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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

23. 4. 2011 - 16:30

Gott ist Inder

William Dalrymple erzählt in seinem Buch "Neun Leben" von Menschen, die die Spiritualität in Indien nicht suchen, sondern bereits gefunden haben.

Mittlerweile gibt es ja schon für alles einen Feiertag. Manche davon, wie der Welthypnosetag (4. Jänner) oder der Weltnudeltag (25. Oktober) sind durchaus verzichtbar. Nicht jedoch der Welttag des Buches, der am 23. April gefeiert wird, und mit dem die UNESCO sicherstellen möchte, dass Bücher für jeden und überall zugänglich sind. Auch in Indien, wo Lesen immer noch nicht selbstverständlich ist. Rund ein Drittel der Bevölkerung sind Analphabeten. Gleichzeitig ist Indien aber eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. IT-Firmen sprießen aus dem Boden, Bollywood ist die weltgrößte Filmproduktionsstätte und SUVs und Designeranzüge gelten als neue Statussymbole.

Doch Indien hat auch noch ein anderes, von jahrhundertealten Traditionen geprägtes, Gesicht. Es ist die Heimat aller Weltreligionen. Meditation, Yoga und andere spirituelle Praktiken ziehen Jahr für Jahr westliche Touristen an, die auf der Suche nach sich selbst nach Goa, Varanasi oder Dharamshala kommen. Sie suchen das, was manche Inder scheinbar schon gefunden haben. Und eben diesen gibt der schottische Autor William Dalrymple in seinem Buch "Neun Leben - Unterwegs ins Herz Indiens" eine Stimme. Er erzählt von neun Menschen, die alle auf ihre besondere Art und Weise ihren spirituellen Weg gehen.

indischer mann vor einem Geschäft sitzend

flickr.com/sistak

Zum Beispiel die junge Jaina-Nonne Prasannamati Mataji, die ursprünglich aus reichem Elternhaus stammt und beschlossen hat, ihr Leben der Religion zu widmen. Sie ist Vegetarierin, trägt einen Mundschutz und kehrt vor jedem Schritt mit einem Besen den Boden, um bloß kein Lebewesen zu töten. Sie ist gerade dabei sich rituell zu Tode zu fasten.

Oder Hari Das, ein einfacher Mann aus der Kaste der Unberührbaren, der als Gefängniswärter und Brunnenbauer arbeitet und sich einmal im Jahr in eine Gottheit verwandelt. Verkleidet und bemalt führt er wilde Tänze auf und wird dann selbst von den Brahmanen, die ihn sonst missachten, verehrt.

Buchcover neun Leben

Berlin Verlag

"Neun Leben - Unterwegs ins Herz Indien" ist im Berlin Verlag, in der deutschen Übersetzung von Matthias Fienbork, erschienen.

William Dalrymples Homepage

William Dalrymple, der sich vor allem als Reiseschriftsteller einen Namen gemacht hat, schafft in "Neun Leben" eine gute Mischung aus Reisebericht, historischen Fakten und poetischer Erzählung. Und er gibt Einblick in eine Parallelwelt, die in Indien seit Jahrhunderten existiert, die auf den ersten Blick aber nicht mehr sichtbar ist. Eine Parallelwelt, die wie ein Märchen aus "Tausend und einer Nacht" erscheint, und für die der Autor eine passende Sprache findet. Bildhaft und lebendig erzählt er vom Leben im heißen Wüstensand in Rajasthan, den leuchtend bunten Saris der Frauen, den betäubenden Gerüchen in den Basaren oder den unermüdlich rotierenden Gebetsketten der Mönche im tibetischen Bergdorf Dharamshala. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch Nord- und Südindien, in die intime Welt seiner Protagonisten, denen er stets mit großem Respekt begegnet.

Widersprüchlichkeiten zeigt er auf, ohne sie zu bewerten: Ein buddhistischer Mönch wird wider Willen zum Soldaten und hat Blut an den Händen; eine Tempeldienerin, klagt über ihr Los als Sexarbeiterin, würde ihr Tochter jedoch auch zu einer sogenannten Devadasi machen. Tradition und Spiritualität sind in Dalrymples Geschichten nur ein möglicher, oft unausweichlicher, vorgegebener Weg, nicht aber die Lösung.

In jungen Jahren war der Autor selbst ein Suchender, der in Indien sein Glück finden wollte. Ob er es gefunden hat oder nicht, er ist jedenfalls geblieben und lebt heute mit seiner Familie auf einer Farm in der Nähe von Neu-Delhi. Sein aktuelles Buch "Neun Leben" stand wochenlang auf den indischen Bestsellerlisten. William Dalrymple schafft es damit offenbar, sowohl dem indischen als auch dem westlichen Leser neue, spannende Geschichten aus dem Herzen Indiens zu erzählen.