" - bereits viele Male erfolgreich durchgespielt.
"Portal 2" schließt zunächst sehr nah ans Original und an diese bekannte Moral an: Wir treffen erneut auf die durchgedrehte, tödliche Computerintelligenz GLaDOS, die uns ein weiteres Mal zwingt, ihre selbst designten Testkammern zu bestehen. Doch ab dem Moment, wo die Kontinuität der sterilen Räume und ihre dazugehörige, hochtechnisierte Architekturautomatik unterbrochen wird und wir in den längst verlassenen Fabriksräumen der 1950er und 1960er Jahre ankommen, ändert sich die Kernaussage der Geschichte.

Valve Corporation
Fortschritt als Fetisch
Zunächst wirkt es aufgesetzt, dass die tragbare Teleportationskanone - das Schlüsselelement des innovativen Spielkonzeptes von "Portal" - bereits vor über 50 Jahren erfunden worden war. Bisher waren wir immer davon überzeugt, dass die futuristische Umgebung und die Ausstattung der Aperture Laboratories etwas junges, zeitgenössisches ist, das gerade mal in der Gegenwart zu verorten ist - niemals aber in der Vergangenheit.
Doch die fabelhaft stimmungsvolle Gestaltung der Spielumgebung und die audiovisuelle Präsentation zerstreuen schon bald die Skepsis. Die heruntergekommenen, größenwahnsinnigen Bauten aus der Vergangenheit und die von Tonbandaufnahmen weitererzählte Geschichte sind so konsistent, dass wir uns beim Spielen gefühlsmäßig bald zwischen Grusel, Beklemmung und Staunen wiederfinden. Der Umstand, dass schon vor einem halben Jahrhundert Aperture-Science-Testsubjekte und -Rätselkammern existiert hatten, drängt die erst in jüngerer Zeit stattgefundene Übernahme der künstlichen Intelligenz an die zweite Stelle unserer Aufmerksamkeit. Nun werden wir nicht nur daran erinnert, dass die Wissenschaft mit dem Fortschritt als ihren Fetisch gefährliche Ergebnisse liefern kann, sondern dass auch ihre Methoden zur alleinigen Aufgabe werden können. Das dauernde Überprüfen, das laufende Testen, das Falsifizieren und Bestätigen wird zum Selbstzweck, zur ewigen Empirie - ohne die Notwendigkeit, jemals den Laborkittel abzulegen.

Valve Corporation
"Portal 2" ist so gut, dass es ein dauernder Kampf ist zwischen der Darbietung der brillanten, tiefgreifenden Geschichte und den vielen schlauen Rätseln. Jeder Raum, jede Szene, jedes Level wird mit Teleportation (beim einen Portal rein, beim anderen wieder raus), dem Umleiten von Laserstrahlen, dem Austricksen von tödlichen Robotern und der korrekten Positionierung der beliebten, gewichteten Würfel gelöst. Bis man auf die jeweilige Lösung draufkommt, wird viel gegrübelt, probiert und um die Ecke gedacht. Die Aufgaben sind kein Spaziergang, sorgen aber auch nur in seltenen Fällen für Frustmomente. Neu in Teil 2 sind Energiebrücken, Energiestrahlen und drei unterschiedliche Farben, die aus dicken Rohren kommen und wild im Raum herumgekleckert werden wollen. Mit ihnen lassen sich die physikalischen Eigenschaften von Oberflächen verändern. So lässt uns etwa ein blau eingefärbter Untergrund springen, wohingegen rotes Gel schnellere Bewegung ermöglicht.

Valve Corporation
"Portal 2" von Valve Corporation ist bereits für PC Windows/Mac OS, PlayStation 3 und Xbox 360 erschienen.
"Portal" wurde mit dem zweiten Teil der Serie nun von seinen Entwicklern ebenso gewürdigt, wie es Fans mit dem Original bereits seit Ende 2007 tun. Damals war das Game noch ein Experiment, das als aufwändiges Anhängsel in einer Spielesammlung ("The Orange Box") angeboten wurde. Nach dem großen Erfolg ist das "Portal"-Team von acht auf 40 Personen angewachsen. Das schlägt sich auch im Umfang nieder: In der Solo-Kampagne von "Portal 2" wird man durchschnittlich 15 Stunden lang unterhalten. Wer damit fertig ist, kann sich nochmal in der kooperativen Kampagne ins Getümmel werfen, wo man gemeinsam mit einer zweiten Person weitere Rätsel lösen muss.
Ob die Aperture Science Laboratories uns jemals noch mehr staunen lassen werden, als mit dem aktuellen Teil der Serie, ist schwer vorstellbar. Genug von den Raumrätseln, der mächtigen Architektur der Testkammern und der irren Geschichte rund um einen größenwahnsinnigen Industriellen und seinen schurkenhaften Computern werden wir so schnell jedenfalls nicht bekommen.