Erstellt am: 24. 4. 2011 - 23:18 Uhr
Journal 2011. Eintrag 83.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Würdigung und der Entdeckung einer Entdeckung. Wenn man sich nämlich auch nur halbwegs seriös mit dem Mythos Trend/Funsport auseinandersetzt, zerplatzt diese Luftblase eines Nichts sofort. Und das ist gut so.
In der heutigen (auch morgen Montag noch frei aushängenden) Presse am Sonntag, diesem magazinösen Versuch einer Tages-, besser: einer Wochenend-Zeitung, der trotz allen inhaltlichen Schnöseltums der lange Atem und der Wille etwas Eigenständiges zu kreieren nicht abgesprochen werden darf, denkt ein Leitartikler über den Charismaten an sich nach. Und entlarvt die Forderung der Öffentlichkeit nach "charismatischen Führern" als ganz schön dümmliche Sache. Denn, in welchen anderen Bereichen würde das denn in Österreich der Fall sein. Eben. Der Leitartikler endet mit der Selbstgeiselung "Im Journalismus?".
Und da irrt er. Nicht weil er und die anderen Leitartikler Charismaten wären (ich kann sie noch immer nicht auseinanderhalten), aber weil in derselben Ausgabe ein solcher seiner Aufgabe nachgeht: Johann Skocek.
Skocek ist ein Charismat und Reformer: auch durchaus in Persona, noch mehr aber durch seine Wirkung, sein Werk. Skocek hat den hiesiegen Sportjournalismus nicht verbessern können, aber durch Kontrastwirkung als das hingestellt, was er ist: eine Herr-Karl-mäßige, freche Parodie auf echten Journalismus.
Zur Person: Johann Skocek
Ich bin kein Skocekianer: ich finde seine Rückbesinnung auf die essayistische Qualität der 20-40er, auf die alten Torberg-Zeiten, prinzipiell in Ordnung - sie hat allerdings keine Folgewirkung, weil er in seiner Praxis eine wichtige Lernstufe einfach ignoriert hat. Zwischen dem Sport-Essayisten und den Sport-Baggerfahrern liegt vor der Notwendigkeit der Sprachkunst noch die Notwendigkeit der ernsthaften inhaltlichen Beschäftigung. Dieses Sich-Abarbeiten an Nachhilfe-Arbeit, diesen Nachholbedarf in Taktik/Strategie-Training für eine jahrzehntelang verdummte Öffentlichkeit hat Skocek nie wirklich interessiert.
Sein Versuch im Standard etwas wirklich alternatives aufzubauen war allerdings per se bemerkenswert. Auch wenn es nichts gefruchtet hat, was den Print-Bereich betrifft. Und erst die Nachnachfolger im Online-Bereich, die jungen Kräfte hinter dem neuen Taktikblogs und den Standardsituationen werden diesbezüglich Besserung bewirken.
Skocek zwirbelte seinen Stil aber zunehmend in Unverwechselbarkeit, zerstritt sich mit dem Standard und agiert seitdem als freier Journalist, schreibt da gern auch für die Presse. So auch in der heutigen Ausgabe.
Wechselwirkung Gesellschaft/Sport, Außenstelle Dresden
Skocek covert da etwas, was außer ihm niemandem aufgefallen ist, in Österreich jedenfalls. Da gibt es in Dresden, hinter den sieben Bergen und Zwergen also, eine Ausstellung zu Wechselwirkungen von Sport und Gesellschaft, eine Schau, die sich wirklich beschäftigt.
Und nur ein Fachjournalist, der sich wirklich beschäftigt, wie Skocek, tut sowas auf. Ohne Rücksicht auf aktuelle Aufhänger, klingende Namen, verwurstbare Bezüge oder anderen populistischen Käse, dem der Rest der Branche nachläuft, um dann seine tägliche, fade, unreflektierte Suppe zu kochen.
Skocek, der Charismat, nimmt sich die Zeit. Und schaut sich bei Auf die Plätze alle möglichen Aspekte an, fokussiert dann in einem Interview-Kasten aber auf das Thema Trendsport. Die Kuratorin der Ausstellung, Susanne Wernsing und der Wiener Sporthistoriker Rudolf Müllner erzählen da gelassen und in verständlicher Sprache Wahrheiten, die wir alle wussten, uns so aber nie getraut hätten auszusprechen.
Weil der, der den Funsport den Fun abspricht und dem Trendsport für abgelutscht erklärt und den X-Games ein U vormachen mag, als konservativer Stinker und normierter Freiheitsfeind abgetan werden kann - wenn man sichs einfach macht.
Trendsport ist ein Seelenverkäufer, Funsport eine Qual
Im Kurzdurchlauf - Wernsing/Müllner sagen: Trendsportarten sind nicht authentisch, sondern passen sich den Handy-Bildausschnittformaten an, sind also industrienormierte Zuarbeiter; nicht die so gern angegebene Leistung steht im Fokus, sondern die Repräsentation, die Selbstdarstellung; die scheinbare Anbindung Subkulturen ist von den Companies reproduziert, wird von der Konsumindustrie gelenkt; anstelle der alten Sport-Klischees werden eben neue gefertigt; der Leistungsdruck findet sich nicht in Zahlen wider, sondern in szenetypischen Pitzeligkeiten, ist aber zumindest genauso hoch; ursprünglich ging es ums "gegen irgend etwas sein" und dem Finden des "ganz anderen" - innerhalb kürzester Zeit werden aber auch wieder nur die alten Muster reproduziert; besonders verheerend: die Mädchen sitzen aufgebrezelt am Rand und schauen zu, schlimmer als beim Fußball.
Letztlich war das Ablaufdatum aber immer schon allen klar. Ich erinnere an eine Verarsch-Kolumne in der Brachial-Komik-Reihe "RTL Samstag Nacht", die jede Woche neue, völlig verblödete Trendsports aus "U!S!A!" erfand, die dann fast alle bei MTVs Jackass wirklich durchprobiert wurden.
Ich würde sagen, dass das die aufgeplusterte Realität der Trend/Funsport-Szenerie gut einfängt: von der anfänglich einmal, vielleicht rund ums allererste Air & Style, wirklich authentischen, vielleicht sogar rebellischen Boarder-Szene, von den ersten, die die Skater-Schmähs aus den USA (denn bei allem Gesagten geht es um die europäische Praxis) in die hiesigen Parks brachten und dort wirkliches Neuland betraten und die anderen Pioniertaten ist heute so gut wie nichts mehr übriggeblieben.
Rebellische Zeichen und Gesten: ausgehöhlt, bedeutungslos
Es ist bei den Trendsportarten auch nicht anders als mit der alternativen Popmusik, die sie zumeist ja auch szenetechnisch begleitet hat: sobald die Industrie sich einer Geschichte bemächtigt, sind zuvor rebellische Zeichen und Gesten innerhalb von Monaten oder Wochen unterwandert, H&M-tauglich, ausgehöhlt und entwertet. Und die versprochene Freiheit ist nur noch ein Werbespot für die entsprechende Sportswear.
In keinem anderen Bereich sind Athleten so abhängig von ihren Ausstattern und Sponsoren, in keinem anderen Bereich ist die Diskrepanz zwischen Schein und Sein so groß, wird die Leichtigkeit, der Fun so hervorgehoben, obwohl das Gezerre und der Druck zumindest genauso groß sind wie in jedem Leistungssport. "Es geht um Bilder, um Scheinwelten, die von den Protagonisten als wirklich angenommen werden.", sagt Müllner.
Diese Scheinwelten stehen neben den Scheinwelten, die der "alte" Sport, der des Mainstreams, der von Olympia und "world governing bodies" mit elendslanger Tradition, von der FIFA abwärts seit nicht geringer Zeit gewinnbringend vermarktet. Die X-Games und Red-Bullerein, die Flugshows und Big Airs haben allerdings - aufgrund ihrer fast n-och größeren Verlogenheit - aktuell mehr Ähnlichkeit mit der Wrestling/Kampfsport-Szene als mit dem klassischen Sport. Auch dort ist Inszenierung und Absprache, auch dort sind Heldensagen und Zuspitzungen deutlich wichtiger als Messbarkeiten.
Funsport als kleines Bruder von Wrestling und Co
Und während etwa im Fußball immer noch (und zwar aus sportlichen Gründen) über Dinge wie Videobeweise herumgestritten werden, hat sich der von der Unterhaltungsindustrie komplett aufgekaufte und völlig jeder authentischen Äußerung beraubte Trend/Funsport in solchen Fragen immer sofort gebeugt.
Es ist also verdammt notwendig, dass ein Maverick, ein Störfaktor, ein Charismat wie Johann Skocek nach Dresden fährt, um all das auszuschürfen und damit nach Österreich zurückkommt um uns Nachdenk-Futter zu geben. Weil bislang außer platitüdenhaftem "Find ich deppert!" nichts Kritisches oder sonstwie Substanzielles zum Thema erschienen ist. Da ist die Unterhaltungs-Industrie, da sind die Dosenverkäufer mit ihrem Medien-Aufkommen davor. Das ist nichts, wo der Journalismus österreichischer Prägung profitieren kann - die Kunden und Partner sind verärgert, die Scheinwelten abgekratzt und "Menschen zum Nachdenken bringen" fällt längst nicht mehr ins selbstgestellte Aufgabengebiet.
Höchste Zeit dieses Aufgabengebiet wieder einmal neu zu definieren - Eberhard Lauth denkt hier im Standard drüber nach.