Erstellt am: 16. 5. 2011 - 20:19 Uhr
Der glücklose Erretter
Peter Handke hat eine besondere Art, die Welt und ihre Ereignisse zu sehen und zu beschreiben, was man nicht erst seit seiner Beschäftigung mit den Jugoslawien-Kriegen weiß. Dem flüchtigen und oberflächlichen Blick setzt er eine eingängige Betrachtung entgegen, der eintönigen Alltagskommunikation und der zuspitzenden Schreibweise des Journalismus seine poetische Sprache. Zentral dafür ist bei Handke eine reduzierte Geschwindigkeit, die Reise, das Spazierengehen, der Müßiggang. Auch in seinem neuen Roman "Der Große Fall" verwendet er den Spaziergang als Struktur, um seine Beobachtungen aneinander zu reihen.
Suhrkamp Verlag
Der Roman beginnt am Rand der Großstadt, die vielleicht Paris ist. Handkes Protagonist, ein überaus erfolgreicher und bekannter Schauspieler, wacht in einem Bett auf, das nicht das seine ist, in einem Land, in dem er nicht zu Hause ist. Die Frau, mit der er die Nacht verbracht hat, ist längst zur Arbeit gefahren. Über ihre Beziehung sind sich die Beiden nicht einig, sie bezeichnet ihn als ihren Geliebten, er geht nur so weit, dass er sagt, sie tue ihm gut. Im Lauf des langen Tages, über den sich die Handlung erstreckt, kommt der Schauspieler der Frau immer näher.
Handke lässt seine LeserInnen im Unklaren darüber, was von dieser Annäherung zu halten ist, denn bereits im ersten Satz des Romans kündigt er den "Großen Fall" an, der am Ende des Tages eintreten wird. Damit erzeugt Handke eine Erwartungshaltung für ein unheilvolles Ereignis, die er durch vielfache Anspielungen auf einen Amoklauf noch steigert. Handke-KennerInnen werden über diese frühe Ankündigung wohl schmunzeln, aufmerksame LeserInnen sie nach wenigen Seiten als Hoax entlarven können. Es wird nichts Großartiges passieren, keine dramatische Wende, kein Anschlag, kein Höhepunkt.
Der Erwartungsenttäuscher
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Handke macht schon früh klar, dass er nichts weiter als die epische Geschichte eines Schauspielers erzählt, "an einem einzigen Tag, vom Morgen bis tief in die Nacht", und zwar nicht beim Handeln, sondern beim Müßiggang. Und obwohl er immer wieder Handlungsmöglichkeiten anreißt, ein Schwächeanfall, die Konfrontation des Protagonisten mit dem "Mann" seiner Geliebten, Koordinations- und Bewegungsprobleme oder Drohbriefe an den Staatspräsidenten, bleibt das größte Abenteuer im Roman die Überquerung der Autobahn zu Fuß. Denn es "seien keine Geschichten mehr zu erzählen", keine Offenbarungen, weder für den Autor, noch für den Schauspieler. Letzterer hat deswegen lange Zeit keine Rollen mehr angenommen und zweifelt auch bei seinem aktuellen Projekt, der Darstellung eines Amokläufers, daran, ob er dem Publikum zum "Augenaufgehen" verhelfen kann.
Handke selbst hat solche Zweifel nicht. Im Gegensatz zum leicht kauzigen Schauspieler, der in Leinenhemd und Anzug mit grellfarbener Krawatte, zwei verschiedenfarbigen Socken und einem zu großen Bauernhut mit mottenlöchriger Krempe und hineingesteckter Falkenfeder zu einer Ehrung durch den Wald stakst, nimmt er seine LeserInnen bei der Hand und leitet sie zu einem anderen Sehen an, zum Sehen der Geschichten hinter den Dingen. So zeigt er etwa auf, was die Reste des Werkheftes eines Zimmermannslehrlings, gefunden in einem Schlupfloch im Unterholz über seinen Besitzer verraten oder wie das Platzen des Springkrauts Zeitschwellen erfahrbar macht.
Sensibilisierung für die Sprache
Im Gegensatz zu den zurückhaltenden Hinweisen auf alternative Betrachtungsweisen von Natur, Gegenständen und Alltagssituationen drückt Hande bei seiner Sprachkritik seine LeserInnen wirklich mit der Nase drauf. Mit den Relativierungen, die er hinter gewonnene Erkenntnisse stellt, mit dem Infragestellen von Wörtern (wieder seine "Gewißheit"), mit der Bewusstmachung von Satzzeichen (Und trotzdem fehlte sie ihm, "die Liebe". Ohne Anführungszeichen: Die Liebe fehlte.), mit Neologismen (querwaldein), mit der Offenlegung paradigmatischer Auswahlkriterien in der Literatur (Die Naturvorgänge sind symbolish. - Hast du nicht ein anderes Wort statt "Symbol" - Ja: Beispiel. Die Natur spielt Beispiel.) mit Konjunktivkonstruktionen oder ganz besonders hart mit der Verwendung von (sic) in Prosa oder unsinniger Wörter wie Basketballschläger.
Auch die Erzählperspektive ist öfters knapp am Kippen von einer auktorialen zu einer beobachtenden Erzählperspektive.
Hande macht deutlich, welche Möglichkeiten die Sprache bietet und wie viel von diesen Möglichkeiten wir täglich übersehen und überlesen.
Der Erretter
Bei all den Hinweisen Handkes könnte man meinen, er wolle sein Publikum helfen beim Umgang mit den Gefahren der Eindimensionalität, dem vorschnellen Urteil und der Sprache, ihm den zweiten Blick lehren. Handke steigert das sogar noch, wenn er schreibt Helfen allein genügt nicht; Helfen allein konnte eine Art von Verrat sein. Retten! Gleichzeitig weist er diese Funktion aber von sich. Für Retterfiguren hat der Autor wenig übrig. Zwar lässt er seinen Protagonisten das Lebensziel im Retterdasein erkennen, mit der Errettung seines Sohnes als Gipfel, nur weiß er selbst nicht, wovor er ihn denn retten soll, und auch nicht wie. Bis jetzt hätte er nämlich niemanden retten können, zumindest keinen Menschen, seine größten Rettungstaten galten einem Igel und einer Biene. Handke macht die Retterfunktion seines Protagonisten so lächerlich, dass man nicht mehr daran glauben kann, wie der Schauspieler irgendwen retten sollte, das gleiche gilt für den Autor.
Leseprobe von Peter Handke: Der Große Fall
Im Laufe des Romans setzt sich die Erkenntnis durch, dass Handke seinen LeserInnen weder Ratschläge mitgeben, noch Wahrheiten liefern will. Die vielen Irritationen des Publikums verleiten zum Schluss, dass es in "Der Große Fall" einzig darum geht, die LeserInnen vor den Kopf zu stoßen. Vor allem die Auflösung des "Großen Falles" nährt die Zweifel daran, ob Handke nun nur mit der Sprache spielt, oder ob er einfach sein Publikum verarschen will.