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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

24. 4. 2011 - 10:23

Keine frohe Botschaft

Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus wollen die Welt verändern. Leider verstehen sie sich nicht.

Die Grundstruktur der Geschichte ist immer die gleiche: Jemand wird kommen, ein Auserwählter, und er wird uns retten und in eine bessere Zukunft führen.
Es ist eine Art Mind Script, eine Dramaturgie, die wir Menschen seit Jahrtausenden kennen, in die Wiege gelegt und für immer im Hinterkopf, lauernd und darauf wartend, sich in unterschiedlichster Form wiederholen zu können. Die Helden dieser Geschichten tragen viele Namen: Sie heißen Horus, Jesus Christus, Frodo Beutlin, Harry Potter oder Barack Obama. Und gerade deshalb verwundert es nicht, dass sich ausgerechnet ein Fantasy-Schriftsteller an einer Neuinterpretation der Bibel versucht.

Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus

Philip Pullman, preisgekrönter Autor der Trilogie His Dark Materials (dessen erster Teil Der Goldene Kompass 2007 verfilmt wurde), beschreibt in knappem und teilweise polemischem Stil das Leben von Jesus Christus. Besser gesagt: Von Jesus und Christus, denn in seiner Version sind es Zwillingsbrüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

buchcover

fischer verlag

Philip Pullman "Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus", erschienen bei S.Fischer, aus dem Englischen von Adelheid Zöfel

Jesus, der Erstgeborene, ist selbstsicher und kräftig, ein charismatischer Naturalist, der predigend durch die Lande zieht und in seiner unbändigen Lebenslust keine Kompromisse duldet. "Logikfanatiker", wie beispielsweise sein Bruder Christus einer ist, diese "blutleeren Phantome", hasst er abgrundtief.

Der vife, aber zurückhaltende Bruder Christus hingegen erkennt die Macht der Verführung, die möglich wäre. Er agiert als Schreibtischtäter - indem er seine Version der Geschehnisse für die Nachwelt zusammenschreibt. "Wenn der Weg zum Reich Gottes geebnet werden soll, müssen wir, die Wissenden, bereit sein, die historische Wirklichkeit zur Dienerin der Nachwelt zu machen, nicht zu ihrer Herrscherin", ist da zu lesen. "Das, was hätte geschehen sollen, ist für das Reich wichtiger als das, was tatsächlich geschehen ist."

Ein weiteres Mind Script also: Heißblütige Emotion versus kühle Theorie; Körper versus Geist. Während der eine im Tempel Verkaufsstände zerdeppert, feilt der andere bereits am Gleichnis, das aus diesem Vorfall zu lernen sein könnte. Die klassische Rockstar-Manager-Symbiose. Alleine wären sie nur ein Schreihals und ein Schreiberling. Zusammen sind sie Jesus Christus, Protagonist der meistgelesenen Biografie des Abendlandes.

"Wie lang will ich das noch machen?"

Weitere Buchempfehlungen

Philip Pullman ist ein handzahmer Revoluzzer. Bereits seine Fantasy-Trilogie mit ihrem anti-klerikalen Grundton sollte in den 1990ern einen Gegenentwurf zu C.S. Lewis' religiös motivierten Chroniken von Narnia schaffen. Mit Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus wird der Erzähler in seiner Kritik am Christentum um einiges deutlicher, hält sich aber stets an respektvolle Grenzen (was auch das Lobes-Zitat von Rowan Williams, Erzbischof von Canterbury, im Klappentext beweist).

Wer anhand des Buchtitels Zynismus und Kaltschnäuzigkeit erwartet, wird enttäuscht. Pullman ist bibelfest, hält sich an historische Fakten und hat vor allem eines: Eine Botschaft. "Dies ist keine frohe Botschaft", betont er am Buchrücken, sondern die Beschwerde eines gläubigen Mannes, der die Nase gestrichen voll hat vom korrumpierten System Kirche. In Jesus' Monolog am Ölberg, kurz vor seinem Tod, lässt der Autor seinen Hippie-Messias dafür beten, dass "eine Kirche, die in deinem Namen aufgebaut wird, arm bleibt, arm, machtlos und bescheiden. […] Wie lang will ich das noch machen? Du bist nicht da."

Vielleicht spricht Pullman gläubigen und zweifelnden Menschen aus der Seele, in Zeiten wie diesen, wo die Kirchenaustritte - motiviert durch Missbrauchsskandale, Frauenfeindlichkeit oder Holocaustleugnung - jeden Monat neue Rekordwerte erzielen. Was die angepeilte Kritik und Provokation des Buchs betrifft, bleibt Der gute Herr Jesus und der Schurke Christus allerdings ein Osterhase mit Maulkorb.