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Mirjam Unger

radio FM4 / Pamela Russmann

Mirjam Unger

Gäste, Talk und Blödeleien, viel Musik gemeinsam hören und dabei laut aufdrehen und an die Kraft von Rock 'n' Roll glauben.

25. 4. 2011 - 15:29

25 Jahre Tschernobyl

Atomexperte Reinhard Uhrig von Global 2000 über die Lage in Fukushima, die Katastrophe von Tschernobyl und warum uns das Thema Radioaktivität noch lange beschäftigen wird.

Mirjam Unger: Sie waren in den ersten Tagen nach dem Erdbebenunglück in Japan und der dadurch ausgelösten Atomkatastrophe in Fukushima einer der Experten, die für uns auf FM4 die Situation analysiert haben. Wie ist denn die aktuelle Situation jetzt in den betroffenden Atomkraftwerken in Japan, knapp sieben Wochen nach dem Unglück einzuschätzen?

Reinhard Uhrig von Global 2000

FM4 / Alex Wagner

Reinhard Uhrig: In Fukushima ist bis jetzt Gott sei dank noch kein Plutonioum in größeren Ausmaß ausgetreten. Insofern ist es eine begrenztere Katastrophe. Aber es ist nicht nur ein Reaktor betroffen, wie bei Tschernobyl, sondern es sind gleich vier Reaktoren, die teilweise explodiert sind. In Reaktor 2 ist das Containment undicht. Es sind massive Mengen von stark radioaktiv verstrahltem Wasser ins Meer ausgelaufen, große Mengen an radioaktivem Iod, radioaktivem Caesium. Caesium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Das heißt, für die nächsten 300 Jahre wird das Gebiet radioaktiv belastet sein. Man kann es vielleicht folgendermaßen vergleichen: Wäre bei der Geburt von Maria Theresia im Jahre 1719 so ein Unfall passiert, könnte man jetzt erst wieder hier in der Gegend leben. Es wird für mindestens 300 Jahre eine "Exclusion Zone" um die Gegend geben müssen, in der man nicht mehr wohnen kann.

25 Jahre Katastrophe von Tschernobyl

Bis vor sieben Wochen war wahrscheinlich den wenigsten Menschen in Österreich der Ort Fukushima überhaupt bekannt. Und ähnlich war das damals mit Tschernobyl, bzw. dem nahe gelegenen Ort Pripjat. Heute vor 25 Jahren waren diese Orte den meisten Österreicherinnen und Österreichern ebenfalls unbekannt. Das hat sich dann innerhalb kürzester Zeit geändert. Wissen Sie noch, wo Sie am 26.4.1986 waren? Erinnern Sie sich an Tschernobyl und an die Wochen danach?

Ich war damals noch Jugendlicher und kann mich noch gut daran erinnern. Man muss leider Parallelen zu heute ziehen: Es wurde auch damals verspätet informiert, verspätet gewarnt. Ich habe damals in Bayern gelebt, wir haben damals auch verspätet erst die Warnung bekommen, keine Milch zu trinken, sich nicht im Freien aufzuhalten, insbesondere nicht barfuß Fußball zu spielen oder in die Sandkisten zu gehen. Damals haben auch die deutschen Gesundheits- und Umweltminister gesagt, dass sei völlig unbedenklich, das habe keinerlei Auswirkungen auf die Menschen. Es gibt massive Parallelen zu heute, was jetzt eben wieder in Japan zu sehen ist. Was wir anhand der wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten 25 Jahre gesehen haben, ist eine massive Zunahme von Krebsfällen - insbesondere Schilddrüsenkrebsfällen - nicht nur in der stark betroffenen Region Ukraine, Weißrussland und Russland, sondern auch in den anderen stark betroffenen Regionen Europas.

Wie sehr ist das feststellbar, dass diese Krebskrankheiten tatsächlich mit der Katastrophe in Tschernobyl zusammenhängen?

Das ist ein Punkt, der sehr stark umstritten ist. Die IAEO, die ja dazu dient, die friedliche Nutzung der Atomenergie zu fördern - das muss man ganz deutlich sagen, dafür ist sie eingerichtet worden, das ist ihre Mission - die hat das immer sehr stark runtergespielen. Die IAEO sagt, es habe bis jetzt 4000 direkte Todesfälle in Bezug auf Tschernobyl gegeben. Das sind schlicht und einfach die 4000, die man nicht anders wegreden und wegrechnen kann, mit Verlaub. Die anderen Todesfälle werden von der IAEO erlärt als - kein Witz - Radiophobie, das heißt die Leute haben Angst vor der Radioaktivität, werden deswegen krank und sterben. Die unabhängigen Stellen schätzen Todesfälle in Größenordnungen von 200.000 in der Zwischenzeit und es werden natürlich mehr werden. Wie gesagt hat das radioaktive Caesium eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Es ist aber auch sehr viel Plutonium ausgetreten, das eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Das heißt für 240.000 Jahre ist die Region verseucht und unbewohnbar. Zum Vergleich: Die Steinzeit war vor 10.000 Jahren.

25 Jahre ist die Katastrophe in Tschernobyl nun her. Ihr wart vor vier Wochen mit Global 2000 und Journalist_innen vor Ort in Tschernobyl und Pripjat. Was habt ihr dabei erlebt?

Die Reise war schon lange geplant. Es ging darum zu zeigen, wie die Erde dort totgemacht wurde. Wir sind in die Sperrzone hinein gefahren zu dem havarierten Reaktor, der damals notdürftig abgedeckt wurde. Der wurde immer wieder stabilisiert, das waren ja wirklich Notfallmaßnahmen. 600.000 Liquidatoren haben dort gearbeitet, von den über 100.000 mittlerweile schon tot sind, weil die Strahlung so hoch ist. Es ist erschreckend, in welch schlechten Zustand dieser notdürftiger Sarkophag um den Block 4 ist. Es soll jetzt eine noch größere Hülle gebaut werden, die absolut technisches Neuland ist und für die die Finanzierung noch fehlt. Das zeigt einfach die Auswirkungen einer solchen Katastrophe und wie unsicher und wie gefährlich diese wahnsinnigste Form der Energiegewinnung ist.

In wieweit bringen die Menschen, die dort mit euch hingefahren sind, Radioaktivität mit nach Hause?

Das wird sehr genau kontrolliert. Wir wurden gewarnt, dass man die Schuhe danach wegschmeißen muss. Ich hab auch meine Jacke und meine Hosen weggeschmissen. Wir haben noch dazu Masken mit Partikelfilter aufgesetzt und man wird begleitet von einem Scout mit Geigerzähler, der einem ganz genau sagt, wo man hingehen kann und wo nicht. Grundsätzlich kann man sagen, auf Asphalt sind die radioaktiven Partikel mittlerweile runtergewaschen worden, aber insbesondere Moos in Pripjat hatte Strahlenwerte von 15 Mikrosievert, also sehr hohe Strahlenwerte, und da muss man sehr genau darauf achten, wo man hinsteigt.

Österreich hat nach einer Volksbefragung 1978 mit knapper Mehrheit das Atomkraftwerk Zwentendorf verhindert und ist heute auch sehr stolz darauf, keine Atomkraftwerke zu betreiben. Andererseits bezieht Österreich Atomstrom von den Nachbarländern. Was für eine Gefahr geht von Atomkraftwerken in den Nachbarländern auf Österreich aus? Haben die Betreiberfirmen aus Tschernobyl gelernt?

Man muss leider sagen nein. Die östlichen Schrottreaktoren, die immer gern zitiert werden, also sehr alte Atomkraftwerke, gibts nicht nur in Osteuropa. Auch in der Schweiz steht ein mit Fukushima baugleicher Reaktor herum, der noch dazu im äußeren Kernmantel seit den 90er Jahren einen Riss hat. Der wird notdürftig zusammengehalten und weiterbetrieben. Rund um Österreich stehen sehr viele Hochrisikoreaktoren. Wir haben mal mitgezählt: Von den 146 Reaktoren, die momentan in Europa betrieben werden, sagen wir von Global 2000, 66 müssen sofort vom Netz, weil die einfach zu alt sind, kein Containment haben, in seismischen Zonen stehen usw. Bei den restlichen Atomkraftwerken fordern wir mittels Petition auf, dass sie bis 2020 abgeschaltet werden müssen, was problemlos möglich ist durch die Energieeffizienzpotentiale, also Einsparmöglichkeiten durch Geräte, die weniger Energie verbrauchen, und andererseits durch den ohnehin stattfindenden Ausbau der erneuerbaren Energieträger. Also das ist absolut realistisch und möglich.

Es findet heute um 18 Uhr eine große Kundgebung statt anlässlich des 25. Gedenktages an die Katastrophe von Tschernobyl. Was ist das genau für eine Kundgebung?

Wir sind Teil des European Tschernobyl Networks. Das ist ein Netzwerk von Hilfsorganisationen, die in der Ukraine arbeiten und dort den Tschernobyl-Kindern helfen, weil das die Ukraine selbst viel zu wenig macht. Das ist eine europaweite Aktion, die um 21 Uhr stattfinden wird. In Österreich werden 2000 Kerzen in Form des Radioaktiv-Zeichens und der Zahl 25 aufgestellt, davor wird es um 18 Uhr eine Kundgebung am Wiener Stephansplatz geben, wo sehr viele Menschen wie Eva Glawischnig und auch eins der Opfer der Tschernobyl-Katastrophe, das durch unser Hilfsprojekt geheilt werden konnte.