Erstellt am: 22. 4. 2011 - 19:14 Uhr
Journal 2011. Eintrag 81.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag als Anregungs- und Denkfutter, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich das ganze Jahr über Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit urendgeilen Sachen über den LAbg GR, dem neubestellten ISS, Herrn Sebastian Kurz.
Und, ja, es wird sowas wie ein Plädoyer für ihn werden.
Keine Sorge, ich gehöre rein prinzipiell durchaus zu denen, die es für hundertprozentig gerechtfertigt halten, wenn ein Oberschicht-Schnösel, der durch den Zufall der Geburt und per Beziehungsanschieberei in eine Karriere gerutscht ist und das noch dazu durch sein Auftreten und das Anlegen der äußeren Insignien der Döblinger/Schönbrunner-Bürgertümlerei (zurückgegeltes Jungadeligen-Haar, das blaulinierte Hemd, der Pullover über den Schultern etc.) extra herausstreicht, von aller Welt abgewatscht wird. Denn das tun aktuell ja nicht nur die, die - wie Pete Townshend das so schön erfand - mit dem Plastiklöffel im Mund geboren wurden, sondern eh eigentlich alle. Politische Gegner, politische Freunde, praktisch alle Medien, laut "Umfragen" auch die Öffentlichkeit, die Shitstormer in den Social Networks und die Trolle in den Foren. Kurzbashing.
In einer echt blöden Zwickmühle befindet sich da die Tageszeitung 'Die Presse', die sich für das Zentralorgan dieser New Schnösel-Bewegung hält (was sie definitiv nicht ist - auch hier kann ein Drittel nicht lesen, zumindest nicht die manchmal längeren Sätze) und deshalb differenzieren muss. Oliver Pink zählt in seinem lustigen Kommentar mit einer fast schon Zola'schen Forderung nach "Gerechtigkeit!" deshalb ein wenig patzig auch andere mit dem goldenen Löffel in Mund auf die Welt gekommene Heroen auf und vergleicht so Kurz mit Winston Churchill. Und natürlich wird zurückgeschossen: auf straßenkredible Jung-Marxisten, die ja auch nix können. Und die jetzt so lauten NGOs, die jetzt von allen befragt werden, die würden ja auch nix für die praktische Integrationsarbeit leisten.
plastic spoons und goldene Löffel
Außerdem wird dann noch die direkte Konkurrenz, der Standard, der Campaignisierung beschuldigt. Komisch, denn dort ist eine viel weniger weinerliche Rechtfertigung der Chance von Kurz auf 100 Tage der Praxis-Tauglichkeit zu lesen: man lässt die Jung-Kollegen zu Wort kommen und zieht das Fazit, dass die Qualifikationsfrage immer nur bei den Jungen gestellt würde.
Beide Argumentationslinien greifen natürlich (Verzeihung für den unabsichtlichen Wortwitz) zu kurz. Herkunft, Alter, Kredibilität, Erfahrung - das sind allemal relative Kriterien, ja.
Aber genauso wie es im Fall Thatcher oder Merkel deutlich nicht reicht eine Frau zu sein, um deswegen sachter und sanfter zu kritisierende Politik zu machen und es bei Migranten nicht reicht Migrant zu sein um besser bewertet zu werden, reicht das auch im Fall von Kurz nicht.
Deutlich differenzierter geht die Frage Kurz das Polit-Blog zurpolitik.com an - klar, dort ist man erstens selber jung und hat zweitens nicht den eingefahrenen Scheuklappen-Blick der alten Holzmedien-Gäule. Man schlage den falschen - getögelt gehören diejenigen, die den jungen Mann unverantwortlicherweise in diese Verantwortung gesetzt hätten, ihm einen Job zugewiesen hätten, an dem er (zumindest per Anspruch und Vorwissen) scheitern müsse. Und genau diese Frech/Blödheit wäre eine Facette dessen, was in diesem Land nicht funktioniert.
Der Rückgriff auf jugendliche Lebenspraxis
Nun gibt Kurz in seinen ersten Interviews (die allesamt dem Boulevard gelten, da hat die Medien-Strategie der ÖVP eine ganz klare Stoßrichtung) durchaus besonnene, liberale und gar nicht einmal blöde Antworten auf die üblichen, mit oft dumpfen Hintersinn gestellten Fragen der Journalisten, die sich als Mentoren eines gesunden Volksempfindens begreifen (und so ihr Berufsbild in jeder Faser mißverstehen). Es sind moderate Töne, mit Respekt vor Religion und Symbolik, mit deutlicher Abgrenzung zu Scharfmacherei. Und er greift dabei so oft wie möglich auf seine Lebenspraxis zurück, auf Schule und Freundeskreis.
Ich halte das nicht für einen Zufall, sondern für eine Generalstrategie, die Spindelegger für Kurz ausgegeben, im besten Fall vielleicht sogar mit ihm erarbeitet hat.
Kurz, das brave Schnösel-Burli, dem man nix zutraut, ist möglicherweise der bisher effektivste Flankenschutz gegen den bis dato unbesiegten Haider- und Strachismus.
Soziale Rührseligkeit gegen widerliche Hausmeisterei
Kurz argumentiert aus einer Lebenspraxis als junger Mensch, von der die Rechtspopulisten, die im Kern aus über 40-jährigen Scharfmachern bestehen, nur träumen können. Gegen ihn sieht der Passagen-Strache überwuzelt und schon fast peinlich-aufgesetzt aus.
Kurz und sein rührseliger Konservativismus, sein christlich-sozialer Pfadfinderansatz atmen eine gewisse Naivität, die das komplexe Thema der Integration vielleicht brauchen kann. Bislang sitzen da zwei Typen von Experten und Instrumentalisierern drauf: die "alles ist ganz schön kompliziert"-Differenzierer ohne Lösungskompetenz und mit "die Leut verstehn das eh nicht!"-Ansatz und die zwischen Hausmeisterei und xenophobem Irrsinn umherirrenden Verfolgungswahnsinnigen.
Die wenigen wahren Experten sind Kurz gar nicht so unähnlich: vergleicht einmal den Ansatz von Ute Bock; die ist gar nicht so weit entfernt davon. Frau Bock ist übrigens so NGO, dass mehr gar nicht geht, Herr Pink von der Presse, und auch so nah dran am Integrationsthema, dass mehr gar nicht geht.
Kurz hat zusätzlich die dringende Aufgabe nicht in den Politsprech zu verfallen, der Laura Rudas ihr kurzzeitig positives Image gekostet hat - und derweil besteht er sie. Er hat keine Parteiadel-Last zu tragen wie Rudas oder sein optischer Zwilling Niko Pelinka: das hilft.
Der Integrations-Staatssekretär als Aushebler?
Der Plan mit Kurz der muffigen Lebenspraxis-Hegemonie der Strache-Partei das Wasser abzugraben kann total in die Hosen gehn. Er kann auf halben Weg steckenbleiben, es kann alles auch komplett nach hinten losgehen.
Es wäre aber auch möglich, dass ausgerechnte der jetzt von allen ausgelachte Kurz das Tool ist, das die Angeberei über die "wirklichen Zustände" mit der die Rechtspopulisten große Teil der Bevölkerung wegbluffen, aushebelt und als das hinstellt, was sie wirklich ist: eine aufgeplusterte Inszenierung.
Über eine Woche später, in seinem Video-Blog vom 1. Mai, sieht auch der hichgeschätzte Robert Misik die Sachlage plötzlich ein wenig anders als zuvor bzw. der Medienmainstream.
Und mir wäre niemand bekannt, niemand in den Parteien, niemand in den Medien, niemand bei den NGOs, der einen direkt gegen den Populismus gefassten Plan bislang in die Tat umgesetzt hätte.
Also: So sehr ich nichts dagegen habe, wenn Goldlöffel-Kids wie er im Beserlpark einen schweren Stand haben - so wenig mag ich in das Häme-Geheul, das Sebastian Kurz entgegenschlägt einstimmen. Der rund um ihn aufgebaute Plan verdient eine Chance.